Griselda Pollock / Vanessa Corby (a cura di): Encountering Eva Hesse, München: Prestel 2006, 255 S., 75 fig., ISBN 978-3-7913-3309-0, EUR 59,00
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Begegnungen können weit reichende Folgen haben. Auch die mit einem künstlerischen Werk. Für Griselda Pollock, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Leeds, und Vanessa Corby, eben dort Dozentin, eröffnete sich mit der Eva Hesse-Retrospektive 2002 die Möglichkeit, ihre imaginäre Bekanntschaft mit der amerikanischen Künstlerin zu vertiefen. [1] Dieses Wiedersehen rückte nicht nur ein faszinierendes Werk in ein neues Licht, sondern auch das, was bisher über dessen Produzentin gesagt und gedacht, ja auf sie projiziert wurde. So entstand der Plan, all jene "Rahmen" kritisch in den Blick zu nehmen, über die die Kunstgeschichte verfügt, um das zu fokussieren, was im Laufe der Zeit unter dem Namen Eva Hesse subsumiert wurde. Insofern ist die von Pollock und Corby herausgegebene Anthologie, die mit wattiertem Cover, matt gestrichenem violetten Papier und zahlreichen bisher unveröffentlichten Fotografien attraktiv gestaltet ist, weitaus mehr als ein Tagungsband. [2]
Wie Griselda Pollock in ihrem Vorwort bekennt, verfolgt sie mit der Publikation kein geringeres Ziel als einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Die feministische Kunstgeschichtsschreibung habe sich keineswegs überlebt, konstatiert sie, auch wenn im Zusammenhang mit der Hesse-Retrospektive immer wieder die Forderung laut geworden sei, Hesses Werk möge endlich aus den Fängen der feministisch orientierten Kunstgeschichte befreit und als "Kunst im Allgemeinen" betrachtet werden. Wie aber, so fragt Pollock zu recht, sollte eine Begegnung mit "Kunst im Allgemeinen" aussehen? Wer bereit sei, eine solche Kategorie zu akzeptieren, der ignoriere, dass im Ausstellungsraum singuläre Einzelwesen mit einer spezifischen Biografie und Geschichte auf singuläre Einzelwerke treffen, die von gelebter Vielfalt und der Erfahrung von Differenz zeugen. Um das Verschwinden von Differenz zu verhindern, zugleich aber auch der drohenden Gefahr einer Fixierung auf tradierte Geschlechterzuschreibungen entgegentreten, schlägt Pollock vor, die feministische Kunstgeschichte solle sich der Methoden der Kulturanalyse bedienen.
Die Kulturanalyse, wie sie die in Amsterdam lehrende Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal praktiziert, beharrt - in Anlehnung an die Rezeptionsästhetik - auf dem Eigensinn der visuellen Wahrnehmung. Ein Entwicklungspotenzial für eine genderzentrierte Kunstgeschichte vermutet Pollock darin, dass die Methode der Kulturanalyse nicht nur auf die Form und das Erscheinungsbild eines in der Vergangenheit geschaffenen Werks reagieren kann, sondern auch auf die aktuelle Situation, in der ein Betrachter oder eine Betrachterin damit beginnt, sich mit dem Werk zu beschäftigen und in die Forschungsliteratur zu vertiefen. Nach Pollock führt eine derartige Berücksichtigung der "Jetztzeit" (Walter Benjamin) dazu, dass die Abfolge Atelier, Galerie und wissenschaftliche Publikation in Frage gestellt und die damit verbundene Deutungshierarchie außer Kraft gesetzt wird. So sei mit Hilfe der Kulturanalyse die starre Gegenüberstellung des Machens und des Gemachten, die Konkurrenz zwischen dem Atelier als einem Ort der künstlerischen Praxis und der Hochschule als einem Ort des akademischen Diskurses zu überwinden.
Ganz in der Tradition der Avantgarde-Theorien weist Pollock Künstlerinnen und Künstlern wie Eva Hesse visionäre Fähigkeiten zu. Was heute in Philosophie, Literaturwissenschaft, Chaostheorie und Psychoanalyse diskutiert wird, hätten Künstlerinnen und Künstler schon vorausgeahnt, ja sehnlich erwartet. In ihren künstlerischen Arbeiten hätten sie Begriffen wie Körper, Trauma und Erinnerung eine Bedeutung zugewiesen, die erst aus der Erfahrung unserer Gegenwart heraus in vollem Umfang zu erfassen sei. So definiert Pollock Kunst als eine Ausprägung des "unthought known", als etwas, das noch nicht in Worte zu fassen ist, aber eine Form braucht, um Erfahrung zu werden. Auf diese spezifische Art des Denkens müssten Kunsthistoriker reagieren, indem sie nicht nur über Fakten, sondern auch über eigene Erfahrungen sprechen lernten. Erst dadurch sei eine Ethik der Interpretation zu etablieren, wie sie die Kunstgeschichte bisher vermissen lasse: "The ethical here lies in the kind of responsibility we take for what we produce from this encounter - an encounter that is framed by the curators, by existing knowledges, by repressed knowledges, by questions that were not possible to frame and pose before but which are now not only possible but necessary." (17)
Welche überraschend neuen "Rahmungen" sind nun aus Pollocks Begegnung mit Hesses Werken hervorgegangen? Und inwieweit wird die Autorin ihrem eigenen antiakademischen Impetus gerecht, der deutlich zu Tage tritt, wenn sie Kollegen und Kuratoren vorwirft, sie hätten sich bisher allzu sehr darauf beschränkt, tote Objekte aus den Mausoleen hervorzuholen, um sich sodann auf der Grundlage eines gesicherten Wissens und getragen von der Eigendynamik kunsthistorischer "Schulen" auf dem akademischen Markt zu behaupten? Ihre "A very long Engagement" betitelte chronologische Zusammenfassung der Rezeption Hesses seitens feministischer Kritikerinnen und Kunsthistorikerinnen wie Cindy Nemser, Lucy Lippard und Anna C. Chave sowie die Rückführung der dort vertretenen Thesen auf Positionen von Virginia Woolf über Simone de Beauvoir bis zu Julia Kristeva weisen Pollock nur ein weiteres Mal als Spezialistin für das klar umgrenzte Forschungsfeld feministischer Kunstgeschichte aus. Einen selbst konstruierten "Rahmen" bietet sie erst dort an, wo sie den Begriff wörtlich nimmt und sich Hesses Arbeit "Hang up" (1966) zuwendet, einem leeren, von bemalter Leinwand umwickelten Rahmen, dem ein raumgreifendes Stahlseil entspringt. Nachdem sie unter Hinzuziehung von Fotografien, die das Werk in unterschiedlichen installativen Situationen zeigen, die bislang bekannten Interpretationen des Werks beleuchtet hat, kommt Pollock zu dem Schluss, dass sie in dem gerahmten Nichts nur eines sehen kann: einen Verweis auf Hesses Traumata. Wie Charlotte Salomon, die ebenfalls in jungen Jahren den Selbstmord ihrer Mutter verkraften musste, der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt war und die Schrecken der so genannten Reichskristallnacht in Form von Fensterbildern festhielt, habe auch Hesse den leeren (Fenster-) Rahmen als Motiv gewählt, um dem Verlust, der Trauer und dem nicht gelebten Leben Ausdruck zu verleihen. Nun ist diese Art der "Rahmung" alles andere als neu. Sie zieht sich seit der Eva Hesse-Gedächtnisausstellung im New Yorker Guggenheim Museum 1972 als dominanter Erzählstrang durch die gesamte Rezeptionsgeschichte der Künstlerin. Neu dagegen ist, dass Pollock den zuvor eingeforderten subjektiven Faktor für die kunsthistorische Forschung fruchtbar zu machen sucht, indem sie sich einem "transport of trauma" hingibt und über jene Depressionen spricht, die sie alljährlich am Todestag ihrer Mutter überfallen. Unter Tränen ("I cry. As the tears pour down my cheeks ...") bekennt sie sich zu ihrer affektiven Bindung an Hesses Latexobjekte. Über den Umweg der persönlichen Erfahrung kehren sodann all jene Stereotype wieder, die in den letzten vierzig Jahren litaneiartig vorgetragen worden sind: Eva Hesse wird als eine von zahllosen Katastrophen heimgesuchte und vom Holocaust bedrohte Jüdin dargestellt, der die Kunst die Möglichkeit eröffnete, dem eigenen Ich auf die Spur zu kommen und die tief sitzenden Traumata in Produktivkräfte zu verwandeln. Diese auf biografische Daten fixierte Lektüre ist bereits so trivialisiert, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst die fern von aller Kunsttheorie angesiedelte Monografie "Eine berührbare Frau. Das atemlose Leben der Künstlerin Eva Hesse" des Journalisten Michael Jürgs wie einen Fortsetzungsroman präsentierte. Pollocks Anleihe an die Kulturanalyse bringt somit substanziell wenig, auch wenn es ihr durchaus gelingt, sich von der Fixierung auf Intention und Autorschaft zu lösen und stattdessen der Rezeption mehr Gewicht zu verleihen. Nur spiegelt die Kunst nach dem geglückten Perspektivwechsel nicht mehr die Trauer der Künstlerin wider, sondern den Kummer der Kunstbetrachterin.
Mit Ausnahme von Renate Petzinger und Elisabeth Sussman, die in ihren Beiträgen Entscheidungen, die sie als Kuratorinnen der Retrospektive von 2002 getroffen haben, argumentativ begründen, und Hilda Werschkul, die Hesses so genannte "Fenster-Zeichnungen" als Refugium von Hoffnung und Optimismus inmitten einer feindlichen Welt deutet, sehen sich die übrigen Autorinnen durch das Angebot, an der Fundierung einer neuen Forschungsrichtung teilhaben zu dürfen, dazu veranlasst, der Bekenntnisfreudigkeit von Griselda Pollock zu folgen. Sie legen offen, wann und wo ihr Interesse an Hesses Werk geweckt wurde und dass es eine Form von latenter Geistesverwandtschaft gibt. Erst nachdem sie ihre empathischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt haben, formulieren sie ihre Thesen. So kommt Vanessa Corby zu dem Schluss, dass Hesse ihre Energie und Lebensfreude aus der Erfahrung, im Gegensatz zu ihren Großeltern den Holocaust überlebt zu haben, schöpfte. Die Rekonstruktion eines Elements von "Sans II", die Doug Johns 2002 vorgenommen hat, um zu verdeutlichen, dass Hesses Arbeiten aus Fiberglas Ende der 1960er-Jahre wesentlich strahlender, heller und leuchtender waren, als das inzwischen gealterte Material vermuten lässt, nimmt Corby zum Anlass, den "Knoten des Pathologischen" zu lösen, der sich um Hesses Werk gelegt habe. Phyllida Barlow stellt die Frage, über welche Art von Sprache Kunstgeschichte und Kunstkritik verfügen, um dem emotionalen Gehalt von Hesses Kunst gerecht zu werden, und Joanna Greenhill erläutert, welchen Einfluss Hesses Materialwahl auf ihr eigenes künstlerisches Werk gehabt hat. So begrüßenswert es sein mag, dass sich hier Künstlerinnen, Kunsthistorikerinnen und Kuratorinnen zusammengefunden haben, um sich zu ihrer Subjektivität zu bekennen und "Ich" zu sagen, so irritierend ist es, dass mit diesem Sammelband, entgegen Griselda Pollocks zuvor formulierter Intention, der Versuch unternommen wird, eine neue "Schule" feministischer Kunstwissenschaft zu begründen. Aus der Suche nach einer Erfahrung von Differenz wird so eine gemeinsame strategische Leistung.
Anmerkungen:
[1] Die Retrospektive des Werks von Eva Hesse (2002-2003) war vom San Francisco Museum of Modern Art und dem Museum Wiesbaden vorbereitet worden und wurde abschließend in der Tate London gezeigt.
[2] Die versammelten Beiträge wurden bereits 2002 anlässlich der Hesse-Retrospektive in London formuliert.
Annette Tietenberg