Brigitte Flug: Äussere Bindung und innere Ordnung. Das Altmünsterkloster in Mainz in seiner Geschichte und Verfassung von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 61), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, X + 362 S., ISBN 978-3-515-08241-9, EUR 70,00
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Aufbauend auf einem anspruchsvollen Ausstellungskatalog des Mainzer Landesmuseums aus dem Jahre 1993/94 [1] untersucht die Verfasserin dieser von Michael Matheus und Brigide Schwarz betreuten und zu Recht mit dem Gutenberg-Preis der Stadt Mainz ausgezeichneten Dissertation erstmals systematisch das älteste Frauenkloster der mittelalterlichen Rheinmetropole, welches zum Zeitpunkt seiner Inkorporation in den Zisterzienserorden (1243) schon an die 500 Jahre alt war und bis zu seiner Auflösung (1781) noch einmal solange existierte. Fast alle Überreste seiner (und aller anderen, nicht viel länger bestehenden monastischen Einrichtungen des alt-reichischen Mainz einschließlich dreier weiterer Zisterzienserinnenklöster) Existenz sind in den anschließenden Wirren der Franzosenzeit vernichtet oder verstreut worden. So war schon die Schaffung der Voraussetzungen der Analyse mühevoll und wurde bravourös bewältigt: Die Urkunden so umfassend zu sammeln, dass einleitend (11-22) das ehemalige Klosterarchiv bis zum Jahr 1400 (und anschließend auch die Bibliothek) rekonstruiert werden konnte. Dieses überraschend umfangreiche und wohl einigermaßen vollständige Quellenfundament wurde nicht gedruckt, sondern dem Buch als zweiter Hauptteil auf CD-ROM beigegeben. Dadurch mag die bedauerliche Ungenauigkeit des gedruckten Inhaltsverzeichnisses (ab Teil B, 31) und - gravierender - des durchgängig um vier Seiten zu hoch zählenden sowie in seiner Systematik wenig hilfreichen Personen- und Ortsregisters substituiert werden.
Dass die seit dem (allerdings schon im Jahr 2000 erfolgten) Abschluss der Dissertation erschienene Literatur nur noch partiell eingearbeitet wurde (so dass z.B. die Untersuchung von Friederike Warnatsch-Gleich über die Zisterzienserinnen im Hochmittelalter [2] unberücksichtigt blieb), werden nur diejenigen unter den Ordensfachleuten beklagen, welche von jeder der noch nicht allzu zahlreichen Einzelanalysen, die im Rahmen der vergleichsweise jungen Zisterzienserinnen-Forschungsbewegung erschienen sind [3], schon jetzt markante synthetische Züge erwarten. Obwohl die vorliegende akribische Analyse auch in dieser Hinsicht keineswegs enttäuscht, steht dem unter anderem eine gegenseitige Isolation der weiblichen Zisterzen entgegen. Auch Altmünster gehört zu denjenigen Frauenklöstern, deren Außenbeziehungen sich nach einer möglicherweise bedeutenderen Frühzeit weitgehend auf den eigenen Standort (das war bei den "weiblichen Zisterzen" bezeichnenderweise ja immer eine Stadt) und die eigenen Besitzungen beschränkten. Dies schließt vereinzelte überregionale Kontakte oder gar "Skandale" nicht aus, wofür hier stellvertretend der auf Seite 69 u.ö. angesprochene "Gandersheimer Streit" (1025-1030/31) stehen mag, in welchen der Frauenkonvent durch Erzbischof Aribo von Mainz verwickelt wurde. Umso weniger genügte man sich im kommunalen und regionalen Rahmen in Gebet und Andacht, sondern war - immer wieder auch höchst erfolgreich - engagiert in der Errichtung und Unterhaltung der Klosterbauten, der Verwaltung und Organisation des Grundbesitzes, der Erwirtschaftung und Sicherung des Lebensunterhalts und ggf. auch der Wissensvermittlung und Bildung.
In ihrem darstellenden Teil schildert die Verfasserin in zwei stark untergliederten Kapiteln zunächst die äußere Geschichte mit ihren vielfältigen Beziehungskomplexen und anschließend die innere Verfassung des Klosters mit den weiblichen (und männlichen) Funktionsträgern sowie den sozialen Träger- und Beziehungsgruppen (Herkunft der Nonnen, Konversen, Familiaren, Merkmale der Grundholden, Lehnsmannschaft etc.). Dabei gelangt sie etwa bezüglich der höchstwahrscheinlich 734 abgeschlossenen Gründungsphase des Klosters durch die thüringische Adelige Bilihilt und deren Familie, sowie bezüglich der Beziehungen dieses Hausklosters der Haganonen in den Würzburger Raum sowie zum Herzogshaus der Hedenen zu neuen, tragfähigen Ergebnissen.
Ab 966 gelangte Altmünster, welches in den ersten Jahrhunderten seiner Geschichte wenigstens zeitweilig die Benediktsregel befolgt haben dürfte, wenn sich auch im 12. Jahrhundert Elemente starker Verstiftung finden, für etwa 150 Jahre an das Erzstift Magdeburg. Mit der Rückgewinnung durch Erzbischof Adalbert I. (1112) setzte eine Phase starker Einflussnahme der Mainzer Erzbischöfe ein, die ihren Höhepunkt unter Siegfried III. von Eppstein erreichte: Im Rahmen von dessen "Reformprogramm" wurde die wohlhabende Gemeinschaft in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts gegen anhaltenden Widerstand reformiert und 1243 in den Zisterzienserorden inkorporiert. Die familiär-versorgungspraktischen und die memorialen Funktionen des dem durchaus rührigen Vaterabt in Eberbach unterstellten Klosters für die Mainzer Metropoliten endeten erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts. So hart die betroffenen Frauen den Verlust ihrer Selbständigkeit zunächst empfunden haben, erfolgte ihre Einordnung in das Filiationssystem und die Durchsetzung der Regularien des Ordens offenbar auf dem Wege einer milden Anpassung, worin die Verfasserin eine Ursache der geringeren Krisenanfälligkeit Altmünsters ausmacht (290f.). Jedenfalls scheinen die vor der Reform aufgetretenen Züge gegenseitiger Verselbständigung von Äbtissinnen und Konvent etc. hernach erfolgreicher denn andernorts zurückgedämmt worden zu sein, so dass das Gemeinschaftsleben ausgangs des 14. Jahrhunderts noch nicht völlig aufgelöst war. Die Funktionsverteilung wie Ämterverfassung des Frauenkonvents und der möglicherweise von Anbeginn an parallelen männlichen Klerikergemeinschaft waren regulär (288).
Über die Zusammensetzung des Konvents der Frühzeit lassen sich trotz aller Erfolge der Quellenrekonstruktion kaum Feststellungen treffen, und auch etliches andere muss weiterhin und definitiv vage bleiben. Im Spätmittelalter handelte es sich um 22-38, in der Frühen Neuzeit um 15-40 Chorschwestern. Verbindungen zu dem durch Rekrutierung und Stiftungstätigkeit herausragenden Hochadel bestanden wohl bruchlos seit der Gründung bis ins 13. Jahrhundert, zuletzt zu den Eppsteinern. Zugleich mit dem Eindringen der ersten städtischen Patrizierstöchter verschwand um 1300 der Hochadel aus dem klösterlichen Zusammenhang. Dessen Rolle in einem reichen und vielgliedrigen do ut des übernahm jetzt der schon vor der Reform hinzugetretene regionale Niederadel (Rheingrafen, von Lewenstein, von Weierbach und zum Turn/von Gudenberg, von Winternheim/von Winterau, von Biegen), dessen personelle Verflechtungen mit dem Kloster hier detailliert aufgedeckt werden. Dass diesen niederadeligen Familienverbänden seit dem 14. Jahrhundert solche des Mainzer Patriziats und der führenden Zünfte an die Seite traten, macht die Verfasserin namentlich an der Sippe der Löwenhäupter akribisch fest. Ganz so, wie sich von da an im Konvent keine ständische Exklusivität feststellen lässt, sind auch in der familia Altmünsters nicht nur eine Vielzahl verschiedener Anbindungsformen, sondern auch Angehörige verschiedener sozialer Gruppen vertreten.
Das auf diese Weise hervortretende vielfältige Beziehungsnetzwerk dieses durch seinen "Ordenswechsel" besonders interessanten Klosters sowie seine strukturelle Individualität vor wie in der Zisterzienserzeit stehen fortan ebenso dem Vergleich mit anderen Zisterzienserinnen- und sonstigen Frauenklöstern offen wie dem Eingepasstwerden in eine Synthese. Auch dadurch hat die Verfasserin der Mainzer geschichtlichen Landeskunde einen hervorragenden Dienst erwiesen.
Anmerkungen:
[1] 1300 Jahre Altmünsterkloster in Mainz. Abhandlungen und Katalog der Ausstellung im Landesmuseum Mainz 1993/94, hg. v. Ingrid Adam und Horst Reber, Mainz 1993.
[2] Friederike Warnatsch-Gleich: Herrschaft und Frömmigkeit. Zisterzienserinnen im Hochmittelalter (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, 21), Berlin 2005.
[3] Dies hat Franz-Josef Felten, der als Zweitgutachter der vorliegenden Arbeit fungierte, auf einer Tagung über "Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterziensier im Mittelalter" betont, die vom 14.-16.03.2007 in Mainz stattgefunden hat, s. den Tagungsbericht von Katharina Neugebauer u.a. auf http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1544
Paul-Joachim Heinig