Elisabeth Bokelmann: Vichy contra Dritte Republik: Der Prozeß von Riom 1942, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006, 183 S., ISBN 978-3-506-75737-1, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Der Riom-Prozess von 1942 ist ein zentrales Ereignis der französischen "années noires": Mit den ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Léon Blum und Edouard Daladier und dem vormaligen Oberbefehlshaber Maurice Gamelin saßen im Februar 1942 führende Köpfe der Dritten Französischen Republik auf der Anklagebank. Hoch- und Landesverrat lautete die Anklage, die - so der Klappentext - auf Verlangen Hitlers vor dem Sondergericht in Riom erhoben wurde.
Es ist das Verdienst Elisabeth Bokelmanns erstmals eine deutschsprachige Studie zu diesem bedeutenden Prozess vorgelegt zu haben, der eine weit über den Gerichtssaal hinausweisende Wirkung entfalten sollte. Für Ihre Arbeit konnte sie auf umfangreiches Material zurückgreifen: Mitschriften und Erinnerungsberichte der Angeklagten, ihrer Anwälte und Berater, eine ausführliche Presseberichterstattung, Akten der Außenämter, Berichte der Besatzungsbehörden, die Anklageschrift. Noch immer nicht zugänglich sind dagegen bis heute die offiziellen Sitzungsprotokolle und Ermittlungsakten, was angesichts des schieren Zeitablaufs erstaunen muss.
Einer chronologischen Gliederung folgend führt Bokelmann durch das Verfahren. Einleitend schildert sie den Ort des Geschehens - das alte Gerichtsgebäude in Riom nahe Vichy - und beschreibt ausführlich die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs, der vom neuen Regierungschef Pétain 1940 ins Leben gerufen worden war, um die politische Prominenz der Dritten Republik zur Verantwortung zu ziehen: Noch im September 1940 wurden die späteren Angeklagten, denen die Niederlage Frankreichs und der Zerfall der öffentlichen Ordnung zur Last gelegt wurde, inhaftiert. Ob die Vichy-Regierung hier aus eigenem Antrieb oder im Auftrag der deutschen Besatzer handelte, vermag auch Bokelmann nicht abschließend zu klären.
Fest steht dagegen, dass der Prozess auf Betreiben Hitlers am 14. April 1942 vertagt und zu einem späteren Zeitpunkt nicht wieder aufgenommen wurde. "Der letzte Akt" (142) fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und im Frühjahr 1943 schließlich stellte der Gerichtshof seine Arbeit ein. Das Verfahren hatte die gewünschte Wirkung - die öffentliche und umfassende Diskreditierung der demokratischen Führungselite - nicht entfalten können und den Angeklagten zudem eine Bühne geboten, die wohl insbesondere Léon Blum überzeugend für seine Sache zu nutzen wusste. Auch Marschall Pétain, der 1934 selbst als Kriegsminister amtiert hatte, war in das Visier der Angeklagten geraten, die ihm eine Mitschuld an der unzureichenden Vorbereitung der französischen Armee auf die späteren militärischen Auseinandersetzungen unterstellten.
Das Erstarken der Résistance wird in der Forschung in der Regel auf den Sommer 1941 datiert, als die französischen Kommunisten den deutschen Überfall auf die Sowjetunion mit zahlreichen Attentaten beantwortet hatten. Welche Funktion aber hatte der Prozess von Riom für die Entstehung und Stärkung des französischen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung? Riom, so Bokelmann, habe Sichtweisen und Einstellung verändert, ohne dass seine Wirkung "nach Maß und Zahl" gewertet werden könne (148). Die zeitgenössischen Berichte und Erinnerungen würden jedoch ausnahmslos auf die große Bedeutung verweisen, die Riom für den Wandel der französischen öffentlichen Meinung zukomme.
Die allgemeine Geschichte Frankreichs unter deutscher Besatzung ist hinlänglich bekannt. Weniger überzeugend ist die Darstellung deshalb immer dort, wo Bokelmann das Verfahren aus dem Blick verliert, um - notwendigerweise stark verkürzt - den politischen Kontext zu erläutern. Ihre besondere Stärke liegt gerade in dem mikroskopischen Blick auf den Gerichtssaal und die handelnden Personen. Es war ein politischer Prozess, der in Riom zur Aufführung kam; seiner Inszenierung besonderes Augenmerk zu schenken, musste deshalb ein zentrales Anliegen der Autorin sein. Gestützt auf reiches Quellenmaterial legt Bokelmann eine überzeugende Darstellung dieses außerordentlichen Verfahrens vor, die lange Bestand haben wird.
Claudia Moisel