Klaus-Peter Johne: Die Römer an der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike, Berlin: Akademie Verlag 2006, 347 S., ISBN 978-3-05-003445-4, EUR 69,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Caillan Davenport / Jennifer Manley: Fronto. Selected Letters, London: Bloomsbury 2014
Ilse Rollé Ditzler: Der Senat und seine Kaiser im spätantiken Rom. Eine kulturhistorische Annäherung, Wiesbaden: Reichert Verlag 2019
Ulrike Egelhaaf-Gaiser / Dennis Pausch / Meike Rühl (Hgg.): Kultur der Antike. Transdisziplinäres Arbeiten in den Altertumswissenschaften, Berlin: Verlag Antike 2011
Eine Geschichte von Annäherung, Vereinnahmung im Weltbild und erneuter Entfernung und Entfremdung untersucht Klaus-Peter Johne in seinem Buch über die Römer an der Elbe. In der Anfangszeit des Prinzipats schien der Fluss als römische Ziel- und Grenzmarke zum Greifen nahe zu sein, wie das von Tacitus dem Germanicus in den Mund gelegte Diktum "propiorem iam Albim quam Rhenum" (ann. 2,14,4) verrät, während der Geschichtsschreiber mit Blick auf das Verhältnis des römischen Reiches seiner eigenen Gegenwart zu diesem Strom in der Mitte Europas Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. kritisch konstatiert: "flumen inclutum et notum olim: nunc tantum auditur" (Germ. 41,2). Über die Rolle der Elbe im Weltbild der Antike erschließt Johne zum einen die Erweiterung geographischen Wissens, zum anderen die - nicht vollendete - politische Integration dieses Raumes in den römischen Herrschaftsbereich zur Zeit des Augustus und schließlich den mit der Abberufung des Germanicus 17 n. Chr. endgültigen Verzicht durch Tiberius. Unter dem Druck der Germanen auf die Grenzen des römischen Reiches ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. rückte das Elbegebiet für die Römer wieder in die Ferne und nahm der zuvor erreichte Wissensstand der Antike nach und nach ab.
Methodisch und inhaltlich zeigt Johne mit diesem Werk, wie mentalitätsgeschichtliche Aspekte Zugänge zum politischen Denken erschließen und die Ereignisgeschichte erhellen können. Hierfür zieht er die gesamte Bandbreite literarischer und archäologischer Quellen wie die zur Thematik insbesondere der römischen Germanienpolitik mehr als reichhaltige Literatur heran und weist auf, dass auch auf dicht beforschten Gebieten neu akzentuierte Ergebnisse möglich sind. Dabei folgt das Buch mit dem Verhältnis der Antike zur Elbe einem roten Faden, der mittels des historisch-geographischen Gesichtspunkts der "Raumerfahrung" in Mitteleuropa die römische Germanienpolitik der gut drei Jahrzehnte von 16 v. Chr. bis 17 n. Chr. in übergreifende Zusammenhänge einzuordnen hilft, die anders als sonst üblich nicht vorrangig nur von der politischen Geschichte bestimmt sind. Diese Sichtweise sorgt für die Einheitlichkeit des Buches, verleiht der Lektüre Spannung und sichert - wie auch der angenehm lesbare Stil - dem weit ausgreifenden Inhalt die Aufmerksamkeit des Lesers von der ersten bis zur letzten Seite.
Im ersten Teil (Kapitel II-IV) geht es um die Frage, wann Griechen und Römer mit dem Elberaum Bekanntschaft schlossen. So stellt Johne sorgfältig und vollständig die griechischen Vorstellungen über Mitteleuropa und das Gebiet der Elbe vor, um sodann die römischen Kontakte mit Kimbern und Teutonen zu besprechen. Dabei geht es ihm um die Vorstellungswelt, die die Antike mit diesen Völkern und ihrer Herkunft verband. Caesars Germanenkonzept und wohl absichtlich unklar bleibende Raumvorstellungen sind von der Grenzziehung zwischen Galliern und Germanen am Rhein bestimmt, auch wenn es Johne nicht entgeht, dass Caesar sich im Bürgerkrieg gern auch als Germanensieger darstellte und so einer rheinüberschreitenden Expansionspolitik das Wort zu reden schien, wie sie bald Wirklichkeit wurde.
Den Mittelpunkt des Buches (Kapitel V-IX) bildet mit der Frage nach der Ausdehnung des römischen Machtbereichs bis zur Elbe die augusteische Germanienpolitik bis zum Verzicht des Tiberius auf die Reichsvergrößerung im Jahre 17 n. Chr. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des geographischen Weltbildes durch die Feldzüge des Drusus bis zur Elbe diskutiert Johne die Kriegsziele des Zeitraums von 12 bis 9 v. Chr., ein in der Literatur bis heute höchst kontrovers diskutiertes Thema: Handelt es sich um bloße Machtdemonstrationen im Raum zwischen Rhein und Elbe (K.-W. Welwei) oder um umfassende Eroberungspläne mit dem Ziel, die Elbe zum Grenzfluss des römischen Reiches in Mitteleuropa zu machen (Th. Mommsen, H. Wolfram, W. Eck)? Zwischen diesen beiden Anschauungen ist eine breite Palette an Meinungen von Forschern angesiedelt, die keine klare Kriegszielpolitik erkennen wollen oder, teilweise durch Anschauungsänderung, der Ansicht sind, die Zielsetzung der Ausweitung des Reiches bis zur Elbe habe sich erst nach und nach ergeben (K. Christ, D. Timpe, J. Bleicken), sei zur Zeit der Feldzüge des Drusus aber noch nicht festzustellen. Diesem Ansatz neigt auch Johne zu, wenn er dezidiert und argumentativ überzeugend aus der Aufgabe der rechtsrheinischen Truppenlager durch Tiberius in den Jahren 8 und 7 v. Chr. schließt, dass die Römer sich mit einer Vorfeldkontrolle ohne dauerhafte militärische Präsenz zufrieden geben wollten.
Diese Politik änderte sich jedoch ab 1 n. Chr. unter der Statthalterschaft des M. Vinicius, der in ein "immensum [...] bellum" (Vell. 2,104,2) verwickelt wurde, das es nötig machte, in der Vergangenheit bereits besiegte Germanenstämme neu zu unterwerfen, so dass man den "Plan einer direkten Herrschaft mit dem Ziel der Errichtung einer provincia Germania" (128) fasste. Als überzeugende Argumente dienen die Einrichtung der Vormarschrouten Richtung Elbe entlang der Flussläufe und das Winterlager des römischen Heeres 4/5 n. Chr. in germanischem Gebiet, das Johne mit W. Hartke an der unteren Ems zu lokalisieren sucht. Als konsequent im Sinne der Provinzialisierung des Raums zwischen Rhein und Elbe erscheint auch die Besetzung der Statthalterschaft mit Varus. Infolge der römischen Niederlage im Jahre 9 rückte der Elberaum sodann aus dem Bewusstsein der Römer fort, er spielte künftig nur noch eine Rolle zur wenig schmeichelhaften Erinnerung an große Taten der Vergangenheit, auch wenn Germanicus bis zu seiner Abberufung 17 n. Chr. dem Anspruch noch einmal Geltung zu schaffen suchte.
Der letzte Teil (Kapitel X-XIV) befasst sich zum einen mit der literarisch-historiographischen Bewältigung der Germanienpolitik des frühen Prinzipats, zum andern mit der Darstellung der diversen Nachrichten aus dem Elbegebiet vom 1. bis 6. Jahrhundert n. Chr. Je mehr sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen an die Donau und weiter nach Osten verschob, um so mehr geriet die Elbe aus dem Blickfeld der Römer, erinnerte man sich mit fortschreitender Zeit zunehmend ungenauer und nahm der Wissensstand immer mehr ab. Ein Höhepunkt dieses Teils ist die in den Zusammenhang mit der Ethnogenese der Alamannen gestellte Auswertung des 1992 in Augsburg gefundenen Siegesaltars und weiterer neuer archäologischer Funde. Mit der Eroberung Italiens durch die elbgermanischen Langobarden zieht Johne den Schlussstrich.
Johne erweist mit diesem Werk am Beispiel antiker Vorstellungen vom mitteleuropäischen Raum, wie wachsende und nach einer Peripetie im frühen Prinzipat wieder abnehmende Kenntnisse über das Elbegebiet den griechischen und vor allem den römischen Interessenhorizont im Zusammenhang mit "wissenschaftlichen" und machtpolitischen Ambitionen widerspiegeln.
Ulrich Lambrecht