Rainer Pape: Anton Fürstenau, des Kaisers Kommissar (1593 - 1653). Historisches aus der Reichsstadt Herford, Herford: Selbstverlag Dr. Rainer Pape 2005, 448 S., ISBN 978-3-9810138-0-1, EUR 34,50
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Das vorliegende Buch des ehemaligen Herforder Museumsrates verfolgt zwei, zum Teil konkurrierende Ziele. Einerseits versucht der Autor mit dem alten borussischen Geschichtsbild zu brechen und dabei das Verhältnis des Herforder Stadtrates zum Großen Kurfürsten im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Reichsunmittelbarkeit der Stadt neu zu beleuchten. Er kritisiert die preußische Geschichtsschreibung, die seiner Meinung nach zu Unrecht das Verhalten des Kurfürsten gegenüber der Stadt durch einseitige Quellen zu legitimieren versucht habe. Andererseits richtet sich dieses Buch ausdrücklich gerade nicht an Fachhistoriker, sondern an "aufgeschlossene Bürger Herfords" (9). Diese populärwissenschaftliche Sichtweise kann damit auch als ein Identifikationsangebot gelesen werden, welches von der Absicht geleitet ist, das "aufopfernde" (122) und "ehrenamtliche" Engagement (229) des Anton Fürstenau für seine Stadt als ein der Vormoderne entnommenes Vorbild herauszustreichen.
Das Buch besteht aus über sechzig kleinteiligen und daher nicht weiter untergliederten Kapiteln. Erwartet der Leser einen biographischen Abriss, wird er zunächst enttäuscht, denn die erste Hälfte des Buches ist vor allem dem gewidmet, was im Untertitel als "Historisches" bezeichnet wird. Nur am Rande beschäftigen sich die ersten Kapitel mit dem Protagonisten des Buches, stattdessen erfährt man einiges etwa zum sogenannten Herforder Kohlfest oder zum Simplicissimus. Seiner Biographie widmet sich der Autor erst in der zweiten Hälfte des Buches, wobei auch hier viele Passagen unstrukturiert aneinandergereiht und von zusammenhangslosen Zitaten und Episoden aus der westfälischen Landesgeschichte unterbrochen werden.
Im Kern beschäftigt sich das Buch mit der Eingliederung der zwischen 1631 und 1652 wiederholt auf Reichsebene als reichsunmittelbar anerkannten Stadt Herford in die Grafschaft Ravensberg. Pape untersucht die politischen Entwicklungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und geht den Gruppierungen nach, welche im Ringen um die städtische Reichsfreiheit aktiv wurden. Als Hauptakteur wird Anton Fürstenau vorgestellt, der als finanzkräftiger Kaufmann im Dreißigjährigen Krieg wirtschaftliche Beziehungen zu etlichen Reichsfürsten pflegte, zum kaiserlichen Kommissar im Westfälischen Kreis aufsteigen konnte und sich dank seiner Kontakte einige Jahre im Auftrag des Stadtrates erfolgreich um reichsständische Unterstützung gegen Brandenburg bemühte. Nach Pape habe die Geschichtsschreibung jedoch des Kommissars Ruhm verkannt, da ihm die preußische Historiographie unrechtmäßiges Vorgehen nachgesagt habe. [1]
Der Autor unterstellt Fürstenau eine "Liebe zum Nächsten" (207), eine "bürgerschaftlich-hansische Gesinnung" (227) sowie ein "leidenschaftliches Aufbegehren gegen jede Art von Ungerechtigkeit" (159). Dabei werden auch Vermutungen über Fürstenaus Mitwirkung in kirchlichen und politisch-sozialen Angelegenheiten innerhalb der Stadt aufgestellt, wie beispielsweise seine Rolle bei der Abschaffung der Hexenprozesse (153). Nahezu prosaistisch werden die für Fürstenau postulierten Charakterstärken mit den negativen Eigenschaften des Großen Kurfürsten kontrastiert, der "arrogant" (384) und "nimmer-satt" (223) gewesen sein soll und angeblich von seinen "Machtgelüsten" (96) getrieben wurde.
Zu diesen heftigen Urteilen kommt der Autor aufgrund der militärischen Besetzung der reichsunmittelbaren Stadt Herford im Jahre 1647 durch den Kurfürsten, die dieser mit dem komplizierten Rechtsverhältnis zwischen Stadt und Reichsabtei Herford, die unter brandenburgischer Schutzherrschaft stand und ihre Rechte an der Stadt abgetreten hatte, zu begründen versuchte. Trotz wiederholter Bestätigung der Reichsunmittelbarkeit wurde die Stadt nach fünfjähriger Besetzung de facto mediatisiert. Während dieser Zeit war Fürstenau als Gesandter tätig, um die Freiheit der Stadt zu sichern. Doch schon bald nach Absetzung des Rates zerbrach die innere Einigkeit der Bürgerschaft und Fürstenaus Repräsentationsrecht wurde widerrufen. Nach Pape habe sich die Stadt nun hinter dem Privatmann Fürstenau versteckt, wäre aber weiterhin an den Aktionen beteiligt gewesen, obwohl keine Hilfen seitens der Stadt nachgewiesen werden könnten (324).
Erst als eine kaiserliche Restitutionskommission in Herford erschien, erneuerte der Rat das Mandat Fürstenaus bei den Reichsständen. Im Jahre 1650, nach längerer Belagerung der Stadt, unterwarf sich der Rat jedoch ein zweites Mal dem Kurfürsten und sprach Fürstenau wieder die Vertreterrolle ab. Gleichwohl behauptet Pape, dass die Bürgerschaft trotzdem die Handlungen des Gesandten inoffiziell unterstützt haben soll. Als Belege werden von Fürstenau herausgegebene Briefe anonymer "Patrioten" angeführt, die die bürgerschaftliche Unterstützung seiner Aktionen beweisen sollen. Fürstenau sei kein unrechtmäßiger Diplomat gewesen, sondern habe nur aufgrund seines Erfolgs beim Kaiser und den Reichsständen den "stolzen Herrscher zutiefst verletzt" (356). Die zeitgenössische Publizistik habe anschließend einen "Rufmord" an ihm begangen, dem die moderne Historiographie gefolgt sei, welche Fürstenau als Aufwiegler gegen die brandenburgische Herrschaft angeprangert hätte.
Obwohl Pape versucht, Fürstenaus Handeln auf eine rechtlich eindeutige Basis zu stellen, wird dessen Rolle im Konflikt zwischen dem Stadtrat und dem Kurfürsten auch nach der Lektüre nicht deutlich. Denn obwohl Pape Fürstenaus Opferbereitschaft für seine reichsfreie Heimatstadt zu unterstreichen versucht, bleiben die Argumente, auch aufgrund chronologischer Sprünge, undurchsichtig. Als Beleg wird häufig die späte Streitschrift Fürstenaus aus dem Jahre 1653 herangezogen, ohne dass die politischen Motive dieser Deduktion mitreflektiert werden. Grundsätzlich vermittelt Pape den Eindruck, dass zwar im Reich auf Fürstenaus Einwirken hin die Reichsstandschaft der Stadt anerkannt wurde; gleichzeitig aber habe sich zumindest im Verlaufe der Zeit die Bürgerschaft vor Ort gegenüber dem anwesenden Kurfürsten bereit gezeigt, ihn als Landesherrn anzuerkennen. Fürstenaus Einsatz in Osnabrück, Regensburg und Wien scheint demnach den Bedürfnissen der Bürgerschaft nur bedingt entsprochen zu haben. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verlauf der Eingliederung der Stadt in das territoriale Gefüge Ravensbergs wären daher nicht nur die rechtlichen Grundlagen, sondern auch die Handlungsspielräume der unterschiedlichen Parteien in den rechtswirksamen symbolischen Handlungen, welche in dem Werk nur am Rande Erwähnung finden, noch genauer zu überprüfen und zu interpretieren.
Das Ziel des Buches, alte, tradierte Geschichtsbilder zu revidieren, ist zu begrüßen. Doch wird diese Absicht schon durch die Anlage des Werkes untergraben. Denn der Autor stilisiert die Herforder zur demokratieliebenden Bürgerschaft und kritisiert gleichzeitig in polemischem Stil das brandenburgische Vorgehen und die preußische Geschichtsschreibung. Dabei verzichtet der Autor auf einen wissenschaftlichen Apparat, erwähnt weitere Literatur nur in Einzelfällen und arbeitet gleichzeitig mit anachronistischen und psychologisierenden Vergleichen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Buch ist daher nur schwer möglich, insofern Behauptungen nicht überprüft werden können und auch der argumentative Stil die vorgebrachten Thesen in etlichen Fällen zweifelhaft erscheinen lässt. Daher muss das Werk leider hinter dem vom Autor selbst gesetzten Anspruch zurückbleiben.
Anmerkung:
[1] Das Buch stellt eine erweiterte Fassung dieses Aufsatzes dar: Rainer Pape: Anton Fürstenau - Ein Kaufmann und Diplomat der Reichsstadt Herford im 17. Jahrhundert, in: Herforder Jahrbuch 12-14 (1971/73), 60-155.
Elizabeth Harding