Rezension über:

Christine Szkiet: Reichenauer Codices in Schaffhausen. Die frühen Handschriften des Schaffhauser Allerheiligenklosters und ihre Stellung in der südwestdeutschen Buchmalerei des 11. Jahrhunderts (= Kieler Kunsthistorische Studien. Neue Folge; Bd. 9), Kiel: Verlag Ludwig 2005, 235 S., 84 Abb., ISBN 978-3-937719-08-5, EUR 44,90
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Rezension von:
Barbara Polaczek
Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Michaela Braesel
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Polaczek: Rezension von: Christine Szkiet: Reichenauer Codices in Schaffhausen. Die frühen Handschriften des Schaffhauser Allerheiligenklosters und ihre Stellung in der südwestdeutschen Buchmalerei des 11. Jahrhunderts, Kiel: Verlag Ludwig 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 6 [15.06.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/06/9629.html


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Christine Szkiet: Reichenauer Codices in Schaffhausen

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Christine Szkiet widmet sich in ihrer Kieler Dissertation einer Handschriftengruppe aus einem doch recht bekannten Ort. Allerheiligen in Schaffhausen am Hochrhein war bis zu seiner Aufhebung 1529 ein wichtiges Kloster Südwestdeutschlands. Es wurde um 1049/50 als Hauskloster der Nellenburger gegründet und bereits um 1080 von Wilhelm von Hirsau reformiert. Bis hierhin gab es vielleicht keine eigene Handschriftenproduktion, der Grund dafür ist aber nicht klar. Die ersten Mönche kamen wohl von der Reichenau, zu der die Stifter familiäre Beziehungen hatten. Logisch wäre, dass sie einen Grundbestand an notwendigen Handschriften mitbrachten - was auch Ähnlichkeiten mit der Liuthar-Gruppe und den Codices der so genannten Reichenauer Endphase erklären würde.

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die frühen Handschriften Reichenauer Provenienz beziehungsweise mit Reichenauer Kontext in der Klosterbibliothek. Bis 1100 datieren ungefähr 30 Codices. Zusammen mit den anschließend, bis 1150 hergestellten 40 Stück bilden diese Handschriften das Kernstück der Ministerialbibliothek in Schaffhausen, welche heute in der Stadtbibliothek aufbewahrt wird. Nur die Ersterwähnten stehen in direkterem Zusammenhang mit der Produktion der Reichenau. Das in Miniatur 17 (ca. 1100) erhaltene Bücherverzeichnis ist ein Anhaltspunkt zu den Beständen dieser Zeit.

In vier großen Kapiteln geht die Autorin auf Forschungsgeschichte, historischen Hintergrund des Klosters, seinen Handschriftenbestand im 11. Jahrhundert und auf Datierung und Lokalisierung der frühen Handschriften ein. Der umfangreiche Anhang besteht aus Gegenüberstellungen von Kalendarien und vor allem aus einem Handschriftenkatalog, der nicht nur die besprochenen Codices aus dem Allerheiligenkloster, sondern auch die Vergleichshandschriften anderer Bibliotheken in Kurzform darstellt.

Allerheiligen und seinen Handschriften hatte sich die Forschung mehrmals gewidmet. [1] Annegret Butz ordnete die frühen Codices in drei Stilphasen, was Christine Szkiet zu wenig differenziert ist. Sie schlägt insgesamt fünf Gruppen vor, von denen die Codices der vorgeschalteten Phase aus diversen Skriptorien (Reichenau, St. Gallen, Bayern) stammen.

Die Handschriften der ersten Stilphase (Min. 2-4, Min. 18) unterscheiden sich durch die Verwendung von Deckfarbenmalerei und Gold von den nachfolgenden Codices. Sie sind nicht in Schaffhausen entstanden. Alle vier Handschriften sind eng mit dem Sakramentar Smith-Lesouëf 3 (Paris, Bibliothèque Nationale) verwandt, welches die Autorin auf Grund eines Eintrags im Kalendarium und einer möglichen Bestimmung für das Allerheiligenkloster (anlässlich einer Altarweihe) auf 1065 datiert. Paläographisch und stilistisch gesehen sind die Allerheiligen-Handschriften kurz darauf entstanden. Bereits Anton von Euw stellte die Möglichkeit dar, dass diese fünf Handschriften vom so genannten Brescianus (Brescia, Biblioteca Civica Queriniana, Cod. Mbr. F. II. 1) abstammen, das heißt, dass der Künstler der in Italien aufbewahrten Handschrift diejenigen der folgenden unterrichtete (207). [2] Die wahrscheinlichste Provenienz all dieser Codices ist die Reichenau.

Die zweite Phase - bei Butz noch zur ersten gehörend - datiert die Autorin auf die 1070er-/1080er-Jahre (Min. 104, Min. 107, Min. 35, Min. 44, Min. 25, Min. 31, Min. 50, Min. 46, Min. 24). Die Initialornamentik ist von der ersten Gruppe abhängig, wird aber gröber und verliert an Qualität. Die Autorin fragt zu Recht nach, wieso eine Handschriftenproduktion erst mit der Hirsauer Reform begonnen haben soll. Vor Weihe der Klosterkirche 1064 wäre das Fehlen eines Skriptoriums erklärbar, aber danach kann man es in einem Benediktinerkloster durchaus erwarten.

Die Codices der dritten Stilphase sind vor 1096 entstanden, während der Zeit des Abts Siegfried (1082-96; Min. 20, Min. 17, Min. 39, Min. 55). Sie orientieren sich stilistisch an den Handschriften der vorangegangenen Gruppen. Federzeichnung dominiert die Initialen, Strichelungen verleihen Ranken und Knollen Plastizität und Bewegung.

Die vierte Phase (Min. 15, Min. 16, Min. 19, Min. 1, Min. 48, Cod. Sang. 80) lässt auf den Zeitraum zwischen 1096 und 1100 schließen. Auch hier entwickelt sich die Gestaltung der Initialen weiter, gerade in Bezug auf Zierklammern oder Ranken. Letztere sind nun eng gelegt und stark verflochten, im Vergleich zu früheren Beispielen verlieren sie an Dynamik.

Die Autorin argumentiert mit ikonographischen Vergleichen, aber vor allem mit sehr genauen stilistischen Beschreibungen des Buchschmucks. Erst gegen Schluss werden Paläographie, Kodikologie und Kalendarien herangezogen, was man als Grundlage einer Handschriftenbearbeitung früher erwarten würde. Der ausführliche Katalog listet unter dem Stichwort "Inhalt" die einzelnen lateinischen Textteile samt Folioangaben auf und führt dies in Deutsch aus unter "Übersicht", wo auch Besonderheiten des Buchschmucks kurz erwähnt werden. "Beschreibung" gibt Beschreibstoff, Maße, Satzspiegel, Schrift, Kodikologie, Einband und andere individuelle Eigenschaften wieder. "Geschichte und Datierung" erläutert zusätzlich die Miniaturen kurz und ordnet den jeweiligen Codex in sein Umfeld ein. Angaben der neueren Literatur beschließen die Katalogeinträge. Bei den Vergleichshandschriften anderer Bibliotheken beschränkt sich die Autorin auf eine Übersicht, die Zusammenhänge mit Codices aus dem Allerheiligenkloster und eine Literaturauswahl. Die Arbeit zeichnet sich zudem durch zahlreiche Abbildungen (34 farbige, 82 schwarz/weiß-Abb.) der Allerheiligen-Codices und schwer zugänglicher Vergleichshandschriften aus.

Die akribische Arbeit hätte in der Druckvorbereitung eine sorgfältigere Durchsicht verdient, denn Interpunktionsfehler tragen nicht zur klaren Darstellung eines Sachverhalts bei. Im Register wäre eine Auflistung der Handschriften-Abbildungen, zum Beispiel durch Kursivsetzen der jeweiligen Seitenzahl, für den Leser eine Hilfe gewesen. Dennoch ist der Band insbesondere durch die Abbildungen und den Katalog eine Ergänzung unseres Bildes der mittelalterlichen südwestdeutschen Handschriftenlandschaft. Gut zehn Jahre nach den beiden wichtigen Publikationen zur Allerheiligen-Bibliothek greift die Autorin die Frühzeit wieder auf und erweitert gleichzeitig unseren Blick auf die späte Phase der Reichenauer Buchproduktion.


Anmerkungen:

[1] Zuletzt ausführlich: Annegret Butz: Katalog der illuminierten Handschriften des 11. und 12. Jahrhunderts aus dem Benediktinerkloster Allerheiligen in Schaffhausen. In Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Schaffhausen, hrsg. von Wolfgang Augustyn (Denkmäler der Buchkunst, 11 [nicht II, wie im Literaturverzeichnis angegeben]), Stuttgart 1994. Siehe auch Rudolf Gamper, Gaby Knoch-Mund und Marlis Stähli: Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Ministerialbibliothek Schaffhausen. Die Handschriften der Schaffhauser Klöster. Vom Allerheiligenskriptorium zur Ministerialbibliothek, Zürich 1994.

[2] Vergleiche auch Anton von Euws Kommentar zu: Das Goldene Buch von Pfäfers (Liber Aureus). Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Fabariensis 2 des Stiftarchivs Pfäfers im Stadtarchiv St. Gallen. Kommentar von Anton von Euw, Werner Vogler und Lorenz Hollenstein, hrsg. von Werner Vogler, Graz 1993, 39-115, hier 114.

Barbara Polaczek