Andrea von Hülsen-Esch / Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hgg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute, Regensburg: Schnell & Steiner 2006, 2 Bde., 344 S. + 276 S., ISBN 978-3-7954-1899-1, EUR 49,90
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Nach der 2001/2002 im Kölner Diözesanmuseum veranstalteten Ausstellung "Ars vivendi-Ars moriendi", deren Schwerpunkt illustrierte Handschriften bildeten, wurde Ende letzten Jahres die Ausstellung "Zum Sterben schön" des Museums Schnütgen dem Thema des Todes in den bildenden Künsten gewidmet. Im Vorwort des Kataloges formulierten die Herausgeberinnen Andrea von Hülsen-Esch und Hiltrud Westermann-Angerhausen das Ziel der ebenfalls im Düsseldorfer Goethemuseum und in der Kunsthalle Recklinghausen gezeigten Ausstellung: Angestrebt war eine "Darstellung des Umgangs mit Tod und Sterben über verschiedene Epochen und Mentalitäten hinweg."(7) Der Konsequenz, dass diesem ambitionierten Bestreben nur ein interdisziplinärer Ansatz gerecht werden konnte, entspricht die Gliederung der Begleitpublikation in zwei Bände.
Entsprechend dem Ausstellungskonzept wurden beide Bände jeweils in drei große Themenkomplexe - "Alter", "Totentanz" und "Sterbekunst" - unterteilt. Während der Aufsatzband eine Ausdifferenzierung und Erweiterung dieser Bereiche um die Themen "Der Tod und das Mädchen", "Anatomie" und "Memento mori" aufweist, wurden die im Katalogband behandelten Kunstwerke, deren Kern aus der Graphischen Sammlung "Mensch und Tod" der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, den Objekten des Kölner Schnütgen Museums und 50 Leihgaben aus europäischen Museen wie Privatsammlungen stammte, den folgenden Kategorien zugeordnet: Ars moriendi, Memento mori, Tödlein, Schmuck, Wendeköpfe und Rosenkränze, Alltagsgegenstände, Anatomie, Totentanz, Alter, Vanitas und der Tod und das Mädchen.
Der Ausstellungskatalog umfasst rund 140 Exponate, die zwischen dem 15. und 20. Jahrhundert entstanden sind. Die Katalogeinträge zu den Objekten wurden größtenteils von den Studenten der Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf verfasst und liefern neben ausführlichen Beschreibungen auch kurze ikonographisch-ikonologische Analysen. Die Handschriften der Ars moriendi und Textilien gehören ebenso zu den behandelten Werken wie Kleinskulpturen (Plastiken), Schmuckstücke, Wendeköpfe, Rosenkränze, Werke der Druckgrafik und eine begehbare Installation.
In Anbetracht der Tatsache, dass einige der Objekte der Forschung weitgehend unbekannt sind, erfreuen die zahlreichen Abbildungen, auch wenn einige qualitativ nicht überzeugen können (z. B. Kat.-Nr. 35). Dem Problem der Reproduzierbarkeit komplexer dreidimensionaler Objekte, wie z. B. Wendeköpfe, oder aufklappbarer anatomischer Modelle wurde mit Aufnahmen aus zwei verschiedenen Ansichten begegnet, wodurch die haptische Erfahrbarkeit dieser Exponate zumindest angedeutet werden konnte.
In der Literatur wurde und wird die Ikonographie des Todes hauptsächlich an den Werken der Monumentalkunst untersucht. Die hier zu besprechende Publikation zeigt erneut, dass ein anderer Zugang nicht nur legitim, sondern für die Forschung fruchtbar sein kann. Die künstlerische Qualität und Vielseitigkeit der Objekte, vor allem der kleinen Elfenbeinarbeiten (u. a. Kat-Nr. 13, 15, 58, 99, 100) beweisen dies nachdrücklich. Als Gegenstände der privaten Andacht (z. B. Rosenkränze, Kat-Nr. 50/51) oder des einfachen Gebrauchs (Tabakdosen, Kat-Nr. 68, 69) zeichnen sie sich durch einen intimen Charakter aus, der einen differenzierten Einblick in die Mentalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit ermöglicht. Die Omnipräsenz des Todesgedankens, ein andauerndes Memento mori, welches der Kultur des 21. Jahrhunderts fremd ist, wird anhand der ausgewählten Exponate greifbar. Mit zum Teil ungewöhnlichen Kunstwerken verschiedener Gattungen wurde versucht, die zeitlichen Veränderungen im Umgang mit dem Tod mittels unterschiedlicher Betrachtungsperspektiven zu veranschaulichen. Dies war zwar für das Gesamtkonzept fördernd, verhinderte jedoch an einigen Stellen die detaillierte Analyse einzelner Objekte.
Für den Ausstellungskatalog w äre eine intensivere Auseinandersetzung mit der kulturhistorischen Forschungsliteratur wie etwa mit den Arbeiten von Huizinga, Białostocki, Ariés oder Christiaan L. Hart Nibbrig, Kiening und Schneider wünschenswert. [1] Vor allem die Untersuchung Kienings, der mit einem Aufsatz zu Johannes Geiler von Keyserberg im Band II der Publikation vertreten ist (227-237), stellte die nicht nur für die Kunstgeschichte entscheidenden Fragen nach den Repräsentationsformen und Rollen des Abstraktum "Tod" an der Schwelle zur Neuzeit, die verstärkt problematisiert sicherlich gewinnbringend für die Veröffentlichung gewesen wären.
Den Aufsatzband mit 31 Beiträgen namhafter Autoren eröffnet einleitend Eva Schusters zweiseitige Charakterisierung der Düsseldorfer Grafiksammlung "Mensch und Tod", die rund 2500 Blätter und 102 Bücher umfasst. Mit Werken bedeutender Künstler - von Dürer über Rembrandt und Tiepolo bis hin zu Munch, Corinth und Dalí - bietet diese beachtliche Kollektion nicht nur für die Kunstgeschichte ein epochen- und regionenübergreifendes Forschungsmaterial zum Thema "Tod" in der bildenden Kunst. Obwohl alle im Band II versammelten Aufsätze aufgrund ihres interdisziplinären Charakters für die Kunstgeschichte von Interesse sind, sollen hier nur diejenigen kurz besprochen werden, die einen kunstgeschichtlichen Schwerpunkt besitzen.
Hiltrud Westermann-Angerhausen behandelt anhand ausgewählter Ikonographien, wie z. B. der des Hl. Joseph und Hieronymus das Thema des Alters der Heiligen. Sie kann zeigen, dass die Kunst eine zentrale Rolle in den Prozessen der Formung und Umformung der Heiligenfiguren spielte, indem sie in vielen Fällen die hagiographischen Quellen visuell uminterpretierte. Insbesondere für die Zeit der Konfessionalisierung, so in den Darstellungen der Hl. Teresa von Avila, stellt die Autorin eine verstärkte Instrumentalisierung der Heiligenphysiognomie fest, eine "Vergegenwärtigung alt-junger oder jung-alter Heiliger zur Erziehung der Gläubigen"(40).
An diesen Beitrag schließt thematisch Stefanie Knölls Aufsatz "Frauen, Körper, Alter. Die weiblichen Lebensalter in der Kunst des 16. Jahrhunderts" an, in dessen Zentrum die Analyse der "Lebensalter des Weibes"(1544) von Hans Baldung Grien steht. Die Autorin kontextualisiert nicht nur anschaulich die Leipziger Tafel, sondern untersucht darüber hinaus die spezifischen ikonographischen Unterschiede in den Darstellungen der Lebensalter.
Der Entwicklung und Tradierung eines ikonographischen Themas ist auch der zweite Aufsatz der Autorin gewidmet, der sich mit der Entstehung des Motivs "Der Tod und das Mädchen" auseinandersetzt. Sie widerspricht dabei der gängigen Auffassung, die Herkunft des Themas liege in den Totentänzen, insbesondere im Berner Totentanz des Niklas Manuel Deutsch begründet, und zeigt anhand der Analyse zahlreicher Bildbeispiele auf, dass die für das Motiv charakteristische Verbindung von Tod, Nacktheit des Mädchens und Erotik schon vor Deutschs Totentanz, z. B. in spätmittelalterlichen Vanitas- und Voluptas-Darstellungen den Weg in die bildenden Künste fand.
Totentänze in der spätmittelalterlichen Plastik stehen im Zentrum von Sophie Osterwijks Beitrag "Danse macabre Imagery in Late-medieval Sculpture" (167-177). Neben der Beschreibung und Untersuchung von bisher wenig beachteten skulptierten Totentanz-Darstellungen aus ganz Europa, weist die Autorin darauf hin, dass die Bekanntheit des Totentanz-Motivs im Spätmittelalter dazu führte, dass v. a. in der Skulptur - aber auch in Wandgemälden und Drucken - auf eine meist dialogische Textergänzung verzichtet werden konnte und das Thema als eigenständiges, "purely visual scheme in different media" (175) betrachtet wurde.
Weniger dem Tod als dem toten Körper widmet sich der Artikel "Anatomische Darstellungen zwischen Kunst und Wissenschaft" von Reinhard Hildebrand (181-196). Anhand anatomischer Atlanten von der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert geht Hildebrand dabei der in jüngster Zeit verstärkt behandelten Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wissenschaft in naturwissenschaftlichen Bildern nach und kommt zu dem Ergebnis, dass "die Wahrnehmung einer Abbildung als Werk der Kunst oder als eines der Wissenschaft [...] eine Sache des inneren Zusammenhangs sein [wird], [...], und nicht des bildlichen Inhalts an sich" (193).
Daran anschließend stellt die Kunstwissenschaftlerin Sandra Mühlenberend "Skelettpräsentationen in Wissenschaft und Kunst" (197-204) vom 16. bis ins 21. Jahrhundert vor. Im Mittelpunkt stehen dabei ausdrücklich nicht die Skelettmodelle, die einem Memento-mori-Gedanken verpflichtet sind, sondern jene, die im Kontext eines wissenschaftlichen und künstlerischen Studiums angefertigt wurden. Trotz ihres primär der "sachlichen Informationsvermittlung" zugehörenden Kontexts als Anschauungs- und Demonstrationsobjekte, als Mittel der Aufklärung und der Proportionslehre, konnte Mühlenberend in der spezifischen Präsentation der Skelette "immer wieder auftauchende, inszenierende Aspekte" (204) feststellen.
Skelette, Tödlein und Totenschädel aus Elfenbein stehen im Zentrum des Beitrags "Elfenbein in der Kunstkammer. Zu Funktion und Materialität von Memento mori-Objekten" (301-309) von Andrea von Hülsen-Esch. Die meist in Kunst- und privaten Schatzkammern aufbewahrten Todesdarstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts stellt sie in den Kontext der Meditatio mortis, der individuellen Reflexion über den eigenen Tod. Aus materialikonographischer Perspektive ist das kostbare Elfenbein von besonderer Relevanz, verbindet es doch "gleichermaßen die Nähe zum menschlichen Köper (Substanz, Farbe), die Suggestivkraft des Haptischen und die Konnotation mit dem Skelett (Bein) als der Visualisierung des toten Körpers schlechthin" (307).
Im Anschluss daran untersucht Niklas Gliesmann das "Memento mori in der Tafelmalerei der Südniederlande zwischen 1450 und 1520" (321-28) und zeigt anhand ausgewählter Bildwerke von Rogier van der Weyden, Hans Memling, Jan Provoost und anderen die unterschiedlichen Formen und Funktionen von Memento mori-Bildern auf. Während die häufig anzutreffenden Totenschädel dabei den "Zustand des Todes, das heißt den körperlichen Verfall, die zu erwartende Buße im Jenseits und die Finalität des weltlichen Lebens" (327) visualisieren, kommt den Darstellungen lebendiger Halbverwester eine weitere Bedeutung zu: "Als erzählerisch Handelnde, deren eigene Aktion schicksalsbestimmend ist und nur durch die Reaktion des oder der dargestellten Menschen gemäß der Ars moriendi beeinflusst werden kann, sprechen sie ihre Botschaft situationsbestimmt und auf weniger zeitlose Art als die Totenschädel und ihre Inschriften" (327).
Die Notwendigkeit einer ausschnitthaften Vorstellung der Beiträge beweist, dass es sich bei dieser interdisziplinären Publikation um eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Tabuthema Tod handelt. Auch wenn an einigen Stellen auf Grund des polyperspektivischen Ansatzes der rote Faden nicht klar zu erkennen ist und die Fülle der Aufsätze keine intensive Behandlung der einzelnen Problemfelder zulässt, bietet der Band einen vielseitigen Ausgangspunkt für weitere wissenschaftliche Forschungen.
Anmerkung:
[1] Johan Huizinga: Das Bild des Todes, in: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, 11. Aufl., Stuttgart 1975, 190-208. Jan Białostocki: Kunst und Vanitas. Pessimismus und Hedonismus der Antike, in: Stil und Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft, Dresden 1966, 187-230. Philippe Ariès: Geschichte des Todes, 11. Aufl., München 2005. Christiaan L. Hart Nibbrig: Ästhetik des Todes, Frankfurt a. M. 1995. Norbert Fischer: Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001. Christian Kiening: Das andere Selbst. Figuren des Todes an der Schwelle zur Neuzeit, München 2003.
Anna Pawlak