Rezension über:

Daniela Weiss-Schletterer: Das Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts; Bd. 11), Wien: Böhlau 2005, 180 S., ISBN 978-3-205-77387-0, EUR 24,90
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Rezension von:
Rainer Godel
Exzellenznetzwerk "Aufklärung - Religion - Wissen", Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Godel: Rezension von: Daniela Weiss-Schletterer: Das Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts, Wien: Böhlau 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/9665.html


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Daniela Weiss-Schletterer: Das Laster des Lachens

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Diese mutige, provokante und relevante Arbeit bricht mit traditionellen Forschungspositionen der bürgerlichen Literaturgeschichtsschreibung, lädt eine kanonfixierte Literaturwissenschaft zur Selbstreflexion ein, und sie zeichnet ein anspruchsvolles Panorama zukünftiger Forschungsaufgaben. Doch wünschte man sich, die Autorin wäre der Forschungslandschaft umfassender gerecht geworden, sie hätte manche Materiallücke gefüllt und ihre Hauptthese konkreter und damit durchschlagender belegt.

Innerhalb der Dixhuitièmistik kann man mit gutem Recht von einer kleinen Konjunktur der Komödienforschung sprechen. Inspiriert von kulturwissenschaftlichen Ansätzen legen in jüngster Zeit Forschungsbeiträge erfolgreich sozialhistorische Perspektiven auf das soziale Ereignis 'Komödie / Lustspiel' an. Oder sie analysieren in anthropologiehistorischer Perspektive das Lachen und dessen zeitgenössische Bewertungen. [1] Sie verdeutlichen, dass poetik- oder ästhetikimmanente Zugänge nicht ausreichen, um Gestalt und Wirkung literarischer Formen zu beschreiben.

Die Studie von Daniela Weiss-Schletterer nimmt diese Ansätze ernst, auch indem sie die traditionelle Forschung oft kritisch reflektiert (vgl. 30ff., 69f., 154ff.). Ihre historische These nutzt sie als Erklärungsansatz für Defizite der konventionellen, 'bürgerlichen' Komödienforschung: Die Ambivalenz zwischen Ablehnung und Anziehung des Lachens präge sowohl die bürgerliche Geringschätzung der Komödie im 18. Jahrhundert als auch die Komödienforschung. Das Buch thematisiert die "Verdammung" des Lachens, die "Abwertung der 'unvernünftigen', närrischen Komödienwelt" (9) durch ein Bürgertum, dessen Bedürfnis nach sozialer Abgrenzung nach unten sich auch auf der Lustspielbühne manifestiere und das doch auf derselben Bühne nach "Entlastung" suche, nach einer "identitätsstiftenden Aussöhnung gesellschaftlicher und moralischer Widersprüche" (30). Ob es dabei tatsächlich nur um ein Ventil für eine "Entlastung" geht, wird leider nicht kritisch befragt. Weiss-Schletterer sucht zu zeigen, dass nicht der Text der Komödie vorrangig Lachen erregt, sondern dass sich Komisches "am (schau-)spielenden Körper" (10) ereignet. Gegen diese unkontrollierbare anthropologische Aufwertung der Körperlichkeit formiere sich der bürgerliche Widerstand, der Ratio und Tugend gegen das verspottende Lachen der Commedia dell'Arte-Tradition ins Feld führt.

Die Argumentation folgt im Wesentlichen der Chronologie: vom frühen Gottsched bis zu Lessing. Zu Beginn weist Weiss-Schletterer programmatisch nach, dass Gottscheds Kritik an den künstlerischen Mitteln des Wandertheaters als "Ausdruck bürgerlich-rationaler Ablehnung gegenüber jeder Form von Kommunikation und Realitätswahrnehmung, die der vernünftigen Ordnung der Welt zuwiderläuft" (18), verstanden werden kann. Gottsched verbannt all das von der Bühne, was dem Muster der rational geordneten Natur widerspricht und einer "unordentlichen Einbildungskraft" (18) entspringt. Das Bürgertum definiert sich als ein nicht-lachendes, das wahren, vernünftigen, guten "Geschmack" besitzt und sich dadurch vom 'Pöbel' abgrenzt. Das Lachen müsse der eigentlichen Aufgabe des Theaters, der von einer funktionalisierten Vernunft geleiteten sittlichen und moralischen Bildung, weichen.

Die literarische Komödie der Aufklärung werde zum Instrument bürgerlicher Selbsterziehung, das nicht mehr das Fehlverhalten oberer Stände kritisiere, sondern nur allgemeine Tugenden lächerlich mache. Doch damit muss auch die Körperlichkeit des Schauspielers neu bestimmt werden. Hatte doch gerade das spöttische Barocktheater vielfältige körperliche Distanzierungstechniken entwickelt, die den Text konterkarierten. Bei Gottsched wie bei Lessing indes fehlen Erklärungen dafür, wie denn der Schauspieler komische Wirkung erlangen könne.

In Gellerts Versuch, die Komödie in der Form des rührenden Lustspiels neu zu begründen, konfligieren rationale Verhaltensanweisungen für Wohlverhalten in der realen Welt mit der Theaterpraxis. Das ambivalente Verhältnis des Bürgers zur Verstellung, die ökonomisch notwendig, moralisch aber fragwürdig ist, löst sich nicht mehr im befreienden Lachen. Allein Johann Elias Schlegel sei es gelungen, Theatertheorie und -praxis zu harmonisieren, indem er das gottschedianische Regelwerk relativierte und die Abkehr von der Mimesis legitimierte.

Bei Lessing indes tritt die Diskrepanz von Theorie und Praxis wieder offen zu Tage. Nur um den Preis einer Umwertung des Lachens kann er das Ideal der "wahren" Komödie, die gleichermaßen zum Lachen bewegt und rührt, in "Minna von Barnhelm" verwirklichen. Er ruft hier nicht körperliches Lachen hervor, sondern Freude über die Auflösung eines in seiner Ernsthaftigkeit bestätigten Konflikts - ein Lösungsversuch, der bis hin zu Goethe in der deutschsprachigen Literatur folgenreich wird.

Weiss-Schletterers Studie endet mit einem "Ausblick", der am Beispiel einer Interpretation von "Emilia Galotti" Parallelen der beiden Arten des bürgerlichen Rührstücks aufzuzeigen versucht. Ohne die doppelte Unterscheidung von Lustspiel/Komödie und Trauerspiel/Tragödie zu berücksichtigen, schlägt die Autorin vor, die Gattungen in Rührstücke mit gutem bzw. schlechtem Ausgang (156) umzubenennen.

Aus Sicht des "Ausblicks" erscheint die Arbeit disparater als sie eigentlich ist. Leider fasst Weiss-Schletterer die vielen Fäden und die zahlreichen klugen Gedanken nicht resümierend zusammen. Mehrere Forschungsdesiderate werden formuliert: Sie bringt Zweifel vor, ob man des Komischen deskriptiv oder gar analytisch Herr werden könne (153). Doch hätten diese Zweifel unter Absehung vom Gegenständlichen des Komischen vielleicht behoben werden können, hätte sie die komische Wirkung auf das Subjekt in Form von Rezeptionszeugnissen in stärkerem Maße berücksichtigt statt vorwiegend auf Poetologien und Schauspieltexte zu vertrauen. Weiss-Schletterer bildet den Wandel der Funktion des Lachens weitgehend in Texten ab, die nur das Argument, aber nicht den Funktionswert (komisch für wen und unter welchen Bedingungen?) beinhalten.

Mehrfach lobt die Autorin (zu Recht) Alexander Košeninas Standardwerk zu Anthropologie und Schauspielkunst am Beispiel des bürgerlichen Trauerspiels.[2] Doch weshalb übernahm sie nicht Košeninas methodisch genauen Blick auf Verhaltensanweisungen, der ins Zentrum ihres Argumentes zur Bedeutung der Körperlichkeit in der Komödie hätte führen können? Wäre es für jene zentrale These nicht auch sinnvoll gewesen, die anthropologischen Debatten über die physischen und psychischen Ursachen und Folgen des Lachens (Meier, Nicolai) hinzuzuziehen, die die antiken Theorien des Lachens in Hinblick auch auf moralphilosophische Differenzierungen (Hobbes, Shaftesbury, Beattie) ausweiten?

Die Auswahl des belletristischen Textcorpus bleibt jenem Kanon verbunden, dessen 'bürgerliches' Konstitutionsprinzip Weiss-Schletterer kritisiert. Auch hier steht Lessings "Minna von Barnhelm" am Ende der Reihe der Komödien des 18. Jahrhunderts. Hätte sie nicht durch den Blick auf ein breiteres und späteres Quellenspektrum - erinnert sei nur an Lenz' "Der neue Menoza", an die populären, bürgerlichen Komödien eines Kotzebue, eines Iffland, eines Großmann - ihre durchaus überzeugende These überzeugender belegen können?

Peter-André Alt resümiert im "Lexikon der Aufklärung": "Es hat den Anschein, als ob nur das Trauerspiel der Epoche gestattete, den eigenen Optimismus selbstkritisch, damit zugleich exemplarisch zu durchleuchten."[3] Warum das Lustspiel dies nur in Ausnahmefällen konnte, dazu hat Daniela Weiss-Schletterer einen wertvollen Beitrag vorgelegt, der Beachtung und weitere Forschung verdient.


Anmerkungen:

[1] Vgl. exemplarisch für die beiden Richtungen Daniel Fulda: Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing, Tübingen, 2005; August Nitschke, Justin Stagl, Dieter R. Bauer (Hrsg.): Lachen und Weinen. Gesten, Sprachen und Tabus der verschiedenen Kulturen innerhalb einer Historischen Anthropologie, Wien / Köln / Weimar 2007.

[2] Alexander Košenina: Anthropologie und Schauspielkunst. Studien zur 'eloquentia corporis' im 18. Jahrhundert, Tübingen 1995.

[3] Peter-André Alt: Schauspiel, in: Werner Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, München 1995, 368.

Rainer Godel