Richard J.A. McGregor: Sanctity and Mysticism in Medieval Egypt. The Wafaʾ Sufi Order and the Legacy of Ibn ʿArabi, Albany, NY: State University of New York Press 2004, 246 S., ISBN 978-0-7914-6011-5, USD 27,95
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Viele zum Teil auch heute noch aktive mystische Bruderschaften entstanden im islamisch-arabischen Kulturkreis während des 12. und 13. Jahrhunderts. Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Sufiorden insbesondere in der Phase ihrer Entstehung und frühen Entwicklung ist noch kaum erforscht. Zwar liegen zahlreiche religionswissenschaftliche Studien über einzelne Mystiker und ihre Werke vor - und hierzu zählen im Besonderen Arbeiten über den herausragenden Autor mystischer Schriften Ibn ʿArabī (gestorben 1240). Doch aus historischer Perspektive, etwa unter Berücksichtigung der Sozialgeschichte, wurden Sufiorden im Mittelalter nur selten untersucht.
Das Buch von Richard McGregor widmet sich einem Sufiorden, der im 14. Jahrhundert von Muḥammad Wafāʾ (gestorben 1363) in Ägypten gegründet wurde und dort bis Anfang des 20. Jahrhunderts aktiv am gesellschaftlichen Leben speziell der Stadt Kairo beteiligt war. Auch McGregor ist Religionswissenschaftler und widmet sich der theoretischen Konzeption von Heiligkeit, wie sie von dem Ordensgründer und seinem Sohn ʿAlī Wafāʾ (gestorben 1405) in ihren Schriften ausgearbeitet wurde. Er interessiert sich dabei aber ganz besonders für die gesellschaftliche und identitätsstiftende Funktion einer solchen Konzeption von Heiligkeit und schafft es mit Geschick, die mystischen Schriften in ihren historischen Kontext einzubetten, so dass ein plastisches Bild der beiden Personen und ihres Netzwerkes und der sie verbindenden Ideen entsteht.
McGregor interessiert sich aber auch für die Herkunft der mystischen Ideen bei diesen beiden Denkern, betreibt also Ideengeschichte. Zunächst erläutert er in Kapitel 1, was frühere mystische Denker über Heiligkeit zu sagen hatten. Dabei hebt er die Gedanken von Hakīm at-Tirmiḏī (gestorben ca. 910) hervor, der zwei Arten von Heiligen unterscheidet: Solche die durch Gottes Gnade Äußerungen hören, ohne sich über deren Wahrheit sicher zu sein, und solche auf einer höheren Stufe, die durch Gottes Großzügigkeit dessen Rede mit Gewissheit hören. Darüber stehen die Propheten und Gesandten. Am Ende der Welt wird es einen letzten und höchsten Heiligen geben, parallel zum Propheten Muḥammad, der als letzter und bester die Reihe der Propheten beschloss. Ibn ʿArabī hat dann im 13. Jahrhundert ein sehr komplexes System unterschiedlicher Grade von Heiligen entwickelt. In dieses integriert er auch die Propheten und gelangt zu der Vorstellung von zwei besiegelnden Figuren, eine, die im Laufe der Geschichte die muḥammadanische Heiligkeit besiegelt und mit der er sich selbst identifiziert, sowie Jesus, der am Ende der Zeiten als Messias die allgemeine Heiligkeit besiegeln wird.
Muḥammad Wafāʾ war zunächst ein Anhänger der Šāḏiliyya-Bruderschaft, die von Abū al-Ḥasan aš-Šāḏilī (gestorben 1258) in Alexandria gegründet worden war. Deshalb erläutert McGregor in Kapitel 2 die von Vertretern der frühen Šāḏiliyya entwickelten Ideen zum Konzept der Heiligkeit. Hierfür stellt er zunächst das zur Verfügung stehende Schriftmaterial klar und deutlich vor. Dabei legt er besonderen Wert auf den bislang noch wenig bekannten Ibn Bāḫilā (gestorben 1332), der direkte Lehrer von Muḥammad Wafāʾ, und beschreibt die frühe historische Entwicklung dieses Sufiordens, den er als konservativ einschätzt, den Unterricht der Adepten betonend, ohne Scheu vor Kontakt mit Machthabern und sich in ihrem Ritual auf Bittgebet und Predigt (im Gegensatz etwa zu Tanz und Musik) konzentrierend. Diese Mystiker folgten nicht dem ausgefeilten System des Ibn ʿArabī, sondern unterschieden eine kleinere und eine größere Heiligkeit, die das Prophetentum nach dem Tode Muḥammads in der Welt weiterführt. Spekulationen über das Ende der Zeit oder das Siegel der Heiligkeit finden sich laut McGregor nicht.
Im 3. Kapitel wird die Entstehung und spätere Entwicklung der Wafāʾiyya-Bruderschaft anhand biographischen und historischen Quellenmaterials dargestellt, ihre Häuser und Konvente beschrieben und, so weit heute noch vorhanden, durch einige Fotos dokumentiert (dies trifft aber nur auf die Stiftungen des 18. Jahrhunderts zu) und mit einer Karte lokalisiert. Die allermeisten der Schriften von Muḥammad und ʿAlī Wafāʾ liegen bislang nur in Handschriften vor. Daher listet McGregor im 4. Kapitel möglichst vollständig ihre Werke auf, die er auch knapp vorstellt. Neben ihren zentralen mystischen Traktaten über unterschiedliche Themen, die unterschiedlich stark philosophisch ausgeführt sind, verfassten sie Gedichte und Gebete, juristische Werke und einen Korankommentar.
Schließlich wird Muḥammad Wafāʾs Vorstellung von Heiligkeit analysiert. McGregor beschreibt, wie dieser die Idee eines Siegels der Heiligkeit mit der Idee eines alle hundert Jahre erscheinenden Erneuerers der Religion verbindet und diese Funktion sich selbst zuschreibt als achtem, abschließendem Heiligen nach sieben Jahrhunderten in der Nachfolge Muḥammads, so wie Muḥammad als Letzter nach sieben vorherigen Propheten diese Reihe beschloss. McGregor geht zunächst auf die Konzeption des absoluten Seins ein, das in Ibn ʿArabīs Tradition Grundlage des Weltverständnisses von Muḥammad Wafāʾ darstellt. Gott und seine Schöpfung bilden eine Einheit, wobei die Partikularitäten durch Gottes Selbstenthüllung entstehen. Diese Selbstenthüllung bringt dem Menschen einerseits das Göttliche näher, andererseits wirkt sie wie ein Schleier. Die Funktion des Heiligen ist in diesem Sinne ein besonders deutliches Zeichen Gottes für die Menschen, die sich von ihm leiten lassen. Indem sie den Heiligen erkennen, erkennen sie sich selbst und damit Gott.
Muḥammad und ʿAlī Wafāʾ legten keinen Wert auf die Führung der Adepten im Detail. Ihr Orden war in diesem Sinne sehr elitär und beschränkte sich entsprechend auf eine kleinere Gruppe; auch später entwickelte er sich nicht zu einer größeren mystischen Bewegung. Es ging den beiden Mystikern um die innere Erkenntnis und sie selbst sahen sich als zentrale heilsgeschichtliche Figuren. Nach dem Tod des Vaters führte ʿAlī Wafāʾ den Orden und entwickelte die Vorstellungen zur Heiligkeit dahingehend weiter, dass er für sich selbst einen Platz schuf. Er beschrieb seinen Vater zwar als größten Heiligen, mit dem die Endzeit anbrach, doch sah er sich selbst als endzeitliches Siegel der Heiligkeit. Hier zeigte sich der wirkungsmächtige Diskurs über den realen Anbruch des Weltuntergangs, der im 14. Jahrhundert geführt wurde.
Das Buch von McGregor ist sehr systematisch aufgebaut und in einer gut lesbaren Sprache verfasst. Er nähert sich langsam, aber stetig und damit sehr einleuchtend und überzeugend seinem zentralen Thema. Es sind nur wenig Tippfehler aufgefallen, die hier nicht aufgelistet werden sollen. Dagegen möchte ich auf die Inkonsequenz bei den Datenangaben hinweisen. So ist Muḥammad Wafāʾ einmal im Jahr 702/1301, dann 702/1302 geboren (50 und 70), während der letzte Vertreter der Wafāʾiyya sowohl 1324/1907 als auch 1324/1906 starb (und das auf der gleichen Seite: 57). Es mag umständlich erscheinen, aber in Anbetracht dieser Beliebigkeit ist es doch sinnvoller eine doppelte Jahreszahl als christliches Äquivalent zum muslimischen Jahr anzugeben. Das Jahr 702 entspricht übrigens 1302/1303. Eine weitere Inkonsequenz liegt in der Wiedergabe arabischer Begriffe, die willkürlich meist in Umschrift, aber oft auch in arabischer Schrift in Klammern gesetzt werden. Dies sind aber Kleinigkeiten, die den Wert dieser insgesamt sehr gelungenen und detailreichen Studie nicht beeinträchtigen.
Syrinx von Hees