Robert Rebitsch: Matthias Gallas (1588-1647). Generalleutnant des Kaisers zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Eine militärische Biographie (= Geschichte in der Epoche Karls V.; Bd. 7), Münster: Aschendorff 2006, VIII + 483 S., ISBN 978-3-402-06576-1, EUR 59,00
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Die Nachwelt verbindet mit dem kaiserlichen Generalleutnant Matthias Gallas (1588-1647), der im letzten Drittel des Dreißigjährigen Krieges jahrelang die kaiserliche Hauptarmee kommandierte, fast nur negative Erinnerungen. So ist in der Umgebung von Bernburg an der Saale der "Gallassische Ruin" vom Herbst 1644 im Gedächtnis geblieben (284). Die Schweden unter Torstenson schnitten damals Gallas, seine Truppen wie auch die Zivilbevölkerung von der Lebensmittelversorgung ab, sodass der größte Teil der kaiserlichen Armee auch ohne Schlacht vernichtet wurde. In der Bourgogne ist der Name "Gallas" Synonym für den todbringenden, militärisch erfolglosen Feldzug der kaiserlichen Armee im Jahre 1636. Gallas misslang damals trotz mehrtägiger Beschießung die Einnahme der Kleinstadt Saint-Jean-de-Losne, die alle fünfzig Jahre durch "Fêtes de la Gallas" ihres erfolgreichen Abwehrkampfes gedenkt (162). Folglich freuten sich die Franzosen 1639, dass ein solcher General wie Gallas gegen sie angetreten war, da dieser bereits zwei schöne (kaiserliche!) Armeen "ruiniert" hatte. Sie hofften, dass Gallas auch die dritte "hinrichten" werde (194).
Es überrascht nicht, dass dieser kaiserliche Generalleutnant bislang keinen Biographen gefunden hat. War Gallas doch dafür bekannt, seine Truppen durch Hunger, Seuchen und Desertion, nicht aber durch eine Schlacht zu verlieren, weshalb er in der Forschungsliteratur, zuerst anscheinend 1852, auch als "Heerverderber" bezeichnet wird (18). Robert Rebitsch kommt das Verdienst zu, diese Forschungslücke durch eine "partielle Biographie" (6) verkleinert zu haben. Sein erklärtes Ziel ist es, unter Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen und militärischen Aspekte und unter Einbeziehung der Rezeptionsgeschichte die persönlichen und strukturellen Rahmenbedingungen des Handelns aufzudecken.
Hingegen ist schon deshalb nicht der Versuch intendiert, ein Gesamtbild der Persönlichkeit zu zeichnen, weil für die ersten dreißig Lebensjahre des späteren Generalleutnants, der dem landsässigen Adel des Hochstifts Trient entstammte, die Quellenlage generell dürftig ist und auch Ego-Dokumente fehlen, die Licht ins frühe biographische Dunkel bringen könnten (6 f.). Für die späteren Jahrzehnte konnte Rebitsch neben Akten aus dem Österreichischen Staatsarchiv Wien, dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München und anderen in- und ausländischen Archiven das Familienarchiv Clan-Gallas und die Feldkanzlei Matthias Gallas im Staatlichen Regionalarchiv Litoměřice/Leitmeritz, Zweigstelle Děčín/Tetschen, auswerten. Seine chronologisch aufgebaute Darstellung wird durch einen Exkurs über die "Ausschreitungen der Soldateska und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Disziplin" (204-225) unterbrochen. Der zweite Exkurs über den Generalstab von 1644 (240-250) stellt die erweiterte Fassung einer bereits 2004 veröffentlichten Miszelle dar.
Die Quellenarmut für die ersten Lebensjahrzehnte erklärt sich aus dem anfänglich sehr langsamen militärischen Avancement. Erst mit dreißig Jahren zum Festungskommandanten von Riva am Gardasee ernannt, wechselte Gallas 1621 aus den Diensten des Fürstbischofs von Trient in das Heer der Katholischen Liga. Trotz der Empfehlung Tillys konnte er die Charge eines Generalwachtmeisters dort bis 1629 nicht erreichen und suchte daher größere Entfaltungsmöglichkeiten in der kaiserlichen Armee, wo er die Gunst Wallensteins gewann und zügig bis zum Generalleutnant aufstieg. 1632 wurde er zum Reichsgrafen erhoben. Obwohl erst Wallensteins Förderung seine erstaunliche Karriere ermöglichte, wurde Gallas in der Endphase der Exekution des Herzogs von Friedland zum entschlossenen Vollstrecker des kaiserlichen Befehls und war darin sogar entschlossener als das Reichsoberhaupt und dessen Räte (111). Nicht zuletzt in ökonomischer Hinsicht profitierte Gallas von der Exekution Wallensteins, da er die Herrschaften Friedland und Reichenberg als Donationen erhielt.
Die in der Krise um Wallenstein dem Haus Habsburg erwiesene Loyalität ist für Rebitsch einer der Gründe, warum Gallas die Gunst des Kaisers trotz vielfältiger Misserfolge nie dauerhaft verlor. Der andere Grund ist der Sieg bei Nördlingen 1634, der unter dem Oberbefehl König Ferdinands errungen wurde. Der eigentlich Kommandierende ist für Rebitsch aber Gallas, obwohl dessen Befehle und Maßnahmen nicht genau rekonstruierbar sind (117 f.). Demnach bleibt es eine zumindest nicht hinreichend untermauerte These, diesen großen militärischen Erfolg in erster Linie dem sonst meist unglücklich operierenden Gallas zuzuschreiben.
Der risikoscheue, vor "Hauptaktionen" zurückschreckende Charakter des Generalleutnants und seine fehlenden Qualitäten in der Heeresverwaltung und der operativen Führung sind allerdings auch für Rebitsch ein Faktor für die sich ab 1635 häufenden militärischen Misserfolge. Einen mindestens ebenso wichtigen Faktor sieht er zu Recht in den immer schlechter werdenden strukturellen Rahmenbedingungen. Immer weniger funktionierte die Verpflegung aus den okkupierten Gebieten, immer unzureichender wurde der eigene Nachschub angesichts der erschöpften Ressourcen. Die Disziplinlosigkeit der mangelhaft versorgten Truppen und der Unwille der Reichsstände zur Bereitstellung von Winterquartieren und Verpflegung bildeten einen unheilvollen Circulus vitiosus, den zu durchbrechen es stärkerer Kräfte bedurft hätte, als sie dem etwas devoten, zuletzt sehr kranken, wenig durchsetzungsfähigen Generalleutnant zur Verfügung standen.
Zu den sich verschlechternden Rahmenbedingungen und den Unzulänglichkeiten des Generalleutnants traten Fehleinschätzungen und inadäquate Direktiven des Kaisers. Ferdinand III., so Rebitsch, entwarf einmal utopisch anmutende Kriegspläne (285), schien ein anderes Mal von der Situation völlig überfordert (291), beurteilte die Lage zu optimistisch (261) oder ging gar mit äußerst lässiger Zuversicht ans Werk (320).
Einen eigenen Abschnitt widmet Rebitsch dem "Netzwerk", das der Generalleutnant sich nutzbar zu machen verstand (299-318). Die erste Stelle unter seinen Fürsprechern nahmen anscheinend der Hofkriegsratspräsident Schlick und der Reichsvizekanzler Kurz ein. Neben Gönnern und Vertrauten am Kaiserhof sucht Rebitsch auch die Gegner des Generalleutnants ausfindig zu machen. Außer dem ebenfalls militärisch erfolglosen Erzherzog Leopold Wilhelm und dem Diplomaten Auersperg kann er allerdings niemanden nennen, der sich offen gegen Gallas ausgesprochen hätte (314 f.). Eine detaillierte Analyse der Entscheidungsfindungsprozesse am kaiserlichen Hof müsste hier weitere Ergebnisse erbringen.
Die gute Lesbarkeit des Bandes, der durch ein Personenregister erschlossen und mit acht Abbildungen ausgestattet ist, wird durch Redundanzen und Flüchtigkeitsfehler beeinträchtigt. [1] Insgesamt aber hat Rebitsch einen weiterführenden, guten Beitrag zur Biographie des Generalleutnants Gallas sowie zum unzureichend erforschten letzten Drittel des Dreißigjährigen Krieges vorgelegt.
Anmerkung:
[1] Falsch geschrieben ist beispielsweise das häufig vorkommende "konjugieren" (statt: konjungieren) (174, 175 und öfter), das in der Liste der Worterläuterungen (416-419) fehlt. Verschrieben sind "Expetitionsstreitmacht" (50), "Expetitionskorps" (51), "ius amorum" (124); die Reihe ließe sich fortsetzen. Gelegentlich finden sich Stilblüten wie: "Torstensson biss sich an der mährischen Hauptstadt die Zähne aus." (324). Ein sachlicher Fehler hat sich durch die Verwechslung Kurfürst Friedrich Wilhelms von Brandenburg mit Herzog Friedrich Wilhelm II. von Sachsen-Altenburg eingeschlichen (287): Nicht Kurbrandenburg, sondern Sachsen-Altenburg leistete Gallas im Jahre 1644 vor Bernburg keine Hilfe.
Maria-Elisabeth Brunert