John J. McCusker (ed.): History of World Trade since 1450, London: Macmillan 2006, 2 Bde., 905 S., ISBN 978-0-02-865840-7, USD 295,00
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Enzyklopädien und Nachschlagewerke erfreuen sich in einer Zeit der Spezialisierung und Fragmentierung historischen Wissens wachsender Beliebtheit, und angesichts der Allgegenwärtigkeit des Begriffs "Globalisierung" ist ein Handbuch, das die Integration der Weltwirtschaft in ihrer geschichtlichen Tiefendimension nachzeichnet, grundsätzlich willkommen. Unter der Ägide des renommierten amerikanischen Wirtschaftshistorikers John J. McCusker, der von vier Associate Editors (Louis P. Cain, Stanley L. Engerman, David Hancock und Kenneth Pomeranz) unterstützt wurde, ist ein Nachschlagewerk entstanden, das sich an "general readers with a high-school or college-level education" (IX) richtet und über 400 Einträge zu verschiedensten Aspekten des neuzeitlichen Welthandels enthält.
Welche Prämissen und Auswahlkriterien den Einträgen zugrunde liegen, ist aus dem Vorwort und der sehr knapp gehaltenen Einleitung leider nicht ersichtlich. Dort beschränkt man sich hinsichtlich des Themas auf vage Gemeinplätze (IX-X: "It is a tale with many players, a story in many parts, all told here. [...] The stories are not always wonderful; the consequences have not always been good."). Nähere Aufschlüsse verspricht ein Thematic Outline (XXI-XXIV), das die Artikel in sechzehn Rubriken einteilt. Diese reichen von Personen, Unternehmen und Familien über Städte, Länder und Regionen bis hin zu ökonomischen Konzepten, Ideen, Organisationsformen und Imperien. Das Studium dieser Themenübersicht wirft allerdings eine Reihe von Fragen auf. So listet die Rubrik Countries and Regions 60 Einträge auf, wobei Indien gleich dreimal vorkommt (Bengal, Gujarat, India), aber Österreich, Polen, die Schweiz und Ungarn fehlen. In der Rubrik Cities (54 Einträge) dominieren die Hafenstädte: Hier finden sich Bordeaux, La Rochelle und Nantes, nicht aber Lyon; es gibt Artikel zu Hamburg und zur Hanse, aber weder zu Augsburg und Nürnberg noch Frankfurt am Main und Leipzig; vertreten ist Yokohama, nicht aber Tokio; Salem/Massachusetts und Charleston, aber weder St. Louis noch Toronto (Chicago ist durch den Eintrag Chicago Board of Trade vertreten).
Der Verdacht, dass das Thema "Welthandel" hier von seiner maritimen Seite her konzipiert wurde, drängt sich auch beim Studium anderer Rubriken auf. Unter Commodities (24 Einträge) fehlt der wichtige, aber weitgehend auf Landrouten beschränkte Viehhandel, unter Infrastructure finden sich Canals, Harbors und Port Cities, aber kein Artikel über Railroads! Die Liste der Fragen ließe sich fortsetzen: Warum etwa fehlen Diamanten, Kunstwerke, Kakao und Farbstoffe unter den Handelsgütern, warum gibt es einen Eintrag über Colbert, aber keinen über John Law, warum finden sich unter Ethnic Groups Indianer, Iren und Schotten, aber keine Griechen, Libanesen oder Savoyer (einen Absatz über die griechische Diaspora gibt es immerhin im Länderartikel Greece)? Warum gibt es einen Artikel über das belgische Kolonialreich, aber keinen über das deutsche? Durch den Begriff Volcanic Eruptions neugierig gemacht, hat der Rezensent naheliegenderweise auch nach Earthquakes gesucht - ohne Erfolg.
Die Einzelartikel sind in der Regel von ausgewiesenen Spezialisten verfasst und überwiegend sehr informativ. Dennoch offenbart die Lektüre immer wieder Probleme der Materialauswahl und Gewichtung. In dem umfangreichen Artikel Copper werden Mittelalter und frühe Neuzeit nur in einem einzigen Satz abgehandelt. Der Eintrag Gold and Silver hingegen berücksichtigt ausführlich die Frühe Neuzeit, ohne allerdings den brasilianischen Gold-Boom im 18. Jahrhundert zu erwähnen. Der Artikel über die schottischen Händler (unter Ethnic Groups) geht nur auf den Überseehandel ein und lässt die wichtige Rolle der Schotten auf dem europäischen Kontinent (Skandinavien, Polen, Niederlande) unerwähnt. Unter Mining wird der irreführende Eindruck erweckt, schwedisches Kupfer habe die gesamte frühe Neuzeit hindurch den Weltmarkt beherrscht; das im 16. Jahrhundert führende Tiroler und ungarische Kupfer kommt nicht vor. Die Länderartikel fallen höchst unterschiedlich aus: Der Eintrag France etwa verwendet lediglich 10 Zeilen auf das 20. Jahrhundert; im Falle von Germany sind es 22 Zeilen, bei Italy 75 und bei Ghana 67 Zeilen. Der Artikel Pakistan widmet dem Zeitraum seit der Unabhängigkeit des Landes 1947 sogar 135 Zeilen!
Auch die Querverweise am Ende der Artikel sind lückenhaft. So gibt es beispielsweise keinen Verweis von indianischen Händlern (Ethnic Groups, Native Americans) auf deren wichtigstes Handelsgut (Furs) und keinen Verweis vom Länderartikel Mexico - der im Gegensatz zu den Einträgen Argentina, Brazil, Colombia oder Venezuela nur auf den Zeitraum nach der Unabhängigkeit eingeht - auf New Spain, wo die Kolonialzeit behandelt wird. Unter East India Company finden sich ein Eintrag über die britische, einer über die niederländische und einer über die "anderen" Ostindienkompanien. Letzterer behandelt die französischen, schwedischen und dänischen Kompanien, verweist jedoch nicht auf die - unter dem Buchstaben O aufgeführte - Ostend East India Company.
Dass sich zahlreiche Informationen in einem Sammelwerk dieser Art wiederholen, ist zwar unvermeidlich. Dennoch erscheint es nicht unbedingt sinnvoll, wenn etwa der größte Teil des Artikels Theories of International Trade Informationen dupliziert, die auch unter Mercantilism, Free Trade, Adam Smith, Economics, Neoclassical und Heckscher-Ohlin zu finden sind. Auch zwischen den Artikeln Shipbuilding; Shipping Lanes; Shipping, Merchant; Shipping, Technological Change; Ships and Shipping sowie Ship Types gibt es erhebliche Überschneidungen.
Schließlich ist trotz der Internationalität der Themen und Autoren eine gewisse anglo-amerikanische Hegemonie unübersehbar. Diese zeigt sich in der Länge von Einträgen wie American System, British-American Tobacco oder Board of Trade, British ebenso wie in der inhaltlichen Schwerpunktsetzung innerhalb von Artikeln wie Agriculture, Timber oder Correspondents, Factors, and Brokers. Unter den Personen sind Gründerfiguren des britischen Empire wie Elisabeth I., Humphrey Gilbert, Thomas Gresham, Richard Hakluyt und John Hawkins besonders zahlreich vertreten, und ein Quellenanhang (833-862) bietet fast ausschließlich Texte englischer und US-amerikanischer Provenienz.
Fazit: An der Entwicklung des neuzeitlichen Welthandels Interessierte finden in diesem Nachschlagewerk zwar zahlreiche nützliche Informationen; aufgrund seiner Selektivität und mangelnden Ausgewogenheit ist es allerdings nur mit Einschränkungen zu empfehlen.
Mark Häberlein