Clifford Ando / Jörg Rüpke (eds.): Religion and Law in Classical and Christian Rome (= Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge; Bd. 15), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 176 S., ISBN 978-3-515-08854-1, EUR 42,00
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Das Hauptziel der Verfasser dieses Bandes besteht in der Untersuchung der Prinzipien und Methoden, mit deren Hilfe der römische Staat der Republik und der Kaiserzeit die Religion regulierte. Dieses Buch ist ein Versuch, die Entwicklung des römischen Sakralrechts im Kontext der gesellschaftlichen Veränderungen vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. darzustellen.
Die chronologisch geordneten Aufsätze werden durch eine in der Einleitung entwickelte Konzeption eng miteinander verbunden, wodurch das Buch gut lesbar wird. Zuerst werden die Probleme der Entwicklung des Sakralrechts im paganen Rom betrachtet. Darauf folgen die Aufsätze, die dem christlichen Rom gewidmet sind. Das Buch enthält zahlreiche Quellenpassagen, eine Bibliografie und Indices. Die Quellen werden nicht nur im Original zitiert, sondern auch in englischer Übersetzung.
Zuerst wird das Problem der Quellen des römischen Sakralrechts behandelt. J. Scheid beginnt dabei mit der Kritik der Historiografie (15-17). Darauf folgt die Untersuchung des Prozesses der Entstehung des römischen Sakralrechts. Hier werden wichtige theoretische Fragen besprochen.
Der Verfasser zeigt, dass die römische religiöse Tradition "mainly oral" war (17-19). Das Sakralrecht wurde niemals systematisiert (20). "Indeed, sacred law was subject to even less codification than was public law, because, by the time collections of statutes and imperial decisions were eventually made [...] the old rules of Roman religion no longer needed to be collected and systematized." (20). Dabei stellt sich die Frage: Brauchten diese "old rules of Roman religion" überhaupt (no longer ist hier meiner Meinung nach nicht aktuell) kodifiziert zu werden? Dies soll durch die spezifische gesellschaftliche Rolle der römischen Religion in der paganen Zeit erklärt werden. Verursacht wurde dieses Spezifikum durch die Natur der Beziehung zwischen Staat und Religion.
Die Civitas brauchte nicht das umfassende Religionssystem, das für die Kaiser der Spätantike notwendig war. [1] Die altrömische Religion integrierte das römische Volk und war "naturgegeben" für den populus Romanus. [2] Die christliche Religion besaß dagegen in der Kaiserzeit eher die Funktion der Herrschaftslegitimation. Die Möglichkeit dafür gab das Recht. Die römischen Kaiser bereiteten mithilfe gesetzgebender Maßnahmen den Sieg des Christentums vor (125). Während die altrömische Religion die Religion des populus Romanus und der civitas darstellte, war das Christentum sozusagen die Religion der römischen Kaiser und des Römischen Reiches.
Weitere Kapitel des "republikanischen" Teiles sind den einzelnen Problemen der Entwicklung des römischen Sakralrechts gewidmet: der Durchführung des Rituals und der Rolle der Religion im Leben der Kolonien (34-46), und zwar auf der Basis der Untersuchung der spätrepublikanischen lex Ursonensis und der Fragen der Religion und des Sakralrechts in der lex Cornelia de sicariis et veneficiis.
Der "christliche" Teil dieses Bandes vermittelt einen konzentrierteren Eindruck. Die einzelnen Aufsätze sind chronologisch und inhaltlich enger miteinander verbunden als die Beiträge im "paganen". Zunächst werden die Verhältnisse zwischen den Kaisern und den Christen in "the era of the Great Persecution" betrachtet (68-84). Der Kampf Diocletians gegen die Christen war ideologisch begründet (83). Sehr wichtig scheint mir hier die Analyse der ideologischen Konzeptionen der beiden Gegner im vierten Kapitel zu sein. Dieser Kampf war aber erfolglos; die neuen Bedingungen der Entwicklung der römischen Gesellschaft verursachten die Niederlage des paganen Religionssystems (125). Dazu kamen die gesetzgebenden Maßnahmen der römischen Kaiser, die schließlich den Erfolg des Christentums in Rom vorbereiteten (109-125).
Die moderne Gesellschaft kennt viele verschiedene Konflikte, die auf der Basis konfessioneller Widersprüche entstehen. Dies verleiht den Themen, die im 6. und 7. Kapitel besprochen werden (gemeint sind die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche, zwischen Kirche und häretischen Bewegungen), auch eine Aktualität für die heutige Bedeutung der Religion. [3]
Die Probleme, die in diesem Band untersucht werden, besitzen zweifellos hohe Relevanz für ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Rolle der Religion in der Antike. Nicht alle der behandelten Probleme können gelöst werden (dies liegt in den meistens Fällen an der unzureichenden Quellenlage), aber für manche finden sich doch Wege, die zur Lösung führen. So lässt sich dieses Buch als Standardwerk für die Geschichte der Entwicklung des Sakralrechts im Alten Rom sicherlich empfehlen.
Anmerkungen:
[1] Hier ist die Rede von der relativen Liberalität der Verfassung der polis, die der Bürokratie der kaiserlichen Zeit fremd war. Diese Bürokratie brauchte die Religion mit ihrer festen Hierarchie. Die Interessen des Weltreiches führten zum Sieg des Christentums.
[2] Es handelt sich um "community identity" (69-75). Diese Frage wird von E. DePalma Digeser in Kapitel 4 behandelt.
[3] D. Baudy aktualisiert ihre Untersuchung durch einen Vergleich mit den Problemen der modernen Gesellschaft (100-103).
Roman Lapyrjonok