Anton Minkov: Conversion to Islam in the Balkans, Leiden / Boston: Brill 2004, xvi + 280 S., ISBN 978-90-04-13576-5, EUR 99,00
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Eines der umstrittensten Themen der gesamten islamischen Geschichte stellt der mögliche Verlauf der Islamisierung dar. In der hier zu besprechenden Monografie versucht der Autor, diesen Prozess auf dem Balkan näher zu beschreiben. Der Gegenstand ist nicht unproblematisch, da seine wissenschaftliche Behandlung von diversen nationalistischen Untertönen begleitet wird. Anton Minkov möchte diese unzulässige Sichtweise natürlich möglichst vermeiden. Dabei kommt ihm sehr zugute, dass er seine Abhandlung auf eine durchaus solide Quellenbasis stellen kann. Es handelt sich um 634 Petitionen, die Konvertiten oder solche, die noch zum Islam übertreten wollten, an den jeweiligen osmanischen Sultan richteten. Für ihre Konversion konnten sie eine Entlohnung in Bargeld erwarten, die in der Finanzverwaltung gemeinhin unter dem Terminus kisve bahası figurierte. Die überwiegende Zahl der Gesuche, nämlich 601, stammt aus den Archiven der bulgarischen Nationalbibliothek in Sophia und deckt die Zeitspanne von 1670 bis 1730 ab.
Bei näherer Hinsicht (Kap. 4, 110-144) entpuppen sich die Dokumente allerdings als recht sperrig, wenn es darum geht, konkrete Aussagen zu Motivation und Hintergründe des individuellen Religionswechsels zu machen. Die kisve-bahası-Petitionen gehörten zum osmanischen Kanzleischrifttum und wurden in der Regel nicht von den Antragstellern selbst, sondern von offiziellen Schreibern aufgesetzt. Ihr formaler Aufbau entsprach durchweg dem gängigen Muster. Insofern folgten viele Angaben standardisierten Vorgaben. Interessant sind für uns in erster Linie die Daten und Erklärungen in der expositio der Bittschreiben. Hier finden sich neben den Personalien auch die Gründe für den Übertritt und die erbetenen Ausgleichsforderungen. Letzten Endes sind die Einzeldokumente aber nicht wirklich aussagekräftig, wenn es um gesamtgesellschaftliche Entwicklungen geht. Erst in der Gesamtschau aller Petitionen lassen sich diesbezüglich vorsichtige Tendenzen benennen. Diese Ausdeutung des Materials unternimmt Minkov in den beiden Schlusskapiteln seiner Studie (145-192, s. u.). Damit beträgt der - selbstverständlich durchaus gewichtige - Analyseteil der Arbeit allerdings nicht mehr als 80 Seiten. Dies mag der Grund dafür sein, dass das Buch mit drei kontextualisierenden Kapiteln beginnt.
Der Verfasser setzt sinnvollerweise ein mit einer Vorstellung und Erläuterung der gängigen Theorien zu Islamisierungsprozessen in vorosmanischer Zeit (Kap. 1, 9-27). Er akzeptiert im Großen und Ganzen die bekannten Ansätze von D. C. Dennett und R. W. Bulliet. [1] Die Konversion zur Religion der Eroberer vollzog sich langsam und kontinuierlich über Jahrhunderte hinweg. Zu einem gewissen Abschluss kam es in den Kerngebieten erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts.
Auf dem Balkan verlief die Islamisierung ab dem 15. Jahrhundert ähnlich wie in der Anfangszeit der muslimischen Eroberungen. (Kap. 2, 28-63). Die osmanische Herrschaft brachte keine große Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen mit sich, sodass zunächst für den Einzelnen kein Grund bestand, die eigene Religion aufzugeben. Erst im Zuge muslimischer Kolonialisierungsbemühungen kam es am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einer ersten Konversionswelle unter der indigenen Bevölkerung. In den 1640er-Jahren trat dann ein nicht unerheblicher Teil der ruralen Bevölkerung zum Islam über. Eine dritte, kurze Phase setzte schließlich in dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts ein.
Letzten Endes gibt es keine einfache Erklärung für die relativ erfolgreiche Islamisierung der Bevölkerung auf dem Balkan (Kap. 3, 64-109). Im 15. Jahrhundert konvertierten ausschließlich Militärs, die auf diesem Weg ihre hervorgehobene Position in der Gesellschaft behalten wollten. In der Folgezeit nahmen der Wohlstand und damit auch die Akzeptanz der osmanischen Herrschaft zu, was wiederum zu einer verstärkten Annahme des Islams führte. Vor allem Handwerker und Händler sahen darin eine Chance, ihre Lebenssituation ohne viel Aufwand zu verbessern. Die Bauern folgten in so großer Zahl im 17. Jahrhundert, dass man sogar von einem "Bekehrungszeitalter" sprechen kann. Eine Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen und die Unfähigkeit der orthodoxen Kirche, als spirituelle Kraft zu wirken, unterstützten diesen Prozess in entscheidender Weise.
In dieser Zeit, also im 17. Jahrhundert, etablierte sich die Institution der kisve-bahası-Petitionen (Kap. 5, 145-165). Beinahe täglich kam der Sultan oder ein ranghoher Höfling den Bittgesuchen im Palast nach und hieß die Konvertiten in der neuen Gemeinde mit einer gewissen Bargeldsumme willkommen. Bisweilen bot man den Neu-Muslimen auch kleinere Posten in der Verwaltung oder in der Armee an. Auf diese Weise konnte man auch die Janitscharentruppe auffüllen, ohne auf das ungeliebte Instrument der "Knabenlese" (devşirme) zurückgreifen zu müssen. Grundlage war stets die vollkommen freiwillige Hinwendung zum islamischen Glauben.
Doch welche Leute waren es nun, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten? Hier lassen sich, wie oben bereits angedeutet, auf der Grundlage der über 600 ausgewerteten kisve-bahası -Petitionen einige Grundzüge - zumindest für die Zeit von 1670 bis 1730 - erkennen (Kap. 6, 166-192). Die meisten Bittsteller kamen aus den urbanen Segmenten der Bevölkerung. Allerdings fanden sich ab und zu auch Bauern aus den nordöstlichen Regionen des Balkans. Überwiegend haben wir es mit unverheirateten Männern der unteren sozialen Schichten zu tun. Wenn Frauen zum Islam übertraten und im Rahmen einer kisve-bahası -Petition bei Hofe vorstellig wurden, so waren sie normalerweise verwitwet. Ansonsten werden in den Dokumenten Waisenkinder, alleinstehende Väter und Mütter, ältere Personen, die über kein festes Einkommen verfügten, und Fremdstämmige ohne soziale Bindung genannt. Der größte Teil von ihnen gehörte der orthodoxen Kirche an, einige wenige dem Judentum oder der monophysitischen armenischen Kirche. Ganz selten konvertierte einer der in einer der kleinen Städte lebenden Katholiken. Insgesamt ist eine sehr pragmatische Motivation für den Glaubenswechsel festzuhalten. Es ging häufig ganz banal um das Geld. Daneben spielte vor allem die Verheißung auf einen möglichen sozialen Aufstieg eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, Muslim oder Muslima zu werden. In den seltenen Fällen, in denen hochrangige Persönlichkeiten konvertierten, war ihnen offenbar im Voraus eine gleichwertige oder bessere Position in der muslimischen Verwaltung oder im Militär zugesichert worden. Der Übertritt zum Glauben der herrschenden Schicht bedeutete für die Konvertiten einen Bruch mit der Vergangenheit. Das Verhältnis zu den Anhängern der früheren Konfessionsgruppe war dauerhaft zerrüttet. Oftmals entfremdete man sich mit diesem Schritt dauerhaft der eigenen Familie und dem ehemaligen sozialen Umfeld.
Anton Minkov hat mit seinem Werk eine wichtige, paläografisch äußerst anspruchsvolle und bisher von den Osmanisten vernachlässigte Quelle erschlossen. Obgleich das Material insgesamt vielleicht doch nicht so aussagekräftig wie gewünscht ist, kann man mithilfe der kisve-bahası -Petitionen zum einen diese bemerkenswerte Institution genau beschreiben und zum anderen zumindest skizzenhaft die Geschichte der Islamisierung des Balkans nachzeichnen. Es ist hier von einem langsamen Prozess auszugehen, der im 15. Jahrhundert einsetzte, ein Säkulum darauf ein weit verbreitetes Phänomen war und schließlich im 17. Jahrhundert zu einer Massenbewegung wurde. Am Anfang des 18. Jahrhunderts waren etwa 40% der Bevölkerung auf dem Balkan Muslime. Dass diese Entwicklung dann zu einem jähen Halt kam, lag sicherlich mehr an den veränderten politischen Umständen (Stichwort: Rückzug der Osmanen) als an inneren gesellschaftlichen Umbrüchen. Die gelungene Studie wird abgerundet durch drei sehr nützliche Anhänge. Zum einen bietet uns der Verfasser 15 ausgewählte kisve-bahası -Petitionen als Faksimile und zum anderen jeweils eine kommentierte Übersetzung. Schließlich erfährt man anhand von zwei Listen, in welchen Archiveinheiten der bulgarischen Nationalbibliothek bzw. des Istanbuler Reichsarchivs sich die Dokumente befinden.
Anmerkung:
[1] D. C. Dennett: Conversion and the Poll Tax in Early Islam, Cambridge 1950; R. W. Bulliet: Conversion to Islam in the Medieval Period: An Essay in Quantitative History, Cambridge 1979.
Stephan Conermann