Antonios Rengakos / Antonis Tsakmakis (eds.): Brill's Companion to Thucydides, Leiden / Boston: Brill 2006, xix + 947 S., ISBN 978-90-04-13683-0, EUR 249,00
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Gocha R. Tsetskhladze (ed.): Greek Colonisation. An Account of Greek Colonies and Other Settlements Overseas. Volume 1, Leiden / Boston: Brill 2006
Jörg Klinger: Die Hethiter, München: C.H.Beck 2007
Jon D. Mikalson: Herodotus and Religion in the Persian Wars, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2003
Die Herausgeber dieses Sammelbandes betonen mit Recht, dass die Publikation einer Aufsatzsammlung zum Werk des Thukydides keiner Rechtfertigung bedarf, da in der Beurteilung des bedeutendsten antiken Historikers in den letzten Jahrzehnten neue Akzente gesetzt wurden. Von zentraler Bedeutung ist das Problem der Machtpolitik in der Sicht des Thukydides. In weit ausgreifenden Ausführungen, die von modernen politologischen Definitionen der Macht ausgehen, sucht Lawrence A. Tritle an den Beispielen des Ausbruchs des Peloponnesischen Krieges und der Sizilischen Expedition zu zeigen, dass Thukydides ein variantenreiches Bild vom Wesen der Macht zeichnet (469-491). Tritle ist der Auffassung, dass Athen unterlag, weil starke Landmächte nicht von maritimen Großmächten bezwungen werden können. Nicht das Scheitern der Sizilischen Expedition, sondern die Schlacht bei Aigospotamoi hat indes den Krieg entschieden, als Lysander die unverantwortliche Nachlässigkeit der athenischen Flottenführung geschickt zu nutzen verstand.
Allerdings behauptet auch William D. Furley in seinem Essay über "Thukydides and Religion" (415-438), dass die Macht Athens nach dem Scheitern der Sizilischen Expedition gebrochen war. Er ist überzeugt, dass Nikias der Mantik allzu große Bedeutung beigemessen hat, als er nach der Mondfinsternis vom 27. 8. 413 den Rückzug der Athener verschob (Thukydides 7,50,4). Nikias hat aber nach Thukydides 7,49,4 schon vor der Himmelserscheinung die Abfahrt verzögert, weil er eine Verurteilung in Athen nach einem verfrühten Abzug befürchtete. Diesen Aspekt hat Peter Hunt in seinem Essay über "Warfare" (386-413) richtig hervorgehoben.
Angesichts der Bedeutung der Sizilischen Expedition ist es verständlich, dass dieses Unternehmen in mehreren Beiträgen thematisiert wird. Für David Gribble, der die Darstellung bedeutender Individuen bei Thukydides erörtert (439-468), war es ein schwerer Fehler, dass Nikias, ein Gegner des Unternehmens, zusammen mit Alkibiades und Lamachos mit der Führung der Expedition beauftragt wurde. Nikias hatte freilich militärische Konzeptionen des Strategen Demosthenes übernommen und hierdurch Autorität beim Demos gewonnen. Peter Funke und Matthias Haake verweisen in ihrem Beitrag zu Kriegsschauplätzen im Werk des Thukydides (369-384) auf den Kontrast zwischen seiner detaillierten Darstellung der Kämpfe auf Sizilien und Defiziten in den hierzu wünschenswerten topographischen Erläuterungen. Michael Zahrnt bietet einen Überblick über die Ereignisse in Unteritalien und Sizilien (629-655). Nach seiner Auffassung hat die Sizilische Expedition gezeigt, was eine "radikale Demokratie" zu erreichen vermag und wo ihre Grenzen liegen. Dieser Klassifizierung der demokratischen Verfassung Athens liegen indes letztlich Kriterien antidemokratischer Kräfte in der Antike zugrunde. In einem weiteren Beitrag zu den Ereignissen in Thrakien und Makedonien geht Zahrnt davon aus, dass Thukydides an diesen Regionen aufgrund persönlicher Verbindungen besonders interessiert war (589-614).
Von anderen regionalen Schwerpunkten im Werk des Thukydides handeln die Aufsätze von Peter J. Rhodes, Paul Cartledge und Paula Debnar, Simon Hornblower und Josef Wiesehöfer. Rhodes schließt seine Ausführungen über Athen (523-546) mit der Bemerkung, dass die Polis gegen Ende des Krieges aus der Sicht des Historikers "the leadership of Pericles" gebraucht hätte. Thukydides verdeutlicht aber auch, dass die Athener nicht in einem Begeisterungstaumel Perikles in den Krieg gefolgt sind. Cartledge und Frau Debnar weisen in ihrem Beitrag zu Sparta (569-587) darauf hin, dass Thukydides keineswegs unfehlbar ist, bei der Beschaffung von Informationen über Interna der Spartaner aber auch größte Schwierigkeiten hatte. Hornblower vermutet in einem Beitrag zu Argos (614-628), dass Thukydides nicht gerade Hochachtung vor den Argivern seiner Zeit hatte. Wiesehöfer analysiert die Rolle des Perserhofes im Peloponnesischen Krieg (657-667).
Eine abgewogene Analyse verfassungstheoretischer Aspekte in den Ausführungen des Thukydides über "Oligarchie und Demokratie" bietet Kurt A. Raaflaub (189-222), der zunächst klarstellt, dass das Urteil des Historikers (8,97,1-2) über die 'Verfassung der 5000' nicht als Lobpreis einer Mischverfassung zu werten ist. Die kritischen Ausführungen zur Demokratie listet Raaflaub sorgfältig auf, doch warnt er vor der Überbewertung dieses Befundes, da Thukydides Situationen in den Jahren einer extremen Belastung Athens beschreibt. Als Analysen einer 'politischen Theorie' sind auch die Aufsätze von Josiah Ober (131-159) und Antonis Tsakmakis (161-187) zu verstehen. In der berühmten "Pathologie des Krieges" (Thukydides 3,82-83) sieht Ober eine realitätsnahe Darstellung der Verflechtung von Gruppeninteressen in Fragen der Innenpolitik und Kontroversen bei außenpolitischen Entscheidungen in kleineren Gemeinwesen. Zu beachten ist aber auch die fatale Lage, in der sich kleine Poleis in den Konflikten der Großmächte befanden. Die Präferenzen in ihrer Loyalität gegenüber Athen oder Sparta richteten sich keineswegs nur nach den verfassungspolitischen Intentionen der jeweils dominierenden Gruppen. Einen anderen Aspekt politischer Gestaltung erörtert Tsakmakis, indem er die politischen Ziele einer Reihe von Führungspersonen und ihre persönlichen Ambitionen vergleicht (161-187).
Insgesamt gesehen findet der Benutzer des Sammelbandes fundierte Auskünfte über ein breites Spektrum der modernen Thukydidesforschung. Die Darstellungsweise des Historikers, seine Auswertung literarischer Quellen und der Aussagen von Augenzeugen, die für ihn bestehenden Probleme einer Auswertung epigraphischer Zeugnisse sowie Vergleiche seiner Berichte mit entsprechenden Anspielungen in der Komödie und mit Hinweisen in anderen Quellen werden ebenso thematisiert wie die relevante Rezeptionsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Nach der Lektüre dieses Buches kann man dem Urteil Martin Hoses in seinem Beitrag zu der neben Thukydides vorliegenden Überlieferung zum Peloponnesischen Krieg voll und ganz zustimmen, wenn er abschließend auf Plutarch (Nikias 1,1) verweist, wonach Thukydides bei der Präsentation des Stoffes sich selbst an leidenschaftlicher Darstellungskraft sowie an Anschaulichkeit und Farbenpracht in der Schilderung des Geschehens übertroffen habe.
Karl-Wilhelm Welwei