Stephan Steiner: Reisen ohne Wiederkehr. Die Deportation von Protestanten aus Kärnten 1734-1736 (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 46), München: Oldenbourg 2007, 381 S., ISBN 978-3-486-58077-8, EUR 44,80
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Im Zeichen der so genannten Globalisierung, die, wie Historiker immer wieder betonen, nun wirklich nichts grundsätzlich Neues ist, haben Studien, die sich mit Mobilität und Migrationen beschäftigen, Konjunktur. In Stephan Steiners Dissertation Reisen ohne Wiederkehr geht es um die Deportationen oder Transmigration von Protestanten aus Kärnten nach Siebenbürgern in der Zeit zwischen 1734 und 1736.
Steiners Studie ist eine dezidiert mikrohistorische Arbeit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das bislang wenig beachtete Archivmaterial im Paternioner Archiv auszuwerten. Ziel ist es, auf dieser Basis zu differenzierteren Aussagen über die politischen Ereignisse im Vorfeld der karolinischen Transmigrationen, über Herrschaftsstrukturen, bäuerliche Lebenswelten, Konflikte zwischen Herrschaft und Untertanen und die Entwicklung der "Eigendynamik" (21) der Deportationen zu gelangen. Steiner analysiert minutiös die obrigkeitliche Kontrolle protestantischer Untertanen in Kärnten, Formen und Organisation klandestinen Protestantismus sowie Missionierungsversuche von Seiten der katholischen Kirche. Er untersucht die Kommunikation zwischen Salzburg und Paternion infolge der Salzburger Emigration von 1731/32, Reaktionen der Kärntner Obrigkeit auf die Erfahrungen im Bistum Salzburg und die Methoden zur Unterdrückung der "Häresie" bzw. des gefürchteten Aufstandes der Kärntner Protestanten.
Bespitzelung, Verhöre, Festsetzung von Protestanten, Einschüchterungs- und Missionierungsversuche hatten jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Die Kärntner Protestanten hielten an ihrem Glauben fest und formierten sich im Frühjahr 1734 immer deutlicher - in Petitionen, Angriffen auf den katholischen Pfarrer, Protesten - gegen die katholische Obrigkeit. Ende September 1734 entschloss sich der Kärntner Landeshauptmann dann zur Deportation der Rädelsführer der protestantischen Bewegung nach Siebenbürgen. Im Januar 1735 folgten den deportierten Männern auf eigenen Wunsch - und auf eigene Kosten - ihre Ehefrauen. Da es sich jedoch nur um eine kleine Gruppe von Protestanten handelte, war das Problem in Kärnten nach wie vor nicht gelöst. Um Zwangsrekrutierungen, Missionierung und der Trennung von ihren Kindern zu entgehen - eine Maßnahme ähnlich der nach der Revokation des Edikts von Nantes 1685 in Frankreich -, emigrierten nun etliche Kärntner Protestanten ins Reich. Weitere Deportationen - insgesamt fünf - folgten; teilweise in Familienverbänden, teilweise wurden die Familien von ihren Kleinkindern getrennt, da man deren Überlebenschance auf dem Transport nach Siebenbürgen für minimal hielt. Steiners Studie endet nicht mit der Deportation selbst. Seine Arbeit widmet sich darüber hinaus den - zum Teil erfolgreichen - Rückkehrversuchen etlicher Deportierter und - wenn auch nur kurz - ihrem Schicksal in Siebenbürgen. Eine "Reise ohne Wiederkehr" waren die Deportationen damit in vielen, aber längst nicht in allen Fällen.
Für Steiner sind die Deportationen der karolinischen Zeit ein Exemplum, das "an der Geburtsstunde aller neuzeitlichen Deportationen in Mitteleuropa steht, ja vielleicht (zusammen mit den Transmigrationen aus dem Salzkammergut) sogar deren Geburtsstunde ist" (21). Nun sind Deportationen weder eine Erfindung der Neuzeit noch auf den mitteleuropäischen Raum beschränkt. Deportationen "unliebsamer Untertanen" sind bereits in der Antike nachweisbar. Und Erfahrungen europäischer Regierungen und "unliebsamer Untertanen" mit Deportationen gibt es in der Neuzeit im mittel- und westeuropäischen Raum bereits vor den 1730er Jahren; wie etwa die der Pfälzer und Wallonen im späten 17. Jahrhundert, die der 1709 nach England migrierenden Pfälzer, die von dort nach 1710 nach Irland und Nordamerika deportiert wurden, oder die von Wiedertäufern oder Mennoniten aus der Schweiz in die Pfalz und in die Niederlande, ebenfalls im 17. Jahrhundert. Von der langen Geschichte von Vertreibung und Deportation ashkenazischer und sephardischer Juden im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa vor 1730 ganz zu schweigen.
Ob der Schnitt zwischen mittelalterlichen und neuzeitlichen Vertreibungen, Deportationen und Zwangsumsiedlungen, die Trennung von miteinander kommunizierenden geographischen Räumen in Europa wirklich epistemologisch so sinnvoll ist, wie Steiner dies hier suggeriert, ist fraglich, nicht zuletzt, weil er den Blick auf Gründe und Hintergründe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den "Patterns" von Verfolgung, Vertreibung und Deportation verstellen kann.
Sehr viel problematischer als diese künstlichen zeitlichen und geographischen Schnitte ist jedoch die Basis, auf der Steiner zu Aussagen über die Qualität und Tragweite der Kärntner (sowie Salzburger und Defereggentaler) Deportationen kommt. Neuere und neueste Studien aus der historischen Migrationsforschung hat Steiner nicht zur Kenntnis genommen. Eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten Mark Häberleins, Hermann Wellenreuthers, Rosalind J. Beilers, Aaron Foglemans, Joachim Bahlckes, Dirk Hörders, Klaus J. Bades u.a. hätte der Studie das notwendige Hintergrundwissen und Vergleichsebenen gegeben und problematische Aussagen - wie die über die Neuartigkeit der karolinischen Transmigrationen - in einen anderen Kontext gestellt.
Migrationsforschung auch auf mikrohistorischer Ebene zu betreiben, ist wichtig, notwendig und fruchtbar, wie demnächst beispielsweise die Arbeit Sabine Heerwarts zeigen wird. [1] Bei Steiner hingegen vermisst man jedoch nicht nur die Einordnung der Arbeit in den Gesamtkontext der frühneuzeitlichen Migrationsforschung. Auch Arbeiten zu (Trans-)Migrationen und Deportationen von Protestanten innerhalb der Habsburger Reiches, die - so Steiner - nicht vorhanden seien (13), werden nicht zur Kenntnis genommen.[2] Mikrohistorie darf jedoch weder im Detail stecken bleiben noch zu generalisierenden Aussagen gelangen, ohne den Forschungsstand überhaupt zu kennen. Eine Dissertation sollte eigentlich in der Lage sein, die eigene Arbeit im aktuellen Forschungskontext zu verordnen und damit die gewonnenen Forschungsergebnisse korrekt zu evaluieren.
Anmerkungen:
[1] Sabine Heerwarth: In der That nicht die Abziehenden, sondern die Zurückbleibenden werden zu beklagen sein". Die Folgen von Auswanderung in der zweiten Hälft des 19. Jahrhunderts am Beispiel der beiden deutschen Dörfer Ürzig und Wolfshagen, Dissertation Hamburg 2007 (erscheint 2008).
[2] Siehe u.a. Heinz Fassmann / Rainer Münz (Hgg.): Einwanderungsland Österreich? Historische Migrationsmuster, aktuelle Trends und politische Maßnahmen, Wien 1995; Roger Bartlett / Bruce Mitchell: 'State-Sponsored Immigration into Eastern Europe in the Eighteenth and Nineteenth Centuries', in: Roger Bartlett / Karen Schönwälder (Hgg.): The German Lands and Eastern Europe, Basingstoke 1999; Josef Karl Mayr: 'Die Emigration Salzburger Protestanten von 1731/32'. Das Spiel der politischen Kräfte, in: Mitteilungen d. Gesellschaft f. Salzburger Landeskunde, 69-71 (1929-1931), Salzburg 1931 und jüngst Claus Heinrich Gattermann: Die Baranya in den Jahren 1686 bis 1713 - Kontinuität und Wandel in einem ungarischen Komitat nach dem Abzug der Türken, Göttingen 2006.
Susanne Lachenicht