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Myrle Dziak-Mahler: Geschichtsdidaktik. Einführung, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
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Geschichtsdidaktik

Einführung

Von Myrle Dziak-Mahler

Über 30 Jahre ist es jetzt her, dass die Geschichtsdidaktik aus dem Schatten der historischen Fachwissenschaften herausgetreten und zu einer selbständigen Wissenschaftsdisziplin mit eigenen Forschungsparadigmen geworden ist. Längst hat die Didaktik der Geschichte ihr Forschungsfeld über den Geschichtsunterricht an Schulen hinaus ausgeweitet und nimmt alle Felder gesellschaftlicher Vermittlung von Geschichte in den Horizont ihrer Betrachtung. Gleichwohl bleibt der Geschichtsunterricht das "Kerngeschäft" der Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktiker. Neu hinzu tritt in den letzten Jahren die Frage nach einer speziellen Hochschuldidaktik für das Fach Geschichte.

Wenn man die einschlägigen geschichtsdidaktischen Veröffentlichungen der zwei oder drei letzten Jahre anschaut, fällt auf, dass es zwei Veröffentlichungen zur Hochschulgeschichtsdidaktik gibt. Beide basieren auf Tagungen, die sich dieser Thematik gewidmet haben: Gabriele Lingelbach legt mit dem von ihr herausgegebenen Band Vorlesung, Seminar, Repetitorium. Universitäre geschichtswissenschaftliche Lehre im historischen Vergleich eine Bestandsaufnahme der universitären Lehre vor; der von Rainer Pöppinghege herausgegebene Band Geschichte lehren an der Hochschule hat die Zukunft im Blick. Wie kann man Geschichtshochschullehre fürderhin gestalten? Angesichts der sich aktuell vollziehenden Veränderungen in der Hochschullandschaft ist dies sicher eine Fragestellung, deren Bedeutung in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Denn Studierende des Faches Geschichte werden für ganz unterschiedliche Berufe in modularisierten BA- und MA-Studiengängen ausgebildet. Zum einen stellt sich die Frage, in welche Richtung sich die Hochschullehre im Fach Geschichte überhaupt entwickelt. Zum anderen wird man sich dem Problem zu stellen haben, die massiv zunehmenden Praxisanteile im Studium mit der universitären Lehre zu verschränken - eine Herausforderung, die sowohl theoretischer Vorarbeiten wie auch einer praktischen Konzeptionierung bedarf. Das Fach Geschichte wird sich positionieren müssen, und die Geschichtsdidaktik kann auf der Basis der vielfältigen Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung (nicht nur, aber besonders in der Schule) eine wesentliche Rolle dabei spielen - wenn sie sich der Aufgabe stellt.

Schulunterricht nach PISA heißt für das Fach Geschichte in erster Linie, sich im Kampf um den geringen Platz zu behaupten, den die Fokussierung deutscher Bildungspolitik auf die ehemaligen "Hauptfächer" (Deutsch, Mathematik und Englisch), die Naturwissenschaften und die Fremdsprachen allgemein noch übrig lässt. Was liegt näher, als sich dem zuzuwenden, was man unter originär "historischem Denken" versteht? Das Autorenteam um die renommierten Geschichtsdidaktiker Waltraud Schreiber und Bodo von Borries hat versucht, sich mit dem gleichnamigen Band dieser Aufgabe aus der Perspektive der akademischen Fachdidaktik zu stellen. Um eine Bereicherung, wenn nicht Neuausrichtung, des Geschichtsschulunterrichts bemüht sich das Konzept der "Handlungsorientierung". Auch hier gilt: Der bildungspolitische Richtungswechsel von in- zum outputorientierten Lernen ist vollzogen. Geschichtsunterricht muss - wie jeder Schulunterricht - verstärkt das Bemühen um die Ausbildung von Kompetenzen in den Mittelpunkt rücken. Ansätze, wie man historische Kompetenzen vermitteln kann, werden durch Bärbel Völkels Buch und Elke Mahlers Dissertation zum Bereich "Handlungsorientierung" vorgestellt.

Um Kompetenzvermittlung geht es auch bei der Frage nach den eingesetzten Unterrichtsmedien. Bilder haben im Geschichtsunterricht schon immer eine große Rolle gespielt. Ihr Einsatz wird aber erst in den letzten Jahren verstärkt auf der Seite der Unterrichtsforschung bzw. der theoretischen Durchdringung durch die Hochschuldidaktik reflektiert. Die Ausführungen in dem von Reinhard Krammer und Heinrich Ammerer herausgegebenen Band versuchen einen Brückschlag zwischen praktischem Einsatz und theoretischer Verortung.

Das seit den 1970er Jahren unumstrittene Hauptmedium des Geschichtsunterrichts, die schriftliche Quelle, gerät in den vergangenen Jahren immer stärker in Bedrängnis: Historische Jugendbücher - ein Genre, das sich außerschulisch großer Beliebtheit erfreut - werden von Monika Rox-Helmer in den Geschichtsunterricht hineingeholt. Als lohnenswert erscheint hier eine Verbindung mit dem von Waltraud Schreiber (u. a. in dem oben erwähnten Buch Mit Bildern arbeiten) dargelegten Konzept der Dekonstruktion von historischen Deutungsangeboten - wie sie beispielsweise ein Roman vorstellt.

Den Unterrichtsraum verlassen und Geschichte "vor Ort" erleben, ist ein immer wieder gehegter Wunsch vieler Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer. Konzepte für das Gelingen von Exkursionen mit dem Ziel der historisch-politischen Bildung gibt es allerdings nicht viele. Wie man die Exkursion bzw. den Museumsbesuch zu mehr macht als dem obligatorischen Schulausflug kurz vor den Ferien, versuchen der Sammelband Schule auf Reisen und die Studie Anschauen, Vergleichen, Ausprobieren der beiden Autorinnen Susanne Gesser und Heike Kraft zu vermitteln. Die Welt des Museums für den Unterricht zu gewinnen, ist das Anliegen von Hans Joachim Gach mit Geschichte auf Reisen. Die Vorschläge in den hier genannten Publikationen lesen sich wie eine nützliche Erweiterungen der von Bärbel Völkel vorlegten Fundierung der "Handlungsorientierung" und zeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten es in diesem Bereich noch gibt. Dies ist sicher von hoher Bedeutung, will man das Fach Geschichte im Konkurrenzkampf der Schulfächer profilieren.

Veröffentlichungen der Geschichtsdidaktik bewegen sich immer in einem Spannungsfeld: Es gilt das Verhältnis von Geschichtsforschung und Geschichtsdidaktik auf der einen und das Verhältnis von Geschichtsdidaktik zu allgemeiner Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft und Unterrichtslehre auf der anderen Seite auszuloten. Ein aus dem Geschichtsunterricht nicht wegzudenkendes Lernfeld ist das des "Fremdverstehens". Die Bedeutung dieser Kategorie ist immer mehr mit dem Terminus der "interkulturellen Kompetenz" verwoben worden. Diskussionen innerhalb der Geschichtsdidaktik [1] werden inspiriert von der allgemeinpädagogischen Debatte. Einen neuen Anknüpfungspunkt bietet hierzu das Praxishandbuch interkulturelle Kompetenzen vermitteln, vertiefen, umsetzen.

Publikationen sind Produkte und Qualitätsmaßstäbe des innerfachlichen Diskurses. Die hier vorgestellten aktuellen Veröffentlichungen der Geschichtsdidaktik verweisen auf eine Richtung, in die diese Wissenschaftsdisziplin seit geraumer Zeit geht: Die Schulpraxis und die akademische Forschung und Lehre werden näher zusammengebracht und -gedacht. Ein lohnenswerter Weg - nicht nur im Hinblick auf die Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer. Eine interessante Grundlegung für einen fruchtbaren Diskurs zwischen Geschichtsforschung und Geschichtsdidaktik ist das Wörterbuch des Geschichtsdidaktik. Eine kritische Prüfung der Erkenntnisse des Geschichtsunterrichts an den Schulen und den Erkenntnissen der theoretischen Geschichtsdidaktik könnte immens hilfreich sein bei der Ausformung einer spezifischen Geschichtshochschullehre.

Mit diesem Forum greifen die sehepunkte erstmals Publikationen zu dieser Thematik auf. Angesichts der offenkundigen Relevanz ist geplant, die weitere Fachdiskussion in der Geschichts- und Hochschuldidaktik zu verfolgen und in weiteren Ausgaben des Forums kommentierend zu begleiten.

Anmerkung:
[1] Siehe z. B. Bettina Alavi / Gerhard Henke-Bockschatz (Hgg.): Migration und Fremdverstehen. Geschichtsunterricht und Geschichtskultur in der multiethnischen Gesellschaft, Idstein 2004.

Myrle Dziak-Mahler ist Studienrätin im Hochschuldienst und vertritt die Geschichtsdidaktik am Historischen Seminar I an der Universität zu Köln.

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