Josef Johannes Schmid: Sacrum Monarchiae Speculum. Der Sacre Ludwigs XV. 1722: Monarchische Tradition, Zeremoniell, Liturgie, Münster: Aschendorff 2006, XLIII + 647 S., ISBN 978-3-402-00415-9, EUR 79,00
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Josef Johannes Schmid rekonstruiert in seiner Mainzer Habilitationsschrift die Salbung König Ludwigs XV. von Frankreich im Jahr 1722 und kontextualisiert sie ideengeschichtlich. Er tut dies insbesondere mit Blick auf Liturgie, Theologie und (Musik-)Theater. Diese Offenheit für interdisziplinäre Zugänge ist ebenso zu begrüßen wie die Arbeit mit Quellenbeständen, auf die Historiker selten zurückgreifen.
Schmid hat enorme Mengen an Material gesichtet und eine Vielzahl von historischen Dokumenten zum Thema erschlossen. Seine Arbeit von rund 650 Textseiten zeigt eine beeindruckende Kenntnis der Salbung bis ins Detail und dokumentiert darüber hinaus auch einen breiten Wissenshorizont hinsichtlich der Ursprünge und Bedeutungen einzelner Elemente der Salbungszeremonie.
Damit, so sollte man meinen, sind ideale Voraussetzungen für eine hoch interessante Untersuchung gegeben, handelt das Buch doch von einem Ereigniskomplex mit eminenter politischer, religiöser und zeremonieller Bedeutung für das frühneuzeitliche Königtum. Eine Mikrostudie über das Sacre könnte gewichtige Beiträge zu einer großen Zahl zentraler Fragen liefern, etwa der nach Legitimation und Stellenwert des frühneuzeitlichen Königtums im Besonderen oder zu Aspekten der Kulturgeschichte des Politischen und der Ritualforschung im Allgemeinen.
Schmids zentrales Anliegen scheint dies zunächst auch zu versprechen. Es geht ihm darum, die Verortung des Sacre und damit der Auffassung von der französischen Monarchie zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Tradition zu belegen. Im Zentrum seiner Ausführungen steht die Qualität des Königs als "Inkarnation des göttlichen Gedankens, als Träger der Bundesverheißung" (122). Die Formulierung, Festigung und das Überdauern dieser zentralen Vorstellung illustriert er zunächst in einem weiten historischen Bogen, der von Chlodwig über Johanna von Orléans, die Stiftung des Ordens vom Heiligen Geist im 16. Jahrhundert, die Weihung Frankreichs der Jungfrau Maria durch Ludwig XIII. und Bestandteile der Kirchenarchitektur des Grand Siècle bis ins 17. Jahrhundert führt. Auch der Kult um das Sacré-Coeur sowie eine Beschreibung der im Jahreslauf regelmäßig vom oder für den König vollzogenen liturgischen Handlungen dienen Schmid als Beleg für die Vitalität der christologischen Deutung des Herrschers bis ins 18. Jahrhundert. Diese Zusammenschau ist insofern originell, als Schmid damit den in der Literatur ausführlich behandelten Elementen der offiziellen französischen Herrscherdarstellung einige neue Aspekte hinzufügt. Allerdings wird die Auswahl dieser doch sehr heterogenen Beispiele nicht reflektiert und erscheint daher beliebig.
Der Hauptteil der Arbeit besteht freilich in der akribischen Rekonstruktion der Sacre-Zeremonie. Sie beginnt mit einer minutiösen Nachzeichnung der organisatorischen, architektonischen sowie infrastrukturellen Vorbereitungen des Sacre - bis hin zu Beleuchtungsfragen. Zur Sprache kommen die An- und Abreise des Königs, es erfolgt die exakte Wiedergabe aller rituellen Handlungen, Umzüge und Feste in der Krönungsstadt Reims, unter besonderer Berücksichtigung der aufgeführten Musik. Der Leser erfährt teilweise bis auf die Minuten und einzelne Gesten genau, was der König und die anderen Beteiligten taten; dabei wird er mit zum Teil seitenlangen Wiedergaben der Gesänge und Gebete im Wortlaut konfrontiert (u.a. 400-411, 431 ff).
Doch bleibt die Darstellung leider eindimensional auf den Nachweis der heilsgeschichtlichen Deutung des Königtums beschränkt. Schmid hat die Chance vertan, seiner Untersuchung eine sozialgeschichtliche Komponente zu geben. So hätte man anhand der Konflikte im Vorfeld des Sacre Strukturveränderungen am Hof näher analysieren und damit Aussagen über Verschiebungen von Netzwerken und Faktionen gewinnen können (etwa anhand der angesprochenen Exilierung des "Gouverneurs" Villeroy). Auch die Chance, eine Wirtschafts- oder Konsumgeschichte des äußerst kostspieligen Sacre zu schreiben, wurde nicht wahrgenommen.
Jeweils für sich genommen stellen diese Monita den Wert der Arbeit nicht in Frage, doch offenbaren sie die fundamentale Schwäche der Studie: Sie verweigert sich jeder Auseinandersetzung mit den zentralen Debatten und methodischen Ansätzen, die derzeit die Monarchie- und Frühneuzeitforschung beschäftigen; über die französische Monarchie der Frühneuzeit lernt man in diesem Buch letztlich nichts Neues.
Das Desinteresse, ja die vollständige Ausblendung fast aller einschlägigen historiographischen Debatten überrascht - insbesondere bei einer Habilitationsschrift! Vergeblich sucht man auch nur Hinweise auf die jüngere Ritualforschung, auf die Ansätze der neuen symbol- und kulturgeschichtlich informierten Politikgeschichte. Kein Wort liest man zur Absolutismus-Debatte, kein Absatz beschäftigt sich mit dem Problem der Aneignung als kultureller Praxis. Angesichts des zentralen Stellenwerts von Theologie und Liturgie in dieser Studie sucht man eine Beschäftigung mit dem Konfessionalisierungsparadigma ebenso vergeblich wie neuere Ansätze der Glaubensgeschichte. Trotz der gebetsmühlenartig wiederholten Behauptung, die Sakralität des Königs habe außer Zweifel gestanden, erfolgt keinerlei Beschäftigung mit den Beiträgen zur Sakralitätsdebatte - weder den zustimmenden noch den kritischen Stimmen. Selbst die Klassiker wie Louis Marin und Alain Boureau scheinen Schmid unbekannt zu sein oder einer Nennung nicht würdig. Allein Marc Blochs Studie über die wundertätigen Könige wird mehrfach ob ihres rationalistischen Ansatzes gescholten.
Die methodische Problematik der Arbeit kommt in einer charakteristischen Bemerkung über "sogenannte Populärquellen" zum Ausdruck, deren Entstehungszusammenhang ihre Interpretation problematisch mache. Dem ist zwar zuzustimmen, naiv dagegen die darauf folgende Versicherung, der Aussagegehalt eines Opernlibretto sei allein deshalb höher, weil man wisse, von wem und für wen es geschrieben worden sei (20). Den populären Darstellungen des Sacre - und damit seiner möglichen Wirkung über die Eliten hinaus - werden auf Seite 581 ganze zwei Absätze gewidmet. Das überrascht umso mehr, als der überragende Quellenwert solcher Dokumente in vielen Studien belegt wurde, man denke nicht zuletzt an die Arbeiten von Arlette Farge (die freilich auch nicht zur Kenntnis genommen wurden).
Bemerkenswert sind dagegen die häufigen Bezüge auf royalistische Autoren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie reflektieren eine Haltung, die auch auf die Sprache abfärbt: Da ist etwa die Rede vom "Märtyrerkönig" Ludwig XVI. (xv) und von Napoleon als eines "königlichen [sic] imposteurs par excellence" (137).
Neben der faktischen Rekonstruktion des Sacre geht es dem Autor darum, das Wesen des französischen Königtums aus einer liturgischen, theologischen und allegorischen Lektüre der Salbungszeremonie zu destillieren. Dem liegt unausgesprochen eine höchst problematische Annahme zugrunde, nämlich die Vorstellung, dass ein solches epochenübergreifendes Wesen tatsächlich existierte. Dies kulminiert in der Aussage, die Elemente der "tausendjährigen Tradition" des Königtums seien im Verlauf der Jahrhunderte "mit den Mitteln ihrer Zeit ohne Veränderung der Aussage" umgesetzt worden (626). Mit anderen Worten: Schmid geht es in seiner materialreichen Zusammenschau vor allem darum nachzuweisen, dass die Auffassung vom Königtum seit dem frühen Mittelalter letztlich unverändert blieb - eine mehr als abenteuerliche Vorstellung.
Die Aufgabe einer methodisch ernst zunehmenden Studie hätte es dagegen sein müssen, die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der in der Zeremonie enthaltenen Anleihen, Traditionsstränge, Legitimationsketten und natürlich auch der Praktiken zu erhellen. Das schließt die Existenz jahrhundertealter Elemente aus der Betrachtung nicht aus, sollte aber vor allem deren Umdeutung und Aneignung im jeweiligen Kontext berücksichtigen. Tradition bildet sich aus dem Aufeinandersetzen unterschiedlicher Bedeutungsschichten und ist keinesfalls die Wiederholung des Immergleichen.
Dass dies nicht geschieht, ist wohl auch ein Ergebnis mangelnder Distanz des Autors zu dem Gegenstand seiner Studien - dies mag ein Zitat aus der Zusammenfassung illustrieren: "Gerade in seinem komplexen Leben wurde der König [Ludwig XV.] seinem biblischen Vorbild David ähnlich [...]. Sein Sterben war einzigartig in seinem Grauen; schmerzbeladen erfüllte er seine Berufung, die ganze Christusnachfolge bis zur Neige. Dies hat nichts mit billiger Apologetik zu tun, sondern verdient seinen Platz in dieser Reflexion über die Wahrhaftigkeit [sic] des Sacre. Denn wie die Inschrift von Amiens [...] es anmahnt, fand der König letztlich seinen Platz im Heilsplan Gottes." (625) Das Engagement des Autors für seinen Gegenstand, das sei positiv vermerkt, kommt der ansprechenden Aufmachung des Bandes zugute. Schmid hat sich sichtlich bemüht, die Ästhetik des Sacre in der Darstellung zu spiegeln. Allerdings führte dies zu überlangen Zitaten in Französisch und Latein. Dies hätte man im Sinne der Leserfreundlichkeit vermeiden sollen.
Fazit: Die Arbeit hat ihre Verdienste, was die Rekonstruktion des Sacre und die Erschließung der entsprechenden Quellen angeht. Sie weist jedoch fundamentale darstellerische und methodische Defizite auf und liest sich streckenweise wie ein royalistisches Pamphlet. Eine Geschichte des Sacre Ludwigs XV., die diesen Namen verdient, bleibt noch zu schreiben.
Jens Ivo Engels