Uta Balbier / Christiane Rösch (Hgg.): Umworbener Klassenfeind. Das Verhältnis der DDR zu den USA, Berlin: Ch. Links Verlag 2006, 279 S., ISBN 978-3-86153-418-1, EUR 24,90
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In der Geschichte der internationalen Beziehungen geht es seit einiger Zeit nicht mehr nur um Politik und Diplomatie. Aufgrund einer Erweiterung des Beziehungsbegriffs werden darunter auch alle möglichen anderen Formen von grenzüberschreitenden Kontakten gefasst, seien sie wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Natur. Doch welche Bedeutung kommt diesen oftmals so genannten "transnationalen Beziehungen" zu? In welchem Verhältnis stehen sie zu den politisch-diplomatischen Kontakten? Lässt sich unter Verwendung dieses "modernen", weniger scharf konturierten Begriffs das Verhältnis von staatlich verfassten Gesellschaften untereinander besser erfassen?
Der vorliegende, auf eine Konferenz im "Heidelberg Center for American Studies" vom Oktober 2004 zurückgehende Sammelband versucht sich an dem Kunststück, diesen erweiterten Beziehungsbegriff für das Verhältnis zwischen der DDR und den USA fruchtbar zu machen. Dabei sind sich die Herausgeberinnen wie auch der Autor des ersten Beitrags, Konrad Jarausch, darin einig, dass es sich um eine asymmetrische Beziehungsgeschichte gehandelt habe. Einleitend heben Balbier und Rösch vor allem drei neue Zugänge zu dem Thema hervor, welche die Beiträge "von der bisherigen Forschung ab[heben]": Erstens werde die gesellschaftliche und kulturelle Dimension diplomatischer Beziehungen und die Rolle "globaler nichtpolitischer Netzwerke" stärker als bisher betont; zweitens werde nach der Bedeutung der "Chiffre 'Amerika' für die Identitätskonstruktionen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen" gefragt, um auch das "eigensinnige Verhalten in der DDR-Gesellschaft" in den Blick zu bekommen; drittens gehe es um die unterschiedlichen Reaktionen des Staates auf solche Freiräume, wodurch "ein differenzierteres Bild auf die sozialistische Herrschaftsmethodik" entstehe (17 f.). Allein schon diese Ausführungen verdeutlichen, dass in dem Band der Beziehungsbegriff nicht nur erweitert, sondern letztlich überdehnt wird: Kann man ernsthaft von Beziehungen der ostdeutschen zur amerikanischen Gesellschaft sprechen, wenn es letztlich um gesellschaftliche und staatliche Vorgänge innerhalb der DDR geht, bei denen Vorstellungen über die USA, der "American way of life" und die "amerikanisierte" bzw. "westliche" Kultur (der Unterschied wird nicht thematisiert) eine gewisse Rolle spielten?
Konrad Jarausch sieht in seinem Einführungsbeitrag in der Entwicklung des ostdeutsch-amerikanischen Verhältnisses nicht nur "ein spannendes Forschungsobjekt", sondern gar einen "wichtige[n] Teil der Geschichte des Kalten Krieges" (31). Dorothee Wierling gelangt in ihrer Betrachtung der Amerikabilder der DDR zu dem Ergebnis, dass Amerika immer "der Inbegriff des Westens" geblieben sei, "sowohl als politischer Gegner als auch als ersehnter Lebensstil" (38). Nach diesen essayistischen Beiträgen geht es um politische Beziehungen, Kooperation im nichtstaatlichen Bereich und um die eher virtuellen Beziehungen in Film, Literatur und Popmusik.
Philipp Matthes widmet sich den erfolglosen Bemühungen der DDR zwischen 1964 und 1974, mittels "Lobbyismus" in Politik, Wirtschaft und Kultur der USA Fuß zu fassen. Auch in den anderen nicht-sozialistischen Staaten verfolgte Ost-Berlin ähnliche Strategien, sodass das Vorgehen selbst wenig überrascht. Doch lässt sich nach Matthes' fundierten Ausführungen quellengestützt feststellen, dass die DDR in keinem anderen westlichen Staat so wenige Erfolge aufweisen konnte wie in den USA. Seine Schlussfolgerung, dass die "Konzentration des SED-Regimes auf die politische Anerkennung und auf die amerikanischen Eliten [...] tragfähige Beziehungen zwischen ostdeutschen Institutionen und amerikanischen Gruppierungen" (58) verhindert habe, ist sicherlich zutreffend, aber nur ein Teil der Erklärung: Hinzu kam die politische und wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit der DDR für die USA.
Weniger gelungen ist der Beitrag von Stefan Meining, der die jüdische Wiedergutmachungsfrage in den Mittelpunkt stellt. Ost-Berlin verfolgte nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Washington 1974 vor allem zwei Ziele mit Blick auf die westliche Supermacht: die Meistbegünstigungsklausel in einem Handelsvertrag sowie einen Staatsbesuch Honeckers. Beides erreichte sie nie. Eine wesentliche Rolle spielte dabei, dass die DDR eine Entschädigung für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ablehnte. Zwar machte die DDR-Führung dem Jüdischen Weltkongress einige Avancen, kam dieser Interessenorganisation jedoch nie weit genug entgegen. Dies war zwar ein "Störfaktor" (61) in den ostdeutsch-amerikanischen Beziehungen, doch welche Rolle er genau spielte, wird in dem Aufsatz, der sich im Übrigen mit der Forschungsliteratur zu wenig auseinandersetzt, nicht recht deutlich. Die Abhandlungen von Matthes und Meining sind die einzigen, die sich mit den politischen Beziehungen befassen: Auch daran wird die Geringschätzung der Herausgeberinnen für dieses Forschungsgebiet deutlich.
Zu welchem Erkenntnisgewinn gelangen nun die anderen Beiträge? Young-Sun Hong geht es um eine "Reihe von kurzen, indirekten [sic!] Kontakten und Begegnungen" zwischen den USA und der DDR in der Dritten Welt (78). Diese waren freilich marginal; gerade bei den Gesundheits- und Hygiene-Ausstellungen, mit denen sie sich befasst, lassen sich solche Treffen überhaupt nicht feststellen. Dies steht in diametralem Widerspruch zu den einleitenden Bemerkungen der Herausgeberinnen, es sei hier "zu einer Vielzahl von Begegnungen und Kontakten" (20) gekommen. Anders verhielt es sich mit der Herrnhuter Brüdergemeine - einer evangelischen Freikirche, deren Zentrum in Sachsen lag, die aber insbesondere in den USA über zahlreiche Mitglieder verfügte. Hedwig Richter geht den Kontakten zwischen ostdeutschen und amerikanischen Herrnhutern nach, deren "geschwisterliche Liebe" (105) sich vor allem in tätiger Solidarität für die bedrängten Brüder und Schwestern in der DDR äußerte. Hier gab es Richter zufolge "ein dichtes internationales Netzwerk, das von der DDR-Regierung nicht aufgeknüpft und trotz einzelner Stasikontakte nicht durchdrungen werden konnte" (121). Auch wenn dies sicher zutrifft, sollte man dabei die Größe dieses "Netzes" nicht aus den Augen verlieren: In den Fünfzigerjahren gab es 5.000 Herrnhuter in der ganzen DDR!
Den Kontakten ostdeutscher und amerikanischer Wissenschaftler widmet sich Jens Niederhut. Auch beim Wissenschaftleraustausch zwischen den USA und der DDR handelte es sich letztlich um ein Minderheitenphänomen. Gleichwohl will Niederhut damit zeigen, "daß nicht-staatliche Akteure in den Ost-West-Beziehungen eine bedeutende Rolle spielten" (124 f.). Dabei achtete die DDR streng darauf, die Kontrolle über den Austausch zu erhalten, während die amerikanischen Organisationen das gegensätzliche Konzept verfolgten, "daß Wissenschaft sich möglichst ungehindert durch staatliche Einflußnahme in personellen Netzwerken entfalten" (136) und auf diese Weise bei den ostdeutschen Wissenschaftlern "eine Stärkung wissenschaftlicher Rationalitätskriterien bewirken" (141) sollte.
Während Herrnhuter und Wissenschaftler tatsächlich in Verbindung zueinander traten, lässt sich im Zusammenhang mit den Themen Film, Literatur und Popmusik weniger von Beziehungen, sondern mehr von Rezeptionsprozessen sprechen. So konstatiert Rosemary Scott, dass zu Beginn der Siebzigerjahre qualitativ hochwertige, gesellschaftskritische Hollywoodfilme in den DDR gezeigt wurden, während seit den frühen Achtzigern die "Blockbuster" das Feld dominierten. Peter Ulrich Weiß befasst sich anhand der DEFA-Produktion "For Eyes Only - Streng geheim" mit der Konstruktion von Amerika-Feindbildern im DDR-Film. Anna-Christina Giovanopoulos geht der Frage nach, welche Kriterien bei der Auswahl amerikanischer Literatur zur Publikation in DDR-Verlagen zugrunde gelegt wurden. Noch spezieller wird es bei Christian Mariotte, der das Amerikabild von drei jüdischen Schriftstellern aus der DDR untersucht. Die Beiträge zu "Pop" in der DDR bzw. in Ost-Berlin von Edward Larkey und Heiner Stahl zeigen - vor allem anhand des Jugendsenders DT 64 - Adaptionsprozesse an die westliche Unterhaltungsmusik: ein direkter Bezug zu den USA ist nicht mehr erkennbar.
So entfernt sich der Band immer mehr von seinem ursprünglichen Ausgangspunkt: Von Beziehungen im Sinne von Kontakten lässt sich vor allem mit Blick auf die letzten drei Sektionen beim besten Willen nicht mehr sprechen. Und auch die Beiträge zu den politischen und nicht-politischen Beziehungen zwischen den USA und der DDR verdeutlichen letztlich, entgegen der Behauptung der Herausgeberinnen, nur deren Marginalität im Rahmen der transnationalen Kontakte des ostdeutschen Staates.
Hermann Wentker