Rezension über:

Alfred Kohler: Columbus und seine Zeit, München: C.H.Beck 2006, 221 S., ISBN 978-3-406-54212-1, EUR 18,90
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Rezension von:
Michael Zeuske
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Michael Zeuske: Rezension von: Alfred Kohler: Columbus und seine Zeit, München: C.H.Beck 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/02/10347.html


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Alfred Kohler: Columbus und seine Zeit

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Während Deutschland seine Unterschicht entdeckt und in historischer Larmoyanz und Geistesgeschichte verharrt, hat in der iberischen und atlantischen Welt der 500. Jahrestag des Todes von Christoph Kolumbus eine weitere Welle welt- und globalgeschichtlichen Interesses ausgelöst. Alfred Kohler, Frühneuzeithistoriker an der Universität Wien und als solcher eher als Historiker der Habsburgerkönige und -Kaiser bekannt, legt hiermit eine interessante Mischung aus life history und Imperialgeschichte sowie Weltwirtschaftssystemgeschichte vor. Dabei kommt auch die Geistes-, Technologie- und Wissensgeschichte nicht zu knapp weg. Diese weltgeschichtliche Mischung macht das Buch so kompakt und lesenswert.

Am Anfang steht die Bewertung des Menschen Columbus, spätestens seit 1892 ein fester Topos europäischer Geschichtsschreibung, dann - nicht immer, aber manchmal, in der mikrohistorischen Perspektive dieses gelebten Lebens - folgen die Themen: europäische Entwicklung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (mit der impliziten Frage: worin nur bestand die "Überlegenheit" der Peripherie Europa gegenüber Afrika, Amerika und Asien?), das Asienbild seit Marco Polo sowie die Beziehungen Europas zur muslimischen Welt im Mittelmeerraum und im Nahen Osten, die portugiesisch-kastilische Rivalität im Atlantik und am Ende die Frage nach der globalhistorischen Position Europas am Ende des 15. Jahrhunderts. Dabei soll deutlich gemacht werden, sagt der Autor, "dass die Initiative des Entdeckers ohne die Analyse der mediterranen, euro-asiatischen und euro-afrikanischen Beziehungsfelder nicht zu verstehen ist" (26). Ausgehend vom Weltbild in der T-Form mittelalterlicher europäischer Karten konstruiert Kohler dann einen Ausgangspunkt für eine interaktionistische Geschichte kontinentaler Verbindungen, Stand 1400-1550, in deren Zentrum die Geschichte des Columbus-Irrtums sowie seine welt- und globalgeschichtlichen Folgen stehen. Ausgangspunkt sind: die europäische Konkurrenz von Königreichen untereinander sowie das dynamische Element des Handels, ein negatives Bild von Afrika und ein positives Bild von Asien - wie passt Amerika da hinein und was waren die Folgen unter Einbeziehung der unterschiedlichen Expansionen sowie Traditionen seit dem 13. Jahrhundert und von Aktionen der Asiaten, Afrikaner und Amerikaner? Aus chinesischer Sicht, stellt Kohler richtig fest, war Europa, in typischer Überhebung eines Imperiums, zu uninteressant (und zu weit entfernt).

Einer Fülle von bemerkenswerten Erkenntnissen, basierend auf einer positiven Bewertung des Columbus-Unternehmens (was noch im Umfeld von 1992 keineswegs üblich war) folgen Beobachtungen und Interpretationen, die diese Publikation zur besten Synthese und Interpretation von Globalgeschichte am Beginn der europäischen Weltgeschichte machen, die auch noch gut und dynamisch geschrieben ist und immer das einbezieht, was heute als "Mediengeschichte" bezeichnet werden würde, damals aber die empirisch-theoretische Spitzenwissenschaft im Rahmen der Frage "wo bin ich" (Geographie) war: die Kartographie. Das Buch ist ein kleines Kompendium der Globalgeschichte! Unter anderem mit einem gelungenen Vergleich der "christlichen" und der chinesischen Seefahrt sowie der Orientierung der Zeit (102-110). All die Schätze, die Kohler ausbreitet, kann der Rezensent nur der Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser empfehlen. Es handelt sich um eine im besten Sinne "moderne" Lektüre des Kolumbusabenteuers.

Eine einzige größere und inhaltliche Kritik hat der Rezensent: Alfred Kohler weist zwar immer wieder darauf hin, wie lange die portugiesischen Westafrikafahrten gedauert hätten (1415-1498; und sie gingen, inklusive weiterer Explorationen, ja auch noch weiter, nachdem Indien zum Hauptziel Portugals geworden war), kann sich aber nicht dazu durchringen, den wirklichen Grund dafür zu nennen. Die europäischen Iberer (und Normannen) konnten in Afrika nirgendwo eine Dominanz erlangen, sie kontrollierten nirgends die Quellen von Gold oder Handelslinien oder terms of trade und die afrikanische Eliten benutzten sie eher in umgekehrter Richtung (und das blieb so für alle Europäer bis in das 19. Jahrhundert, mit relativer Ausnahme des Kongo und Angolas). Die Weintrauben hingen zu hoch. Afrikaner zwangen den Portugiesen wohl auch das von diesen zunächst eher als drittklassig angesehene Sklavengeschäft auf. Eigentlich wird die afrikanische Dominanz in allem deutlich, und die Iberer scheinen das akzeptiert zu haben, etwa wenn Columbus immer wieder Guinea zum "Vergleichspunkt" nimmt (145) und die westafrikanisch-portugiesische Faktorei in der gesamten Columbuszeit in der Karibik das vorherrschende Modell der Spanier und Genuesen blieb. Der propagandistische National-Mythos portugiesischer "Erfolge" in Westafrika entstand erst nach 1568 - und existiert bis heute, wie sich die Europäer beim Anfangsprogramm der Fußballeuropameisterschaften 2005 überzeugen konnten. Alfred Kohler selbst beschreibt die Erfolglosigkeit des "Kongo-Unternehmens" (was in seiner Zeitperspektive richtig ist, nicht aber in der Perspektive des spätere europäische Wirtschaftssysteme tragenden Sklavenhandels). Den Portugiesen gelang im Atlantikraum kein Prestigeerfolg à la Kastilien und Cortés oder Pizarro in Mexiko und Peru. Das negative "Bild von Afrika" in den Voraussetzungen Kohlers (26) ist eher eine festsitzende Konstruktion des europäischen imperialistischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert, basierend auf der exotisierenden europäischen Literatur über Afrika im Auftrag konkurrierender europäischer Sklavenhändler (seit ca. 1650).

Trotz dieser Kritik an einer der Grundannahmen des Autors enthält natürlich auch das Afrika-Kapitel eine Fülle von neuen Erkenntnissen und Anregungen. Alfred Kohler beendet sein Columbus-Buch mit einer abgewogenen Bewertung der globale Position Europas am Ende des 15. Jahrhunderts (unter perspektivischer Einbeziehung der Conquista Amerikas seit 1520): Entscheidend ist für ihn, dass "im christlichen Europa ein Weltverständnis und eine Einheitsvorstellung von der Erde vorhanden waren" (194), die die europäische Expansionsdynamik der Neuzeit begründeten. Vorzüglich auch die für das Buch eines in der spanischen Historiographie so besattelten Historikers eher knappe Bibliographie, in der der sonst in Bezug auf spanische und globalgeschichtliche Literatur nicht eben verwöhnte Leser eine gute Auswahl der wichtigsten Werke finden wird.

Michael Zeuske