Rezension über:

Bernard Guineau: Glossaire des matériaux de la couleur et des termes techniques employés dans les recettes de couleurs anciennes (= De Diversis Artibus; 73), Turnhout: Brepols 2005, 791 S., ISBN 978-2-503-51643-1, EUR 80,00
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Rezension von:
Hans-Christoph vom Imhoff
Vicosoprano
Redaktionelle Betreuung:
Albrecht Pohlmann
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Christoph vom Imhoff: Rezension von: Bernard Guineau: Glossaire des matériaux de la couleur et des termes techniques employés dans les recettes de couleurs anciennes, Turnhout: Brepols 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/8947.html


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Bernard Guineau: Glossaire des matériaux de la couleur et des termes techniques employés dans les recettes de couleurs anciennes

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Das "Glossaire" gehört zu den eigenartigsten Erscheinungen auf dem Markt der technologischen Literatur zu Malerei und Konservierung, die ich je angetroffen habe. Dieses Wörterbuch hat fast das gleiche Format - in Gewicht, Volumen und Seitenzahl - wie das kürzlich rezensierte "Liber Illuministarum aus Kloster Tegernsee" und ist ähnlich aufwändig produziert. [1]

Der Autor ist Naturwissenschaftler und war jahrelang an der staatlichen Konservierungs- und Forschungsabteilung für Wandmalereien, Metalle und Objekte in Chalons-sur-Marne tätig, wo er sich hauptsächlich mit Pigmenten der Wandmalereien befasste. Später arbeitete er bis zu seiner Pensionierung am Centre National de Recherche (CNRS) in Roussillon, das mit der Erforschung von Pigmenten und Farbstoffen beauftragt ist. Er schenkte diesem CNRS seine gesamte Pigmentsammlung und offenbar einige hundert alte Handschriften und Bücher zum Thema. 1982 hatte er begonnen, mit einer Raman-Lasermikrosonde Analysen von Pigmenten herzustellen. Da dieses Vorgehen Probeentnahmen bedingt, wenn auch nur sehr kleine, stieg er später auf spektrometrische Analysemethoden um. Mangels adäquater Apparate konstruierte er seine eigene Maschine zur spektrometrischen Analyse (so im Vorwort), die ihm und seiner Gruppe erlaubte, die Analysen vor Ort und berührungsfrei durchzuführen. In dieser Form mag das dann neu gewesen sein, jedoch gab es leichte und mobile Einheiten der energiedispersiven Röntgenanalytik (EDX) mit den gleichen Charakteristika schon mehr als ein Jahrzehnt vorher, zum Beispiel beim Canadian Conservation Institute (CCI) in Ottawa.

Guineau ist offenbar Eigenbrötler und so ging er seinen Weg, der in einer dreiseitigen Würdigung der Tätigkeit des Autors durch seinen vormaligen Mitarbeiter Jean Vezin geschildert wird, mit der das Buch beginnt. Es folgen ein unsigniertes anderthalbseitiges Vorwort und eine dreiseitige Einführung, die sich auf gut formulierte, präzise Anleitungen zum Gebrauch des Wörterbuchs beschränkt. Das letzte Kapitel vor dem Beginn des eigentlichen Wörterbuchs ist ein Index von gerade mal 125 Stichworten zu den Autoren und deren Schriften, inklusive Abkürzungserklärungen, die alle beim Aufbau dieses Wörterbuchs Verwendung fanden. Von den verbleibenden 105 Stichworten beziehen sich gut 40 auf teils altbekanntes technologisches Schriftgut zur Malerei, wie etwa Theophilus, Agricola, Bouvier, Cennini u. a., ohne allerdings das Tegernseer Manuskript, Gauthier, Watin, Tingry etc. und die Anthologien von Eastlake und Berger zu erwähnen. 50 Einträge sind Titel durchwegs alter Wörterbücher, sehr viel chemische, aber auch geografische, medizinische, sprachliche und ökonomische Lexika und nicht zuletzt Diderot et d'Alembert, sowie einige Werke zur Farbtheorie. Kein einziger Eintrag in diesem Index ist den analytischen Ergebnissen von Farbstoffen und Pigmenten anderer Wissenschaftler dieses und des letzten Jahrhunderts gewidmet, wie Gettens, Stout, Feller, Kühn, Roosen-Runge, Harley etc., noch sind die Pigmentserie von Studies in Conservation, Bracherts "Lexikon historischer Maltechniken" und das neue "Pigment Compendium" [2] aufgeführt, dessen Literaturverzeichnis allein 42 zweispaltige eng bedruckte Seiten beansprucht.

Wenn ich als Leser die Arbeitsmethode des Autors trotz der äußerst dürftigen Beschreibung in den einführenden Texten richtig verstanden habe, hat er aus der angegebenen Literatur all die Worte herausgesucht, die im Zusammenhang seiner Pigmentforschungen einer Definition beziehungsweise Erklärung bedürfen. Auf den 750 Seiten sind je etwa 20 Begriffe bearbeitet, also insgesamt ungefähr 15000. In diesem lexikalischen Teil wird jeder Begriff alphabetisch aufgeführt, gefolgt von in Klammern gesetzten Namen der Autoren der aufgelisteten Publikationen, in der dieser Ausdruck vorkommt, der chemischen Bezeichnung des Produkts, gelegentlich gefolgt von seiner chemischen Formel, sowie einer Beschreibung des Stoffes, seiner Eigenschaften und Anwendungsbereiche und - so es welche gibt - von einer erstaunlich langen Reihe von Synonymen. Bei diesen Begriffen wird hingegen nicht nachgewiesen, woher sie und die angegebene Information stammen. Im ganzen Buch gibt es keine Fußnoten. Bei manchen chemischen Begriffen, wie Säurenamen, wird meist die Geschichte, das Jahr der Erfindung und der Erfinder genannt, aber wieder ohne Literaturverweis.

Der Autor beweist fortlaufend, dass er sehr viel weiß; das Buch ist ein großes Kompendium speziellen und kompetenten Wissens eines Fachgebiets. Es soll leicht benutzbar und möglichst dienlich sein. Befragungen sollen schnell zum Ziel führen. Das sind alles sehr vornehme Zielsetzungen. Allerdings fehlen Methodik und wissenschaftlicher Nachweis.

Ich frage mich, wo der Autor "gelebt" haben muss, dass - mit wenigen Ausnahmen (z. B. einer unpublizierten Doktorarbeit von 1944 zur französischen Rezeptliteratur) - all das, was in den letzten 150 Jahren in diesem Fachgebiet anderswo erarbeitet wurde, ohne Einfluss auf dieses Wörterbuch geblieben und offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen worden ist. So stellt sich auch die Frage, ob er nicht auch noch glaubt, all das selbst erfunden und erarbeitet zu haben.

Bei einem Symposium in Paris traf ich einen der beiden Chefeditoren dieser Reihe, Robert Halleux, einen brillanten Kenner aller technologischen Literatur zu Malerei, Kunstgewerbe, Materialgeschichte und Produktion. Ich fragte ihn, was er von Guineaus Glossaire halte. Er sah mich an und sagte, obwohl wir uns einander nicht anvertraut hatten, er denke wie ich, "aber wissen Sie, Guineau ist ein so verdienstvoller Forscher und Kenner, der zwar seine Eigenheiten hat und alles auf seine Art macht, aber wir müssen wenigstens seinen Zettelkasten erhalten und das Glossaire ist sein Zettelkasten." Halleux fragte mich dann, ob auch ich jemand mit so einem Zettelkasten oder ähnlichem kenne - er würde das sofort publizieren. Die Humanität und Sensibilität, die sich in Halleux' Worten ausdrückte, hat mich sehr beeindruckt und meine kritische Sichtweise in Bezug auf dieses Werk verändert. Da gibt es eigentlich nichts mehr zu kritisieren, höchstens zu bedauern, dass aus diesem Lexikon nicht das geworden ist, was es hätte sein können, und es nicht so erarbeitet worden ist, wie es sollte, auch unter Einbeziehung des Internets und der digitalen Technik.

Das wäre von größtem Interesse für die ganze internationale Konservierungsgemeinschaft und darüber hinaus vermutlich schnell ein Bestseller. Aber diese frommen Wünsche sind gegenstandslos, da wir es mit dem Zettelkasten des Herrn Guineau zu tun haben. Und darüber freue ich mich in erster Linie.


Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu die Rezension von Hans-Christoph von Imhoff in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5

[2] Vgl. hierzu die Rezension von Albrecht Pohlmann in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12

Diese Rezension wurde ursprünglich für RESTAURO geschrieben und dort in Heft 5/2007, 294-296 publiziert.

Hans-Christoph vom Imhoff