Konrad Feilchenfeldt / Bernhard Fischer / Dietmar Pravida (Hgg.): Varnhagen von Ense und Cotta. Briefwechsel 1810-1848. Band 1: Text / Band 2: Kommentar (= Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft; Bd. 51), Stuttgart: Klett-Cotta 2006, 2 Bde., 370 S. + 652 S., ISBN 978-3-7681-9700-7, EUR 98,00
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Ein wichtiges Dokument aus der Zeit zwischen Napoleonischer Ära und der Revolution 1848/49 wird hier erstmals vorgelegt: Die Korrespondenz zwischen dem Diplomaten und Publizisten Karl August Varnhagen von Ense und einem der prominentesten und wichtigsten Verleger seiner Zeit im deutschsprachigen Raum: Johann Friedrich von Cotta. Mit Konrad Feilchenfeldt (Herausgeber der Varnhagen-Werkausgabe im Deutschen Klassiker Verlag), Bernhard Fischer (Leiter des Cotta-Archivs) und Dietmar Pravida (durch seine projektierte Ausgabe des Varnhagenschen Postbuchs mit dessen Briefkosmos bestens vertraut) haben sich für dieses Projekt drei Wissenschaftler gefunden, die sich durch die spezifischen Kenntnisse in ihren Arbeitsgebieten sehr gut ergänzen und so nach offensichtlich konstruktiver Zusammenarbeit auch dazu entschieden haben, "ihre Edition gemeinsam ohne Rangfolge und ohne Kenntlichmachung der Anteile zu gleichen Teilen zu verantworten" (I, 6). Herausgekommen ist, das sei gleich gesagt, eine editorische Leistung, die durch ihre Genauigkeit wie durch die Fülle des ausgebreiteten Materials beeindruckt.
Die Ausgabe umfasst sämtliche überlieferten Briefe, die Karl August Varnhagen von Ense und Johann Friedrich von Cotta bzw. (nach seinem Tod) sein Sohn Georg von Cotta einander geschrieben haben inklusive der in diese Korrespondenz eingebundenen Schreiben der Ehefrauen Rahel Varnhagen und Elisabeth von Cotta. Als Beilagen gesandte Briefe oder Manuskripte sind ebenfalls abgedruckt. Eingefügt sind zudem die Schreiben zwischen Varnhagen und der J. G. Cotta'schen Buchhandlung wie den Redakteuren der "Allgemeinen Zeitung (AZ)" und des "Morgenblatts" sowie die handschriftlich überlieferten, teils noch ungedruckten Manuskripte von Varnhagenschen Beiträgen für die "AZ". Als Anhang finden sich schließlich drei weitere Briefe, die in engem Zusammenhang mit der Korrespondenz zwischen Varnhagen und Georg von Cotta stehen. Abgerundet wird die Edition durch eine Bibliographie von Varnhagens Beiträgen für die "AZ" sowie ein chronologisches Briefverzeichnis und ein Personenregister. So sind es allein ein Sachregister und eine Zeittafel zu Leben und Werk der beiden Hauptkorrespondenten, die man bei der Lektüre als Hilfsmittel ein wenig vermisst.
Das hier edierte Brief- und Manuskriptkorpus liegt hauptsächlich an zwei Orten: Im Cotta-Archiv im Deutschen Literaturarchiv in Marbach und in der Sammlung Varnhagen, die sich heute in Krakau in der Biblioteka Jagiellonska befindet. Die Herausgeber haben sich bei der Textkonstitution für "einen Mittelweg zwischen diplomatischer Wiedergabe und einer alles normalisierenden 'Leseausgabe'" (II, 77) entschieden, was insbesondere bei J. F. v. Cottas stark verschliffenem Schriftbild zu einer deutlichen Glättung führt - um der Lesbarkeit willen. Eine nachvollziehbare Entscheidung, bei der man sich allerdings gewünscht hätte, dass im Gegenzug der Ausgabe wenigstens einige Faksimiles beigegeben worden wären, um die Differenz zwischen Handschrift und ediertem Text sichtbar zu machen.
Der Kommentarband, bald doppelt so umfangreich (zudem weitgehend in kleinerer Type gesetzt) wie der Textband, enthält eine instruktive Einleitung, die vor allem einen guten Überblick über die biographische Entwicklung der Hauptkorrespondenten, insbesondere ihre Anteilnahme am Zeitgeschehen und auch ihre politischen Aktivitäten wie journalistischen Projekte bietet. Das Auf und Ab wie die unterschiedlichen Schwerpunkte dieser Beziehung werden hier treffend charakterisiert: Während in der ersten Phase des Briefwechsels (1810-14) die Politik noch keine große Rolle spielte, "im Vordergrund [...] der literarische Autor und Publizist Varnhagen stand" (II, 8) und es über einen erbittert geführten Honorarstreit zum Bruch kam, wurden nach der von Cotta ausgehenden Versöhnung in der zweiten Phase der Korrespondenz ab 1814 die "Felder der Geschichte, Politik und Diplomatie" (II, 11) zu einem bestimmenden Moment der Beziehung: "Cottas Absicht, nach der Befreiung vom Napoleonischen Joch mit seinem politischen Verlag, vor allem seiner 'AZ', unter den Bedingungen einer freien Öffentlichkeit neue Zeichen zu setzen", traf ideal zusammen mit Varnhagens "neuem Selbstentwurf als politischer Publizist und Historiker" (II, 11). 1820/21 mit Varnhagens Abberufung aus Karlsruhe und einer Veränderung der politischen und publizistischen Situation durch die Karlsbader Beschlüsse trennten sich Cottas und Varnhagens Wege für mehrere Jahre und das "bis 1820 so intensive Gespräch verebbte" (II, 22), bis die Beziehung 1828/29, nun auch unter Einschluss von Rahel Varnhagen wie Cottas zweiter Frau Elisabeth und somit als eine Familienverbindung, wieder intensiviert wurde. Einen deutlichen Schnitt in der Korrespondenz markieren denn auch 1832 J. F. von Cottas und 1833 Rahel Varnhagens Tod; mit Georg von Cotta entstand kein gleichermaßen herzliches Verhältnis wie mit seinem Vater, die nach 1833 fast versiegende Korrespondenz wird dominiert von Geldfragen. Wer sich über die politisch-sozialen oder nationalen Wechselfälle der 1840er Jahre informieren will, wird in diesem Briefwechsel erst wieder im unmittelbaren Vorfeld der Revolution fündig; doch nachdem sich "das Interesse Varnhagens an der 'AZ' im Moment der deutschen Revolution von 1848 noch einmal intensiviert hatte, hörte es danach ganz auf" (II, 32) - und damit auch diese Korrespondenz.
Der Kommentar enthält zu jedem Brief eine genaue Handschriftenbeschreibung, die Anführung von Lesarten und natürlich vor allem die Erläuterungen. Hier verfährt der Kommentar einerseits nach sehr restriktivem Konzept - historisches Handbuchwissen wird stärker als sonst üblich vorausgesetzt, "Worterklärungen [werden] nur ausnahmsweise gegeben und fremdsprachige Zitate nicht übersetzt" (II, 73) - und vertritt andererseits sehr weitläufige Richtlinien, indem das ausführliche Zitieren aus Parallelbriefwechseln, das genaue Referieren der Zeitungsartikel u.ä. dazu dienen soll, die Bedeutung einzelner Briefstellen innerhalb "eines Netzes weiterer privater und öffentlicher Kommunikation" zu erklären (II/ 71). Das hat für die Lektüre Vor- und Nachteile: Man wird mit diversen Querverbindungen zwischen Personen und Gedanken der Zeit vertraut gemacht, kann sich in einen kleinen Kosmos der Epoche einlesen und erhält nicht zuletzt auch im Kommentar eine Fülle von Materialien für weitere Forschung. Zum anderen weist diese Dichte, bei der einzelne Briefstellen durchaus mit zwei bis drei Seiten Kommentar versehen werden, eine Tendenz zur Überkommentierung auf, die einer flüssigen Lektüre des Textbandes eher abträglich ist. Freilich muss man aber ja nicht alles lesen, jedenfalls nicht gleich. Und wenn man so verfährt - den Kommentar dort, wo er ausufert, als eine freundliche Zugabe begreift, die man nimmt, weil man sie will, nicht, weil man sie braucht - dann ist es einzig allein noch die restriktive Komponente des Konzepts, die das Lesen gelegentlich etwas verlangsamt, weil man eben doch nicht jedes historische Detailwissen parat hat und es daher erst im Handbuch nachschlagen muss.
Insgesamt aber ist festzuhalten, dass mit der vorliegenden Ausgabe eine wichtige Ergänzung zu den bereits länger ediert vorliegenden Korrespondenzen Cottas mit Schiller, Schelling und zuletzt Goethe erschienen ist, zeigen die Bände doch nicht nur den Verleger, sondern eben auch den politischen Menschen Cotta; die Briefe an Varnhagen sind sogar als "die zentrale Quelle" für Cottas politische Biographie zu betrachten (II, 20). Die Korrespondenz gibt dabei Einblick in die Diskussionen über die Einführung der Verfassungen im Deutschen Bund nach 1815 und ist ebenfalls ein Dokument der Aktivitäten der süddeutschen Verfassungsbewegung. Aber auch über die Goethe-Rezeption am Beginn des 19. Jahrhunderts gibt dieser Briefwechsel Aufschluss, so dass die beiden Bände gleichermaßen lesenswert sind für Historiker wie Literatur- und Medienwissenschaftler und generell Kulturwissenschaftler.
Silke Schlichtmann