Rezension über:

Mario Biagioli: Galileo's Instruments of Credit. Telescopes - Instruments - Secrecy, Chicago: University of Chicago Press 2006, xi + 302 S., ISBN 978-0-226-04561-0, USD 35,00
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Rezension von:
Christoph Heyl
Institut für England- und Amerikastudien, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Heyl: Rezension von: Mario Biagioli: Galileo's Instruments of Credit. Telescopes - Instruments - Secrecy, Chicago: University of Chicago Press 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/9938.html


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Mario Biagioli: Galileo's Instruments of Credit

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Galileo Galileis Aufstieg, seine Entdeckungen und seine Behandlung durch die Inquisition sind wohlbekannt, werden jedoch auf unterschiedliche Weise interpretiert. Mario Biagioli veröffentlichte 1993 ein Buch mit dem Titel Galileo, Courtier, in dem er untersuchte, wie es Galileo gelang, seinen Forschungsergebnissen zu Akzeptanz zu verhelfen. [1] Er stellte dabei ebenso originell wie revisionistisch nicht den überragenden Forscher, sondern den überragenden Vermittler und Vermarkter in den Vordergrund. In Galileo's Instruments of Credit führt Biagioli dieses Projekt fort, indem er sich mit dem auseinandersetzt, was als Galileos "instruments of credit" bezeichnet, also das, was er nutzte, um die Plausibilität seiner Entdeckungen vor seinem Publikum zu erweisen. Damit sind vor allem seine wissenschaftlichen Gerätschaften, insbesondere sein Teleskop, aber auch seine Bücher gemeint. "Credit" bedeutet hier aber nicht nur, dass man ihm Glauben schenkte, sondern bezeichnet zugleich seine Kreditwürdigkeit, also auch seinen sozialen und ökonomischen Status, der mit seinem sich entwickelnden Status als Wissenschaftler eng verbunden war. Biagoli benutzt durchgehend den Begriff "credit" in diesem mehrfachen, nämlich wissenschaftlichen, sozialen, vor allem aber ökonomischen Sinn. Er spricht daher auch von Galileos Strategien und Erfolgen im Kontext einer "economy of print", in der es vor allem darum gegangen sei, den eigenen Status als Entdecker (credit) durch die möglichst schnelle Publikationen seiner Entdeckungen öffentlich zu machen und so zu sichern.

Die Studie beschäftigt sich mit einzelnen Episoden in Galileos Leben, die, so Biagioli, geeignet sind, aufzuzeigen, wie dieser sich in verschiedener Hinsicht credit verschaffte. Die erste Episode ist Galileos Umzug von Padua nach Florenz und die Veröffentlichung des berühmten Sidereus Nuncius. Dabei vertritt Biagioli die These, dass es Galileo gerade wegen seiner anfänglichen räumlichen Distanz zu den in Florenz residierenden Medici leichter gefallen sei, deren Unterstützung zu erhalten - so habe er nämlich nicht unter dem Druck gestanden, seine Entdeckungen sofort (und erfolgreich) vor seinen Gönnern demonstrieren zu müssen. Statt dessen habe er den sichereren Umweg der Publikation gewählt, die er den Medici widmete und in der er eine Gruppe von Sternen als Medicea Sydera benannte. Durch diese Publikation habe er zugleich auch seinen eigenen Status als Entdecker dokumentiert, bevor ihm mögliche Konkurrenten zuvorkommen konnten. Das Kapitel endet mit einem Exkurs, der zugleich einen zeitlichen und einen räumlichen Sprung bedeutet. Am Beispiel der in London ansässigen Royal Society und ihrer Aktivitäten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt Biagioli auf, dass räumliche Distanz zwischen einzelnen Forschern für die frühneuzeitliche Forschung keineswegs hinderlich, sondern eher förderlich war.

Im zweiten Kapitel folgt eine detaillierte Erörterung des Sidereus Nuncius, wobei nicht nur der Text selbst, sondern auch der damit verbundene Schreib- und Publikationsvorgang untersucht wird. Dabei operiert er wieder mit seiner Grundidee von verschiedenen Arten von credit, um aufzuzeigen, dass sich hier eine Bewegung von einem "regime of credit" (das wissenschaftliche Instrument als nützliches Werkzeug) zu einem anderen (das wissenschaftliche Instrument als Werkzeug, das zu staunenswerten Erkenntnissen verhilft) vollzog. Gleichzeitig erblickt er in Sidereus Nuncius den Versuch, eine Balance zwischen dem Offenlegen und dem Verschleiern von Erkenntnissen herzustellen: Einerseits wollte Galileo die Ergebnisse seiner Forschung veröffentlichen, um den sich daraus ergebenden credit zu sichern, andererseits wollte er keinesfalls so viel über sein Teleskop verraten, dass Konkurrenten es allzu leicht hätten nachbauen können.

Das dritte Kapitel handelt von der Entdeckung der Sonnenflecken und der sich daraus ergebenden Debatte zwischen Galileo und dem jesuitischen Mathematiker Christoph Scheiner in den Jahren 1612-13. Die Diskussion drehte sich unter anderem um die Frage, ob die Sonne einem Wandel unterliegt, oder ob sie stets gleich bleibt. Dabei habe sich Galileo insbesondere durch die geschickte Verwendung von Illustrationen die Interpretationshoheit und damit den "discovery credit" gesichert. Biagioli situiert diesen Vorgang kenntnisreich im Kontext frühmoderner naturwissenschaftlicher Illustrationspraxis; er kommentiert die Evidenz- und Überzeugungskraft narrativer Bildsequenzen. Das Kapitel enthält zahlreiche Illustrationen, die in guter Qualität reproduziert wurden.

Es folgt ein viertes Kapitel über die sich 1615-1616 entspinnende Kontroverse zwischen Astronomie und Theologie sowie Galileis Konflikt mit der Inquisition. Hier ging es nach Biagioli nicht mehr nur um credit, sondern um Verantwortung, wobei er jedoch eine enge Verbindung zwischen beiden ausmacht. Obwohl die Auseinandersetzung zwischen Galilei und der Inquisition nicht im Medium des gedruckten Buches stattfand, spielte dabei die Idee des Buches eine zentrale Rolle. Beharrte die Kirche auf der Autorität der verbalinspirierten Bibel, so berief sich Galilei auf die Idee des Buches der Natur, das gleichfalls von Gott geschaffen sei und gelesen werden müsse, da es den göttlichen Logos in materialisierter Form enthalte.

Der von Biagioli zum zentralen Gedanken seiner Untersuchung gemachte Begriff credit erweist sich als fruchtbar und erhellend. Es gelingt ihm, zahlreiche auf den ersten Blick disparate Phänomene unter diesem Aspekt interpretierend zusammenzuziehen. Der Preis dafür ist eine durch diese Art des gedanklichen Zugriffs bedingte, nahezu vollständige Ökonomisierung des Gegenstands. Publikationen werden als Investitionen betrachtet; die Royal Society, um nur ein Beispiel zu nennen, wird als eine Bank dargestellt, in die Forschungsbeiträge eingezahlt werden, wodurch sich das Ansehen der Bank sowie Kontostand und Kreditwürdigkeit der Einzahler erhöhen. Dies trägt fraglos zu unserem Verständnis frühmoderner Forschungspraxis bei, indem es einen - tatsächlich wichtigen - Aspekt auf originelle Weise in den Vordergrund stellt. Es mögen allerdings Zweifel daran erlaubt sein, ob Galileis oberstes und permanentes Ziel tatsächlich nur credit im Sinne Biagiolis war.


Anmerkung:

[1] Mario Biagioli: Galileo, Courtier. The Practice of Science in the Culture of Absolutism, Chicago 1993.

Christoph Heyl