Hauke Janssen: Milton Friedman und die "monetaristische Revolution" in Deutschland (= Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie; Bd. 29), Marburg: Metropolis 2006, 155 S., ISBN 978-3-89518-561-8, EUR 17,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hartmut Berghoff / Jakob Vogel (Hgg.): Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt/M.: Campus 2004
Dierk Hoffmann / Andreas Malycha (Hgg.): Erdöl, Mais und Devisen. Die ostdeutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen 1951-1967. Eine Dokumentation, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016
Helmut Marcon / Heinrich Strecker (Hgg.): 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Leben und Werk der Professoren. Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen und ihre Vorgänger (1817-2002), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004
Im November 2006 starb der amerikanische Ökonom, Milton Friedman, im Alter von 94 Jahren in San Francisco - fast zur selben Zeit erschien ein Buch des Hamburger Ökonomen Hauke Janssen, der vor allem wegen seiner Studie zur Nationalökonomie des Nationalsozialismus auch in Historikerkreisen bestens bekannt ist. Beachtlich an Janssens neuestem Buch ist aber nicht nur das 'timing', sondern seine Anlage. Es widmet sich der Rezeptionsgeschichte des "Monetarismus" in der Bundesrepublik Deutschland bis in die späten 1970er-Jahre, als die "monetaristische Revolution" sich hierzulande im Bereich der wissenschaftlichen Geldtheorie, vor allem aber in Gestalt der Geldpolitik der Bundesbank allgemein durchsetzte. Unter Monetarismus ist dabei die strikte Beschränkung der staatlichen Wirtschaftspolitik auf die Formulierung eines Ziels für das Geldmengenwachstum zu verstehen, das die Zentralbank jeweils nach dem Wachstum des Sozialprodukts und transparent für die Konsumenten gestalten solle, während weitergehende finanzpolitische Interventionen unerwünscht sind. Bis zum Umschwenken zum Monetarismus im Jahr 1974 hatte sich die Bundesbank von einer keynesianisch motivierten Liquiditätspolitik leiten lassen, bei der die Leitzinsen die wichtigste Rolle haben, weil man glaubte, mit ihnen die unternehmerische Investitionstätigkeit unmittelbar beeinflussen zu können.
Janssen beginnt seine Darstellung mit der Biografie Friedmans, der zunächst noch dem Keynesianismus zuneigte. Die frühen Arbeiten Friedmans auf dem Gebiet der Konsumtheorie führten indes schließlich zur Fundamentalkritik an der keynesianischen Konsumfunktion, der Friedman eine ungerechtfertigte Fixierung auf das laufende Einkommen als zentralen Faktor der Konsumausgaben nachwies, um im Gegenzug die Hypothese aufzustellen, wonach der Konsum vom erwarteten Lebenszeit-Einkommen abhängt. In den späten 1940er-Jahren entwickelte sich in Auseinandersetzung mit dem Keynesianismus auch seine geldtheoretische Gegenposition zu Keynes, die zur Rehabilitation der "Quantitätstheorie" führte. Die Quantitätstheorie unterstellt einen stabilen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau: Da die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes als konstant angenommen wird, führe die Erhöhung der Geldmenge lediglich zu einer Erhöhung des Preisniveaus, also zu Inflation. Keynes war unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise von dieser Perspektive abgegangen und hatte eine in Krisenzeiten erhöhte "Liquiditätspräferenz" der Wirtschaftssubjekte angenommen, die nur mit einer inflationären Erhöhung der Geldmenge überwunden werden könne. Auch diese Argumentation der "General Theory" versuchte Milton Friedman in den 1950er-Jahren auf der Grundlage von empirischen Messungen der Geldnachfrage und des Geldangebots in der amerikanischen Geschichte zu widerlegen und kam zu dem Befund, dass die Krise der 1930er-Jahre durch eine verschärfende Geldmengenpolitik verursacht worden war. Innerhalb der amerikanischen Wirtschaftswissenschaft entwickelte sich Friedmans Lehre seit den frühen 1960er-Jahren zu einem anerkannten Paradigma, was durch seine Wahl zum Präsidenten der American Economic Association 1965 bestätigt wurde. Neben der strikt empirischen Überprüfung der keynesianischen Konsumfunktion und der Geldtheorie - so Janssens Bilanz - sei es Friedman aber nicht gelungen, die monetaristische Position zu einer hegemonialen makroökonomischen Theorie weiterzuentwickeln. Erst mit der "Theorie der rationalen Erwartung" - so wäre zu ergänzen - setzte sich seit Beginn der 1970er-Jahre der monetaristische Vorläufer auch als wissenschaftlicher ökonomischer 'mainstream' an den Universitäten durch.
Die bundesdeutsche Volkswirtschaftslehre - das ist die zentrale These Janssens in Bezug auf die Rezeptionsgeschichte - habe diese Entwicklung nur mit einer Zeitverzögerung und schleppend erkannt. Durch die letztlich auf den Nationalsozialismus zurückgehende verspätete Rezeption des Keynesianismus sei dieses Paradigma noch sicher und unbestreitbar in Deutschland gewesen, als es in den USA bereits zu wanken begann. Zwar sei eine frühe Publikation von Friedman bereits 1959 in der Zeitschrift "Ordo" zu finden, die Rezeption des Monetarismus habe aber erst am Ende der 1960er-Jahre eingesetzt, unter anderem getrieben durch eine jüngere Generation von Ökonomen, die nun im Umkreis des aus den USA nach Konstanz berufenen Karl Brunner, von dem auch der Begriff "Monetarism" 1968 geprägt wurde (Friedman lehnte diesen Begriff Zeit seines Lebens ab), das "publizistische Sperrfeuer" auf den Keynesianismus eröffneten (107). 1974 ging die Bundesbank als erste zentrale Notenbank der Welt zu einer Geldmengensteuerung über, nachdem im Sachverständigenrat etwas früher die keynesianischen Theoretiker in eine Minderheitsposition geraten waren.
Für die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik ist diese Trendwende in der bundesdeutschen Geldpolitik von eminenter Bedeutung. Das Verdienst der Arbeit von Janssen ist es, den dahinter stehenden wirtschaftstheoretischen Akzentwechsel systematisch erläutert zu haben. Im Gegensatz zu den Vorarbeiten zur Entwicklung der Geldtheorie - beispielsweise von Rudolf Richter [1] - konzentrierte sich Janssen dabei auf die Person und Ansätze Friedmans, was die Erzählung spannend macht, aber auch Folgekosten birgt. Die überragende Rolle der Saarbrückener Geld- und Währungstheoretiker Wolfgang Stützel und Egon Sohmen (Letzterer hatte lange Jahre am MIT verbracht, bevor er schon 1961 nach Saarbrücken berufen wurde) wird von Janssen nicht erwähnt. Robert Mundells 1962 entwickelte Theorie des optimalen Währungsraumes wird nicht systematisch eingeführt. Dieser Theorie zufolge ist eine monetaristische Geldmengensteuerung nur in einem System flexibler Wechselkurse der keynesianischen Finanzpolitik überlegen und wurde für die Bundesrepublik also erst mit dem Zusammenbruch der internationalen Währungsordnung von Bretton Woods zu einer zweckmäßigen Strategie. Überhaupt kommt der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Geldtheorie und der internationalen Währungsordnung bei Janssen für meinen Geschmack ganz wesentlich zu kurz.
Janssen geht in seiner Interpretation von der mittlerweile fast klischeehaft verwendeten Floskel der "Rückständigkeit" der bundesdeutschen Volkswirtschaftslehre aus. Klischeehaft ist diese Vorstellung deshalb, weil man "Fortschritt" in einer Wissenschaft nur schwer messen kann, es sei denn, als Maßstab wird das sich letztlich durchsetzende Paradigma genommen (was aber, das lehrt das Beispiel des Keynesianismus, kaum adäquat ist). Die systematische Auswertung der westdeutschen wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften, auf der Janssens These basiert, ist dabei schon aus dem Grund nicht geeignet, die Frage der Rückständigkeit zu beantworten, weil die bundesdeutschen Volkswirte die amerikanischen Diskussionen aus den dortigen Fachzeitschriften rezipierten und auch dort publizierten. Es müsste also zunächst einmal der Zeitpunkt datiert werden, wann nationale Wissenschaftszusammenhänge im Bereich der Ökonomie sich auflösten. Eine alternative Erklärung für die Rezeptionsgeschichte des Friedman-Paradigmas könnte in der stärkeren Orientierung der bundesdeutschen Volkswirtschaftslehre am Produktionsaspekt liegen, während die Geldtheorie (gleich welcher Provenienz) hierzulande bis in die späten 1960er-Jahre eine im Vergleich zum Ausland untergeordnete Rolle spielte. Lehrstühle für Geld- und Währungstheorie gab es selbst nach der ersten Expansionsphase der Universitäten nur vereinzelt. In den Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik und den Ausschüssen spielte die Geldtheorie bis dahin eine untergeordnete Rolle. Auch auf dem Feld der Geldtheorie herrschten nicht zufällig die Bundesbanker. Es wäre daher zu überlegen, ob die nach Janssens Meinung verspätete Rezeption Friedmans auf die spezifische strukturelle Interessenlage der akademischen Volkswirtschaftslehre in der Bundesrepublik zumindest anteilig zurückzuführen ist. Hauke Janssen hat mit seinem gut lesbaren und auch für den Laien verständlichen Buch derartige Überlegungen aufgeworfen und angesichts der begonnenen historiografischen Eroberung der 1970er-Jahre bleibt zu hoffen, dass es weitere Forschungen anregt.
Anmerkung:
[1] Rudolf Richter: Die Geldpolitik im Spiegel der wissenschaftlichen Diskussion, in: Deutsche Bundesbank (Hg.): Fünfzig Jahre Deutsche Mark: Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, München 1998, 561-606.
Jan-Otmar Hesse