Heinz Gaube / Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.): Konfrontation der Kulturen. Saladin und die Kreuzfahrer (= Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen; Bd. 14), Mainz: Philipp von Zabern 2005, 207 S., ISBN 978-3-8053-3466-2, EUR 24,90
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"Saladin und die Kreuzfahrer: Begegnung oder Konfrontation der Kulturen?" - diese Frage, die Stefan Weinfurter als Überschrift zu seiner Einleitung des Sammelbandes wählt (9), mag in Hinblick auf die Militärgeschichte leicht zu beantworten zu sein. Vielschichtig hingegen fällt die Antwort aus, wenn neuere Ansätze der historischen Kreuzzugsforschung sowie Vertreter von Nachbardisziplinen zu Rate gezogen werden.
Der Band vereint die verschiedenartigsten Beiträge einer Mannheimer Tagung zur Vorbereitung der Saladin-Ausstellung, die die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim in Partnerschaft mit dem Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg und dem Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) veranstaltete. Zu Wort kommen Kreuzzugsforscher verschiedener Fachdisziplinen - Historiker, Orientalisten und Kunsthistoriker. Dabei wurde das Konzept verfolgt, jeweils zwei Beiträge zu einem von vier thematischen Blöcken zusammenzustellen, wobei westliche und orientalische Sichtweisen in Bezug zueinander gestellt wurden.
Anders als der Titel des Bandes suggeriert, steht der Ayyubidensultan nur in einigen Beiträgen im Mittelpunkt der Betrachtung. Der erste thematische Block, "Hof und Höfische Kultur im Hochmittelalter", vereint relativ disparate Herangehensweisen: Martin Kintzinger behandelt in seinem Aufsatz Kulturkontakte und Rezeptionsvorgänge am europäischen Hof des Hochmittelalters. Höfische Diplomatie, die zeitweise zu einem Modus Vivendi führen konnte, sowie die Pflege arabisch vermittelter Wissenschaft an den Nahtstellen christlich-muslimischer Herrschaft (etwa am Hof Alfons' X. von Kastilien) können als Beispiele für - aus heutiger Sicht - gelungene Formen der Akzeptanz des 'Anderen' gelten. Kintzinger sieht aber auch in der höfischen Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters Anzeichen für eine zunehmende Anerkennung des muslimischen Gegners als standesgleich mit dem christlichen Ritter; ein Beispiel hierfür sei der "Willehalm" Wolframs von Eschenbach. Ob ähnliches für die Rolandslegende gelten kann, der es nicht darum gegangen sei "die Sarazenen abzuwerten", wie Kintzinger schreibt (30), mag jedoch zumindest für das altfranzösische und das mittelhochdeutsche Rolandslied und deren Dämonisierung des Gegners bezweifelt werden. Heinz Gaube untersucht die orientalisch-islamische Hofkultur und kommt zu dem Ergebnis, dass seit der späten Umayyadenzeit, vor allem aber der frühen Abbasidenzeit ein Wechsel in der Palastarchitektur stattfand - weg von mediterran-byzantinischen Stilen hin zur iranisch geprägten Bautradition. Auch das literarisch überlieferte aufwändige Hofzeremoniell islamischer Herrscher sei zunehmend iranisch geprägt gewesen. Dagegen sei unter den beiden Herrschern des 12. Jahrhunderts, die die erneute islamische Großreichsbildung forcierten, Nuraddin und Saladin, ein eher bescheidenes Hofleben zu konstatieren - die Prioritäten lagen hier im Kampf für den sunnitischen Islam und gegen die Kreuzfahrer.
Ein zweiter thematischer Block behandelt "Kunst und Kulturtransfer" zwischen Orient und Okzident. Jürgen Krügers Aufsatz lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Architektur der 'Franken' in den Kreuzfahrerstaaten überwiegend an westlichen Modellen orientierte, hebt aber zugleich den nach wie vor gegebenen Anteil orientalischer Christen an der baulichen und künstlerischen Gestaltung von Sakralbauten in der Epoche hervor. Rückwirkungen der orientalischen auf die europäische Baukunst seien beim Burgenbau ebenso zu beobachten wie bei der Sakralarchitektur - hier in Form von Nachbauten oder Teilnachbauten heiliger Stätten. Avinoam Shalem zeigt am Beispiel von Elfenbeinkästchen die verstärkte Nachfrage nach Luxusobjekten orientalischer Provenienz im Westen des 12./13. Jahrhunderts.
"Wahrnehmungsmuster vom anderen und Identitätsbildung" bilden den dritten thematischen Schwerpunkt. Rainer Christoph Schwinges untersucht die Geschichtsinterpretation des Chronisten Wilhelm von Tyrus und erkennt in ihr ein orientlateinisches Identitätsmodell, das auf eine längerfristige Koexistenz christlicher und islamischer Herrschaften im Nahen Osten ausgerichtet war - ein Modell, das freilich mit der Schlacht von Hattin (1187) gescheitert sei. Peter Thorau begründet den Aufstieg der türkischen Mamluken, die schließlich die Reste der Kreuzfahrerherrschaften beseitigen sollten, mit dem Versagen der späten Ayyubidenherrscher im Kampf gegen die Kreuzfahrer. Zum Gedanken des Dschihad, der bereits unter Zangiden und frühen Ayyubiden im Kampf gegen die Kreuzfahrer revitalisiert worden war, habe man nun "zusätzlich ein ethnisches Element als identitätsstiftenden Faktor ins Spiel" gebracht (122).
Die Rezeptionsgeschichte ist der letzte Schwerpunkt des Bandes, der sich mit "Kreationen des Mythos 'Kreuzzüge' vom 11. bis zum 21. Jahrhundert" befasst. Nikolas Jaspert sieht in den Kreuzzügen ein Ereignis, das wie kaum ein anderes im 19. Jahrhundert als "fundierende Erinnerung der europäischen Nationen" gewirkt habe (13). Erst während des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die Kreuzzüge zum ebenso wirksamen Gegenmythos des nachkolonialen Europa. Jaspert macht deutlich, dass die mittelalterliche Erinnerung an die Kreuzzüge schon unter dem ereignisgeschichtlichen Aspekt eine ganz andere sein konnte: Zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert trat neben den historischen Gründungsmythos Erster Kreuzzug im Westen die Erinnerung an einen (fiktiven) Kreuzzug Karls des Großen, die sowohl die kaiserlichen wie auch die französischen Pläne zur (Wieder-)Gewinnung des Heiligen Landes zusätzlich legitimierten. In Hannes Möhrings Aufsatz steht schließlich Saladin selbst im Mittelpunkt der Betrachtung. Möhring beleuchtet den Inhalt des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mythos' vom "edlen Heiden" (160) - Großmut, Freigebigkeit, Vertragstreue, Bildung -, versucht aber gleichzeitig, aus der zeitgenössischen westlichen und islamischen Historiographie ein Bild des 'realen' Saladin herauszuschälen. Saladin habe bei seiner Behandlung Andersgläubiger in Übereinstimmung mit den koranischen Vorgaben gestanden, was allerdings im hochmittelalterlichen Westen nicht wahrgenommen worden sei - hier sei Saladins Großmut als Tugend eines Einzelnen gelobt worden und habe keinen Einfluss auf das Negativbild vom Islam gehabt. Rezeptionsgeschichtlich bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass nach Jahrhunderten weitgehenden Desinteresses an Saladin auf muslimischer Seite die positive Erinnerung von westlicher Seite her neu im Vorderen Orient implementiert wurde, bevor sie im 20. Jahrhundert antiwestlicher Propaganda dienstbar gemacht wurde. Dabei betont der Verfasser, dass Saladin als Vorkämpfer der Sunna für die Schiiten eher ein negatives Herrscherbild vermittele.
Bernd Schneidmüller versucht in der Zusammenfassung, die Beiträge zu bündeln und zugleich einen Einblick in den Diskussionsverlauf zu geben - was angesichts der Vielfalt der gewählten Zugänge überaus dankenswert ist. Abgesehen von den zahlreichen behandelten Einzelaspekten besteht der Wert des Bandes vor allem darin, die "Kraft der Mythenbildung" (186) aufgezeigt zu haben - eine Kraft, die in Hinblick auf die Erinnerung an die Kreuzzüge in Ost wie West nach wie vor wirksam ist.
Dirk Jäckel