John J. Collins: Jewish Cult and Hellenistic Culture. Essays on the Jewish Encounter with Hellenism and Roman Rule (= Supplements to the Journal for the Study of Judaism; Vol. 100), Leiden / Boston: Brill 2005, viii + 231 S., ISBN 978-90-04-14438-5, EUR 79,00
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John Collins ist momentan einer der profiliertesten Erforscher der jüdischen Begegnung mit dem Hellenismus. Im vorliegenden Band hat er 12 seiner Aufsätze aus den Jahren 2000-2005 zu diesem Themenfeld versammelt (lediglich der erste ist ein Originalbeitrag). Eine Einleitung, die Auswahl und Anordnung der Studien begründete, fehlt dem Band. Zusammengenommen lassen sich aber die beiden ersten Aufsätze als kritische Einführung in aktuelle Ansätze und Paradigmen der Erforschung des Judentums im Hellenismus lesen. Da sie zudem der Herausarbeitung von Collins' titelgebender These dienen, sind sie in dieser Rezension bewusst in den Vordergrund gerückt.
Im ersten Aufsatz befasst sich Collins zunächst mit der Diaspora (1-20). Während man in der älteren Forschung die Diasporaliteratur oft unter der Voraussetzung eines antithetischen Verhältnisses von Judentum und Hellenismus als Apologetik interpretiert hat, sind in den letzten Jahren zwei Neuentwürfe zu ihrem Verständnis vorgelegt worden. Erich Gruen versteht die Texte als selbstbewusste, häufig humorvolle Reformulierungen jüdischer Tradition, die in flexibler und selbstverständlicher Auseinandersetzung mit der Kultur der hellenistischen Umwelt entstanden seien. [1] John Barclay hat seine Revision der jüdischen Diasporaliteratur erst kürzlich weiterentwickelt: Mithilfe postkolonialer Theoriemodelle versucht er deren Autoren nun als "cultural negotiators" zu begreifen. Als solche hätten die Autoren Griechisches aufgegriffen, verwandt oder auch abgelehnt - je nach den Bedürfnissen der Gruppen, für die sie schrieben. In diesem Prozess eines "using and refusing" hätten sie ihre Position in einer griechisch dominierten Umwelt "ausgehandelt", wobei die Texte sowohl Annäherungen an die als auch Kritiken der griechischen Kultur und Herrschaft enthalten könnten. [2] Anhand einer exemplarischen Analyse des Aristeasbriefs versucht Collins diese neueren Ansätze mit der älteren Apologetikthese zu verbinden: Auch er hält das Judentum für eine grundsätzlich flexible Entität, die durch Reformulierung ihrer Traditionen eine griechisch geprägte Aktualisierung annehmen und so ihre Position neu aushandeln konnte. Derartige Annahmen seien jedoch bei Kult und Religion an ihre Grenzen gestoßen, zu deren Schutz man auch zu apologetischen Strategien gegriffen habe - etwa durch Präsentation des Monotheismus als Philosophie. Und genau an diesen Grenzen würden Kern und Kontinuität der jüdischen Identität greifbar. Kurzum: Die Juden hätten zwischen dem "Jewish Cult" und der "Hellenistic Culture" eine Grenze gezogen.
Im zweiten Aufsatz unternimmt Collins den Nachweis derselben These für den Kontext Palästinas (21-43). Zunächst betont er, dass sich das Judentum im Hellenismus generell durch kultischen Separatismus ausgezeichnet habe. Martin Hengels These einer fortschreitenden Hellenisierung jüdischer Oberschichtskreise im Vorfeld des Makkabäeraufstandes lasse sich auf Grundlage der vorhandenen Quellen kaum stichhaltig begründen. Selbst bei der "hellenistischen Reform" in Jerusalem und der Einführung eines Gymnasions sei es in erster Linie um Macht- und Profitinteressen gegangen. In dieser Hinsicht sei eine weitgehende Annahme hellenistischer Kultur durchaus möglich gewesen. Erst mit den Eingriffen in den jüdischen Kult, die zum Makkabäeraufstand führten, sei die Grenze des Möglichen überschritten worden. Dass hellenisierte Juden selbst die Eingriffe erwirkten, hält Collins für unwahrscheinlich - letztlich müssen sie dann auf Antiochos IV. zurückgehen. Auch bei den palästinischen Juden lasse sich somit eine Grenze zwischen ihrem Kult und der hellenistischen Kultur beobachten.
Angesichts aktueller Forschungstendenzen ist Collins' Betonung der Unverfügbarkeit des Kultes und der darin zum Ausdruck kommenden Kontinuität jüdischer Identität durchaus berechtigt. Überdies besticht seine These durch die parallele Durchführung für Diaspora und Palästina. Alle Detailfragen außen vor, werfen Collins' Ausführungen aber dennoch in begrifflicher und methodischer Hinsicht Probleme auf. Denn was er nun genau unter Kult, Religion und im Gegensatz dazu Kultur versteht, wird nicht hinreichend klar. Zudem: Lassen sich Kult und Kultur in der Antike überhaupt auseinanderdividieren? Oder wie lässt sich seine These zu aktuellen kulturwissenschaftlichen Ansätzen in Beziehung setzen, die von der Ubiquität von Kultur ausgehen? Bedenkt man weiter, dass auch die Eingriffe Antiochos' IV. in Tempel und Kult von Jerusalem nicht zu einer umfassenden jüdischen Erhebung führten, sondern weite Teile der jüdischen Bevölkerung die neue Situation zumindest duldeten, stellt sich die Frage, ob die Grenze zwischen Kult und Kultur für alle Juden gleich war oder ob es nicht auch hier noch Spielräume gab. Spielte Hellenisierung - in einem eher passiven Sinn - vielleicht doch eine Rolle? Auch wenn man in Kult und Religion plausibel den Kern jüdischer Identität sucht, bleibt gerade mit Blick auf den Makkabäeraufstand die Problematik von Wandel und Entwicklung. So kann sich Collins für seine Behauptung eines generellen kultischen Separatismus der Juden für die vormakkabäische Zeit lediglich auf Hekataios von Abdera berufen. Dass durch die Kulteingriffe Antiochos' IV. Grenzen überschritten wurden, steht außer Frage. Ist es aber nicht auch wahrscheinlich, dass diese Überschreitungen der Grenzen zugleich zu deren Verengung führten? Man denke nur an den neugeprägten Begriff des Ioudaismos oder die Radikalisierung jüdischer Sekten in der Makkabäerzeit. Wenn nicht definitorisch, so wäre zumindest quellenkritisch noch stärker zu berücksichtigen, dass sowohl die zur Rekonstruktion der Grenze zwischen Kult und Kultur in Palästina herangezogenen Makkabäerbücher als auch der für die Diaspora angeführte Aristeasbrief Positionen wiedergeben, die in der radikal veränderten Situation nach den Kulteingriffen und somit unausweichlich unter deren Eindruck und Wirkung formuliert worden sind. Diese Positionen müssen weder für das gesamte Judentum repräsentativ sein noch in einem kontinuierlichen Verhältnis zur Zeit vor den Eingriffen stehen.
In den weiteren Studien behandelt Collins - zumeist vor dem Hintergrund neuerer Forschungsansätze - ein weites Spektrum an Themen. Zunächst verortet er die Exodusberichte der ägyptischen Diasporaliteratur im Spannungsfeld von Exegese und Legendenbildung (44-57) und verneint die Frage, ob sich in die Septuagintaübersetzung messianische Vorstellungen eingeschlichen haben (58-81). Sechs Studien sind dann einzelnen jüdischen Texten hellenistischer Zeit gewidmet: Die von Collins mitbegründete Position, das 3. Sibyll. Orakel sei eine jüdische Propagandaschrift aus der Mitte des 2. Jahrhunderts, wird gegen neuere Ansätze verteidigt (82-98). Das schwer verständliche Fragment des Epikers Philo über Isaaks Bindung wird als Darstellung biblischer Tradition im Sinne eines magischen Rituals gedeutet (99-111). Bei der Erzählung von Joseph und Aseneth sei jüdische Provenienz plausibler als christliche (112-127). Die Jenseitsvorstellung bei Ps.-Phokylides wird als halbwegs konsistente Verknüpfung kursierender Ansichten begriffen (128-142). Die Weisheit Salomos sei durch apokalyptische Vorstellungen geprägt, die zugleich Einflüsse griechischer Philosophie widerspiegelten (143-158). In der Entwicklung der Weisheitstradition wird der Qumrantext 4QInstruction als wichtiger Zwischenschritt hin zur Weisheit Salomos verstanden (159-180). In den beiden letzten Aufsätzen greift Collins schließlich die Struktur der Einleitungsstudien wieder auf und skizziert die Veränderungen der jüdischen Situation unter römischer Herrschaft mit Fokus auf den großen Konflikten des 1. Jahrhunderts. So seien die Ausschreitungen gegen Juden in Alexandria 38 n. Chr. auf Auseinandersetzungen um den veränderten politischen Status der Juden zurückzuführen, nicht auf einen antiken Antisemitismus (180-201). In Palästina habe hingegen die finanzielle Belastung der Bevölkerung zur Vergiftung der Stimmungslage geführt und eine entscheidende Rolle beim Ausbruch des großen jüdischen Aufstandes gespielt (202-215).
Alle resümierten Studien weisen einen stringenten Aufbau auf, sind in zupackendem Stil verfasst und führen zu klaren Thesen. In einem weiten Sinn sind sie für die jüdische Begegnung mit dem Hellenismus allesamt relevant. Aber dennoch: Häufig steht die kulturelle Begegnung nicht im Zentrum der Fragestellung. Auch die in den beiden ersten Studien entwickelte These von der Grenze zwischen Kult und Kultur wird nirgends wieder aufgegriffen. Zudem stehen breit angelegte Untersuchungen wie zu den Exodusberichten neben eher kleinteiligen Textdiskussionen wie im Fall der sibyllinischen Orakel. So fehlt es dem Buch in der Vielfalt der Themen und Argumentationsebenen und trotz einer gewissen Rahmung durch die beiden letzten Aufsätze insgesamt an Geschlossenheit und Linie.
Was lässt sich also abschließend zu dem Band sagen? Wer sich mit dem Judentum im Hellenismus beschäftigt, wird in Collins' Studien wichtige Argumente zu einer Vielzahl von Themen und Problemen finden. Besonders die ersten beiden Aufsätze zum Verständnis des Judentums im Hellenismus sind in ihrer grundsätzlicheren Ausrichtung essenzielle Beiträge zur laufenden Debatte. Zur durchgehenden Lektüre wird man den Band wegen des Fehlens eines roten Fadens hingegen weniger empfehlen. Hält man sich überdies seinen hohen Preis vor Augen, wird man ihn gewinnbringend, aber wohl in erster Linie nach Bedarf in einer Bibliothek konsultieren.
Anmerkungen:
[1] Heritage and Hellenism. The Reinvention of Jewish Tradition, Berkeley 1998 und Diaspora. Jews amidst Greeks and Romans, Cambridge Mass. 2002.
[2] Grundlegend: Jews in the Mediterranean Diaspora from Alexander to Trajan (323 BCE-117 CE), Edinburgh 1996, 82-228. Die Weiterentwicklung: Using and Refusing. Jewish Identity Strategies under Hegemony of Hellenism, in: M. Konradt / U. Steinert (Hg.): Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 13-25.
Johannes Bernhardt