Matthias Fiedler: Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus. Der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, 301 S., ISBN 978-3-412-19105-4, EUR 34,90
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Seine "Keile" seien "wie ein Blitz in die Boybande gefahren" und hätten zur "Verbesserung ihres Gedächtnisses" beigetragen. Das Zitat aus dem Bericht der Kongoexpedition, die der deutsche Ethnologe Leo Frobenius in den Jahren 1904 bis 1906 unternommen hat, zeugt davon, dass in ihn ein ekstatischer Zorn gefahren war, der den Zeitgenossen auch als Tropenkoller bekannt war. Selten - erklärt der Privatgelehrte - sei ihm das "Bedürfnis des Negers, die Last seiner Rassenknechtschaft zu fühlen, so klar geworden als in dieser kleinen Geschichte." (257) Eine solche Anekdote hat nichts mit nüchterner Wissenschaft zu tun. Sie dient der Unterhaltung des Publikums durch einen reisenden Helden, der vor keiner Grenzüberschreitung zurückschreckt. Zu lesen ist sie als Kommentar zum Krieg der deutschen Kolonialarmee gegen die Hereros und Namas. Die These, dass dessen Vernichtungscharakter die Rassenpolitik des Nazi-Regimes präfiguriert haben könnte, bildet einen Brennpunkt der Diskussion, die in der Kolonialgeschichtsschreibung geführt wird. Fiedler setzt sich in Anlehnung an Edward Saids Thesen zum Orientalismus mit der diskursiven Konstruktion Afrikas auseinander und beleuchtet den Anteil des Afrikanismus an der Formation einer europäischen Identität. Methodisch orientiert er sich am New Historicism, er verfolgt, wie sich das Rasseln der Motivketten als Echo im Afrikadiskurs durch das 18. und 19. Jahrhundert hindurch fortpflanzt. Die Bedeutung von Fiedlers Buch ergibt sich daraus, dass dieser deutsche Diskurs eine mentale Disposition hervorbringt, die das außerhalb ihrer Normalität Stehende potenziell der Auslöschung preisgibt.
Im ersten Kapitel untersucht Fiedler zunächst den Bericht, den Peter Kolb 1719 über seinen Aufenthalt am Kap der guten Hoffnung vorgelegt hat. Kolb war in naturwissenschaftlicher Mission angereist und einige Jahre für die ostindische Kompanie tätig. Der Autor unterstreicht Kolbs Bedürfnis, das schlechte Bild, das man sich in Europa von den angeblich unzivilisierten Hottentotten gemacht hat, zu verbessern. Er konnte so zum Gewährsmann für Rousseaus Ausführungen über den 'Edlen Wilden' avancieren. Kolb weist darauf hin, dass sich die Hottentotten erziehen ließen, ein Topos, an den sich im kolonialen Diskurs komplementär die Rede von der Kulturmission der Deutschen anlagerte. Den "greulichen, wilden und widerwärtigen Gestank", der von den Hottentotten ausgehe, erklärt Kolb damit, dass sie sich mit Fett einschmierten, das sie vor der Sonne schützen solle (39). Der Geruchssinn wird zum Einfallstor des Ekels, der dann auch vordergründig kulturrelativistische Auslassungen Lessings zu diesem Topos prägt: "Man weiß, wie schmutzig die Hottentotten sind; und wie vieles sie für schön und zierlich und heilig halten, was uns Ekel und Abscheu erwecket. Ein gequetschter Knorpel von Nase, schlappe bis auf den Nabel herabhangende Brüste, den ganzen Körper mit einer Schminke aus Ziegenfett und Ruß an der Sonne durchbeizet, die Haarlocken von Schmeer trieffend, Füsse und Arme mit frischem Gedärme umwunden" (67). Die postkoloniale Theorie hat auf die Fähigkeit literarischer Texte, mit der Herabsetzung der außereuropäischen Anderen im kolonialen Diskurs zu brechen, aufmerksam gemacht. In Wielands Prosa über die Reise des ägyptischen "Priesters Abulfauaris" ins innere Afrika entdeckt Fiedler in der Tat einen ironischen Kommentar zur angeblichen Kulturlosigkeit der afrikanischen Wilden (73). Wielands Literatur begleite die koloniale Inbesitznahme der außereuropäischen Welt kritisch. Sie lege offen, dass dem kolonialen Diskurs latent "das Andere als erotisches Objekt der Begierde" zugrunde liege (78ff.).
Fiedlers These für das zentrale Kapitel seiner Arbeit lautet, dass der Afrikadiskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht von der wissenschaftlichen Ausdifferenzierung beherrscht gewesen sei, sondern dass die diskursive Hauptbewegung in einer Popularisierung bestanden habe (81). Diese habe maßgeblich die im Kaiserreich einsetzende Kolonialbegeisterung befördert (87), die die wissenschaftliche Erforschung des Kontinents als Abenteuer inszenierte. In einer umfassenden Studie über Afrikareisende hat Cornelia Essner 1985 gezeigt, dass diese Berufsgruppe extreme Risiken einging. Ein Drittel überlebte nicht, davon starben die meisten den "Klimatod". Fiedler wertet fünf Biografien exemplarisch aus, indem er Bourdieus Feldtheorie auf sie anwendet. Er vergleicht zum einen den Habitus, mit dem die Reisenden auf den Plan getreten sind. Darüber hinaus fragt er, wie sie versucht haben, mit der Durchquerung eines geografischen Raums symbolisches Kapital zu akkumulieren, um den Aufstieg im sozialen Raum zu erproben (92ff.). Heinrich Barth trat beispielsweise dezidiert als Wissenschaftler großbürgerlicher Herkunft auf. Sein Afrika-Unternehmen, das den ausgebildeten Geografen nach Nord- und Westafrika führte (1849-1855), verknüpfte er mit dem "Wunsch, nicht lange in der Stellung eines Privatdozenten fortzuvegetieren". Vom preußischen Kultusministerium erwartete er vergebens eine Festeinstellung als Professor an der Universität (97, 101). Im Gegensatz zu Barth trat Heinrich Wissmann als militärischer Held auf. Die Reise des Offiziers in den Jahren 1880 bis 1883 gilt als Erstdurchquerung Afrikas von West nach Ost. Sie gab den Ausschlag für seine Beförderung zum Major. Nachdem er in Ostafrika 1890 den Araberaufstand blutig niedergeschlagen hatte, wurde er nicht nur mit dem Adelstitel ausgezeichnet, sondern 1895 auch noch zum Gouverneur Deutsch-Ostafrikas ernannt (102f.). Wissmann legte den erfolgreichsten deutschen Afrikabericht des 19. Jahrhunderts vor (124), der seine Karriere entscheidend beflügelte. Fiedler erklärt, anlässlich der Beschreibung der Baschilenge habe Wissmann offen die "koloniale Geste des Erziehens" zur Schau gestellt (112, 142, 167). Fiedler kann sich in diesem Kapitel auf Johannes Fabians Untersuchung zum "Tropenfieber" in der Erforschung Zentralafrikas stützen. In seiner Verfolgung der Kontinuitätslinie, die zur Kolonisierung Afrikas führt, diskutiert er jedoch bedauerlicherweise nicht, dass Fabian die Begegnung zwischen Wissmann und den Baschilenge als den Ausnahmefall schlechthin bewertet hat. Aufrichtige Freundschaft und die Einbeziehung des Forschers in den indigenen Hanfkult hätten diesen Kulturkontakt geprägt und zu einer "utopischen Begegnung zwischen dem Westen und Afrika auf gleicher Ebene" gemacht [1].
Im dritten Kapitel analysiert Fiedler, wie der Afrikadiskurs zwischen literarischen und scheinbar wissenschaftlichen Spezialdiskursen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zirkuliert. Wilhelm Raabes Roman "Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge" (1868) schildert Afrika in der Tradition Hegels als geschichtslosen Kontinent (195). In Frieda von Bülows Kolonialroman "Tropenkoller" (1896) erklärt ein nietzscheanischer Kolonialpionier, dass es hier eine "koloniale Zukunft" nur geben könne, wenn man im Gegensatz zu den Ansichten von "Humanitätsaposteln" eine nützliche "Härte" walten lasse (209). Der Humanist "Weißbart-Weichherz" will dagegen in einem afrikanischen "Lederstrumpf"-Roman Carl Falkenhorsts aus dem Jahr 1893 auf Kulturmission "unter den schwarzen Menschen das Samenkorn der Kultur" ausstreuen (217f.). Hier wird das Bild des Deutschen als des besseren Kolonisators aufgegriffen, das schon seit dem 18. Jahrhundert zum festen Bestand der Topoi gehörte (219) und noch nach dem Verlust der deutschen Kolonien auch Hans Grimms Hauptwerk Volk ohne Raum von 1926 prägte (205f.). In den 1870er-Jahren wurde die Geografie als Leitdisziplin der Afrikaforschung zunehmend von der Ethnologie abgelöst (122, 174). Als deren Gründervater gilt Adolf Bastian, der sich 1859 mit der Publikation eines Afrika-Reiseberichts einen Namen gemacht hat. Die "Fieberparoxysmen" überlebte er, und zehn Jahre später saß er auf dem ersten Lehrstuhl für Völkerkunde in Berlin (246, 272). Aus seiner Einstellung, dass die Ethnologie in den Dienst des kolonialen Projekts gestellt werden sollte, machte Bastian keinen Hehl (249f.). An Kulturkontakten war dieser Ethnologe nicht interessiert, er raffte Kulturgegenstände als "Fossile" indigener Gesellschaften zusammen (254), die er sowieso dem Untergang geweiht sah. Der auch mit tödlicher Konsequenz schießwütige Frobenius [2] schließlich repräsentiert in ironisch-herablassender Geschwätzigkeit den Typus des Ethnologen, der den Habitus des imperialen Eroberers kultiviert. Wenn ihm die Eingeborenen den Einzug in ihr Dorf verweigern sollten, sucht er sie skrupellos mit Büchse und Zielrohr gefügig zu machen (274). Die Popularisierung des Afrikadiskurses ist hier an einem ihrer Tiefpunkte angekommen.
Im Afrikadiskurs rekurriert eine Denkfigur, die davon ausgeht, dass koloniale Größe als Weltmacht die innere Kolonisation des Kaiserreichs befördere und dazu beitrage, eine deutsche nationale Identität zu bekräftigen (205, 290). Fiedler zeigt, wie sich unter den deutschen Kolonisatoren ein Herrenmenschen-Habitus entwickelt, der die Afrikaner zu Kindern stilisiert und deren Erziehung zur Arbeit als Kulturmission begreift. Wer jedoch nicht willig ist, sich in ein ethnografisches Objekt oder in Arbeitskraft verwandeln zu lassen, wird dem Terror ausgesetzt, den der Prozess einer ursprünglichen Akkumulation von symbolischem und ökonomischem Kapital in der Regel mit sich bringt. Die Popularisierung des Afrikadiskurses, die Fiedler in seinem Beitrag zur "Bewältigung der deutschen Kolonialschuld" untersucht (9), wird für die Bewohner dieses Kontinents auf fatale Weise wirksam, nicht nur in Völkerschauen (222ff.), sondern auch in Strafexpeditionen, auf Plantagen mit extremen Sterblichkeitsraten und schließlich im Vernichtungsfeldzug des Generals von Trotha in Deutsch-Südwest.
Anmerkungen:
[1] Johannes Fabian: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München 2001, 370.
[2] Vgl. Markus Joch: Der Ethnologe als Geschichtenerzähler. Frühjahr 1907: Leo Frobenius berichtet vom Kongo-Kassai. In: Alexander Honold / Klaus R. Scherpe (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart 2004, 357-366, hier 362f.
Thomas Schwarz