Hans-Henning Grote: Schloss Wolfenbüttel. Residenz der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg, Braunschweig: Appelhans Verlag 2005, 256 S., ISBN 978-3-937664-32-3, EUR 24,80
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Dieser opulente Band mit zahlreichen farbigen Abbildungen kommt als coffee-table book daher und entpuppt sich beim Lesen bald als Hybrid zwischen kunsthistorischer Monografie und Museumsführer. Dies ist der Entstehungsgeschichte des Buches geschuldet, das zunächst als Museumsführer geplant war, sich jedoch zu einer wahrhaften kunst- und kulturhistorischen Forschungsarbeit ausgewachsen hat. Der generelle Schwerpunkt liegt dabei auf dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Zahlreiche Quellen, vor allem Inventare aus dieser Zeit, wurden ausgewertet.
Das Buch gliedert sich in drei Hauptabschnitte, welche die Geschichte, die Bau- und Kunstgeschichte sowie die Kulturgeschichte des Wolfenbütteler Schlosses beleuchten. Der historische Abschnitt befasst sich mit den Herzögen von Braunschweig-Wolfenbüttel von Heinrich dem Jüngeren (1489-1568) bis Karl I. (1713-1789), mit der Residenzbildung, und in groben Zügen mit der Stadt- und Landesgeschichte. Die Bau- und Nutzungsgeschichte widmet sich den verschiedenen Bauphasen des Schlosses und der Nutzung einzelner Räume vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Ergänzt wird dieser Abschnitt durch kurze Erläuterungen zu Eingriffen in die Bausubstanz im 19. und 20. Jahrhundert. In zahlreichen Rekonstruktionszeichnungen werden der angenommene ehemalige bauliche Zustand und die Entwicklung des Baukomplexes über die Jahrhunderte vor Augen geführt. Die Rekonstruktionen beruhen auf dem Baubestand und auf Quellenmaterial wie Inventaren und historischen Karten.
Der wichtigste Abschnitt des Buches widmet sich den historischen Schlossräumen. Dabei werden die Räume des heutigen Museums im Schloss eingehend mit ihrer Einrichtung beschrieben. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit der Herzöge Anton Ulrich (1633-1714) und August Wilhelm (1662-1731), welche als Blütezeit barocker Hofhaltung gelten kann. Der Grund hierfür ist leicht einsehbar, bilden doch die wandfesten Ausstattungen dieser Zeit den Hauptanteil des überlieferten Denkmalbestandes, auch wenn nicht jedes einzelne Exponat zur Originalausstattung des Schlosses gehörte. Zwar werden auch die heute nicht mehr erhaltenen Räume des Schlosses behandelt, doch ließe sich aus der Quellenlage oft etwas mehr herausholen als eine bloße Aufzählung von Lage und Funktion. Außerordentlich knapp ist die Darstellung der Schlosskapelle ausgefallen, eines der bedeutendsten, wenn auch heute bis auf wenige Reste verschwundenen Renaissance-Bauwerke in Norddeutschland aus der Zeit Heinrichs des Jüngeren um 1558. Hier legt der Autor das Gewicht weniger auf den ursprünglichen Zustand als auf die verschiedenen Umbauten der Barockzeit.
Ein gesondertes Kapitel ist dem einst bedeutenden Lustschloss Salzdahlum gewidmet, welches Herzog Anton Ulrich ab 1688 in Anlehnung an Versailles aus Holz errichten ließ. Von diesem Schloss, in dem 1713 sogar Zar Peter I. (1672-1725) empfangen wurde, ist heute außer einigen Dokumenten und der Kunstsammlung, welche den Grundstock des Herzog Anton Ulrich Museums in Braunschweig bildet, nichts erhalten.
Auch der kulturgeschichtliche Teil des Buches befasst sich schwerpunktmäßig mit der Zeit des Hochbarock von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Hier wird der Blick geöffnet für das Leben im Schloss, für höfische Etikette, Heiratspolitik und Kindererziehung, für Favoriten und Intrigen bei Hofe, aber auch für das Verhältnis von Schloss und Stadt. Gegenüber den spezifischen politischen Funktionen der Residenz als Verwaltungszentrum des Landes und als Sitz der Gerichtsbarkeit sind die repräsentativen Funktionen mit den formalisierten Diners und Soupers, mit Divertissements und Solennitäten mehr in den Vordergrund gerückt. Allerdings wird bei der Lektüre doch deutlich, dass es sich bei der ganzen Prachtentfaltung nicht um abgehobenen Luxus, sondern um ein ausgefeiltes Kommunikationssystem innerhalb eines europäischen Kontextes handelt.
In den Rahmen der jüngeren Forschungen zum deutschen Schlossbau lässt sich dieses Buch auf Grund seiner Entstehungsgeschichte nicht leicht einordnen. Erinnert sei hier an die Aktivitäten und Publikationen der Residenzenkommission [1] und des Rudolstädter Arbeitskreises zur Residenzkultur [2] sowie an eine Reihe von Monografien, die im Zuge des Forschungsprojektes am Weserrenaissance-Museum Schloss Brake in den Neunzigerjahren entstanden. [3] Der vorliegende Band lässt sich am ehesten dieser Reihe von Monografien zu norddeutschen Schlossbauten zuordnen. Von vergleichbaren, rein wissenschaftlich angelegten Arbeiten wie zum Beispiel der Göttinger Dissertation von Michael Streetz über das Welfenschloss Hannoversch Münden unterscheidet es sich jedoch erheblich, allein schon in seinem Erscheinungsbild, aber auch in der Systematik. [4] So fehlen eine Problematisierung des verwendeten Quellenmaterials, eine methodische Einführung und eine Einordnung in den aktuellen Forschungskontext. Zu bedauern ist auch, dass die Offenlegung der Quellen gelegentlich ausbleibt. Auf ein Gesamtverzeichnis der verwendeten Quellen wird leider ganz verzichtet, und auch die Auswahlbibliographie fällt mit knapp dreißig Titeln ausschließlich zur Braunschweiger Landesgeschichte mager aus. Weiterführende Literaturhinweise sind in den Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln untergebracht und mühselig zu erschließen. Der Text wird durch einen Anhang mit den Stammbäumen der Herzöge des Mittleren und des Neueren Hauses Braunschweig und durch ein Glossar ergänzt. Insgesamt ist das Buch flüssig geschrieben und gut lesbar. Als ein ausgewachsener Museumsführer wendet es sich weniger an ein Fachpublikum als an ein interessiertes Laienpublikum, für das es fundierte Informationen in angemessener Form bereitstellt.
Zu denken geben sollte das Nachwort. Hier ergreift der Autor Partei für eine verantwortungsvolle Kulturpolitik. Gegenüber fragwürdigen Rekonstruktionen, wie der des Berliner Schlosses oder des Braunschweiger Stadtschlosses, plädiert er für den Erhalt originaler Bausubstanz, die leider allzu oft mutwillig einem vordergründigen Pragmatismus geopfert wird. Da das Wolfenbütteler Schloss nicht in allen seinen Teilen gleichermaßen geschützt ist und verschiedenen Nutzungen dient, besteht nach wie vor die Gefahr des Verlustes wertvoller historischer Bausubstanz durch unsachgemäße Renovierungen. Auf diesen Umstand macht der Autor auch im Hinblick auf den 2018 auslaufenden Pachtvertrag aufmerksam, den das Land Niedersachsen als Eignerin des Schlosses mit der Stadt Wolfenbüttel als Nutzerin abgeschlossen hat. Zugleich weist er auf Möglichkeiten einer sinnvollen zukünftigen Nutzung hin.
Anmerkungen:
[1] http://resikom.adw-goettingen.gwdg.de/index.php (2007-08-08)
[2] http://www.rudolstaedter-arbeitskreis.de/ (2007-08-08)
[3] http://www.wrm.lemgo.de/publikationen_a.htm (2007-08-08)
[4] Michael Streetz: Das Renaissanceschloß Hannoversch Münden in den Inventaren des 16., 17., und 18. Jahrhunderts. Eine Fallstudie zur Auswertung schriftlicher Quellen und ihrer Verbindung mit Ergebnissen der Bauforschung, 2 Bde., Frankfurt a.M., Berlin u. a. 2004.
Barbara Uppenkamp