Paul Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS (= Studia Transylvanica; Bd. 34), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, XII + 349 S., ISBN 978-3-412-13806-6, EUR 37,90
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Nach einer Vielzahl von Studien über die Beziehungen zwischen den ostmitteleuropäischen deutschen Minderheiten und dem "Dritten Reich" liegt mit Paul Milatas an der Berliner Humboldt Universität entstandenen Dissertation endlich eine ernst zu nehmende Untersuchung über die Rumäniendeutschen im Zweiten Weltkrieg und ihr Engagement in der Waffen-SS vor.
Die Zugehörigkeit von Deutschen aus Rumänien zur Waffen-SS gilt als der Wendepunkt in ihrer Geschichte, war sie doch die Voraussetzung dafür, dass danach ein Teil der Teilnehmer in Westeuropa blieb bzw. aus der Kriegsgefangenschaft nicht nach Rumänien zurückkehrte. Die Rekrutierung der Deutschen Rumäniens zählt mit rund 63.000 "Freiwilligen" (ein diskussionswürdiger Begriff, auf den Milata separat eingeht) zu den erfolgreichsten überhaupt. Doch welche Entwicklung führte zu diesem Schritt, der sich als so verhängnisvoll erweisen sollte? Welche Motivationen mögen die Rumäniendeutschen gehabt haben, als sie gegenüber der rumänischen Armee die Waffen-SS-Einheiten bevorzugten? Wo wurden sie eingesetzt und inwiefern machten sie sich womöglich an Kriegsverbrechen schuldig?
Im ersten Kapitel stellt Milata die politische und wirtschaftliche Situation im Rumänien der Zwischenkriegszeit, den Nationalismus der rumänischen Eliten und die in rechtlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht benachteiligte Lage der Deutschen des Landes vor. Nachdem Rumänien 1940 auf mehrere, erst 1918 erworbene Gebiete zugunsten Ungarns, Bulgariens und der Sowjetunion verzichten musste, lebten etwa 550.000 Deutsche im Land. Die Banater Schwaben bildeten die größte Gruppe (320.000), daneben gab es etwa 200.000 Siebenbürger Sachsen sowie 30.000 Deutsche im so genannten "Altreich" (Rumänien in den Grenzen vor 1918). Die aus ihrer Benachteiligung erwachsene wirtschaftliche Verunsicherung führte im Laufe der 1920er-Jahre zur ideologischen Polarisierung der Deutschen. Bereits vor der Weltwirtschaftskrise sind die zwei politischen Lager der Konservativen und der Nationalsozialisten nachzuweisen. Sie konkurrierten in den 1930er-Jahren um die Führung der Minderheit, wobei die Rechtsextremen zunächst durch innere Kämpfe geschwächt wurden. Die politische Radikalisierung der Deutschen sieht Milata in kurzfristigen wirtschaftlichen Faktoren und der Minderheitenpolitik Bukarests begründet. Hier wäre es interessant gewesen zu erfahren, welche Rolle die finanziellen Zuwendungen aus Berlin in der Zwischenkriegszeit und bei der Gleichschaltung spielten. Denn der Anführer der Rechtsextremen, Fritz Fabritius, vermochte sich erst nach einem Machtwort Berlins 1938 durchzusetzen, was dann auch die Gleichschaltung der Deutschen bedeutete. Ihm folgte nach einem kurzen Intermezzo 1940 der junge Andreas Schmidt, ein Schwager des SS-Offiziers Gottlieb Berger.
Im zweiten Kapitel beschreibt Milata die so genannte "1.000-Mann-Aktion", also die 1939 begonnene und 1940 beendete erste SS-Rekrutierung von Deutschen. Dieses "Pilotprojekt" sollte später zum Muster für weitere SS-Rekrutierungen im Ausland werden und erwies die Begeisterung der deutschen Bevölkerung Rumäniens für einen Einsatz in einer deutschen Truppe. In der Folgezeit stemmte sich die rumänische Regierung gegen weitere Rekrutierungen, so dass diese bis 1943 nur illegal und in zu vernachlässigender Zahl stattfanden (Kapitel 3).
Im vierten Kapitel ordnet Milata die SS-Rekrutierung in den ostmitteleuropäischen Kontext ein, um sodann im fünften Kapitel die deutsch-rumänischen Verhandlungen zur SS-Massenrekrutierung von 1943 darzustellen. Den Ausschlag für die Freigabe der Deutschen durch die rumänische Regierung gaben laut Milata letztlich militärische Gründe. Die Regierung hatte eingesehen, dass die Rumäniendeutschen in deutschen Einheiten effektiver zum Krieg gegen die Sowjetunion beitragen konnten als in der rumänischen Armee, die 1943 weitgehend aufgelöst war. Darüber hinaus wollte die rumänische Regierung den Einsatz der Deutschen als rumänischen Kriegsbeitrag verbucht wissen und damit auch auf den deutschen Druck auf die rumänischen Verbände reagieren. Die Rumäniendeutschen selbst begannen die Musterung bereits vor der Unterzeichnung des entsprechenden Vertrages (12. Mai 1943). Die differenzierte und sorgfältig abgewogene Darstellung der Eintrittsmotivationen im sechsten Kapitel bildet einen der besten Teile der Arbeit. Milata sieht dabei ein ganzes Bündel von Motiven wirken, die hier nur knapp aufgelistet werden können: die bessere Ausstattung der deutschen Verbände, die (bei den Rumänen unbekannte) Unterstützung der Angehörigen, der höhere Sold bei den Deutschen, ein starker Antibolschewismus bzw. eine antisowjetische Stimmung (daher wohl Stalins Name im Titel). Der "Deutschland-Mythos" (185) und damit verbunden eine ideologische Affinität spielten ebenfalls eine wichtige Rolle, waren doch gerade die Jüngeren seit Jahren einer NS-Indoktrination durch ihre Führung ausgesetzt. Der deutsch-rumänische Vertrag gab der Rekrutierung das offizielle Gepräge rumänischer Unterstützung. Die Führung verschwieg zudem die vereinbarte Freiwilligkeit der Meldungen. Jahrzehntelanger Rumänisierungsdruck einerseits, der soziale Druck einer gleichgeschalteten Gesellschaft (und mitunter Zwangsanwendung durch fanatisierte Nationalsozialisten) andererseits lassen die "Freiwilligkeit" der Meldungen ernsthaft bezweifeln. Das Ergebnis war, dass alleine 1943 ca. 50.000 Personen der Waffen-SS beitraten; die Gesamtzahl aller Teilnehmer betrug laut Milata etwa 63.560.
Im siebten Kapitel beschreibt Milata den Abtransport der Rekruten und im achten schließlich ihre Ausbildung, die er als teils beispielhaft, teils mangelhaft charakterisiert. Generell soll gegolten haben, dass die zuerst Angeworbenen die bessere Ausbildung erhielten. Das letzte Kapitel widmet der Autor dem Fronteinsatz, wobei er die Verwicklung der Deutschen in Kriegsverbrechen (ob als Soldaten der Division "Prinz Eugen" oder als KZ-Wachmannschaften - etwa 2000 Personen) untersucht, die sehr hohe Gefallenenquote berechnet (27,49%, also 17.473 von 63.560 Soldaten) und kurz auch auf das Schicksal der Gefangenen eingeht. Wiederholt hinterfragt Milata kritisch das Selbstbild der Betroffenen, die sich nach dem Krieg mit einer angeblichen Unwissenheit des KZ-Personals oder auch mit der überdurchschnittlichen Gefallenenrate zu exkulpieren suchten.
Den Band beschließen eine kurze Zusammenfassung und ein Anhang, der Tafeln zu den SS-Rekrutierungen und Kurzbiografien der wichtigsten Personen enthält. Abschließend lässt sich feststellen, dass Milatas Buch einen längst fälligen, eminent wichtigen Beitrag zur Geschichte der Rumänien-Deutschen im Zweiten Weltkrieg leistet. Ohne sich in unergiebigen Polemiken zu verlieren, erörtert er sachlich und differenziert umstrittene Fragen. Nur manchmal und in Randbereichen unterlaufen ihm zweifelhafte Aussagen ("[...] war der Unterricht in eigener Muttersprache das Privileg aller Minderheiten", 17) oder nicht nachvollziehbare Differenzierungen ("Ungarn und Szekler", 119) bzw. nicht angemessene Ortsnamen ("St. Georgen" für Sepsiszentgyörgy, 293). Diese beeinträchtigen aber nicht den Wert seiner Studie, die jedem an der Geschichte der ostmitteleuropäischen deutschen Minderheiten Interessierten uneingeschränkt empfohlen werden kann.
Franz Sz. Horváth