Rezension über:

Claus Volkenandt (Hg.): Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst. Konzepte, Methoden, Perspektiven, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2004, 265 S., 70 Abb., ISBN 978-3-496-01302-0, EUR 29,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sarah Hilterscheid / Alexandra Karentzos
Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Lars Blunck
Empfohlene Zitierweise:
Sarah Hilterscheid / Alexandra Karentzos: Rezension von: Claus Volkenandt (Hg.): Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst. Konzepte, Methoden, Perspektiven, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/6619.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Claus Volkenandt (Hg.): Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst

Textgröße: A A A

Der Sammelband "Kunstgeschichte und Weltgegenwartskunst. Konzepte - Methoden - Perspektiven" ist aus einer Ringvorlesung an der Universität Basel hervorgegangen, die anlässlich der documenta 11 stattgefunden hat. Der Band gliedert sich in vier große Blöcke mit weitgefassten Titeln wie Erfahrungswelten, Theoriearbeit, Kulturphilosophische Perspektiven; ein Kapitel setzt sich unmittelbar mit der documenta 11 auseinander.

Die documenta als globales Kunstereignis gibt dem Herausgeber Claus Volkenandt den Anstoß zu einer Auseinandersetzung mit dem Begriff "Weltgegenwartskunst". Es geht ihm "um Fragen und Probleme der Gegenwartskunst in Weltperspektive" (11). Dabei erläutert er den Begriff der Weltkunst allein im Kontext des 20. Jahrhunderts. Die Entstehung des Begriffs in der Romantik, v. a. bei Goethe wird ausgeklammert, der den Begriff der Weltliteratur als umfassende, für alle Menschen gültige Literatur versteht im Gegensatz zu einer traditionellen Nationalliteratur. [1] Für Goethe bildet die Weltkunst gewissermaßen das Ideal einer produktiven Heterogenität. [2]

Volkenandts Argumentation setzt erst in den 1930er-Jahren mit der Zeitschrift "Weltkunst" ein, geht über enzyklopädische Begriffserläuterungen der 50er Jahre zu Alois Riegl zurück und kritisiert deren Universalitätsanspruch. Indem der Begriff "Weltkunst" zum einen eine Weite suggeriert, entpuppt sich zum anderen das Konstrukt Kunst nach Volkenandt als westliches Label (14), das diskussionsbedürftig ist. Dabei verfolgt er die zentrale These einer Verschiebung der Weltkunst von einer ästhetischen Kategorie zu einer politischen. Mit Worringers Konzept der "ars una" verdeutlicht Volkenandt die ästhetische Dimension, die eine menschheitsumgreifende Kunstentwicklung beinhaltet. In einem zweiten Schritt wird diese Auffassung mit den Cultural und Postcolonial Studies einer Revision unterzogen, die eine politische Dimension eröffnen. Veranschaulicht wird dies mit dem so genannten "Marco-Polo-Syndrom" im Anschluss an Gerardo Mosquera: "Gemeint ist damit eine besondere Form des Eurozentrismus, der im Horizont der Geschichte der Kolonisierung hegemonialen Charakter, und zwar weltweit, gewonnen hat." (20f) Damit verdeutlicht Volkenandt die Historizität der benutzten Begrifflichkeit einer "Weltgegenwartskunst": "Der kunsthistorische Umgang europäischer Provenienz ist darin nur eine Möglichkeit des Verstehens". (25) Interessant wäre an dieser Stelle eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns Begriff der Weltkunst, der gerade die Unbeobachtbarkeit der Welt ins Blickfeld rückt und damit die partiale Perspektive hervorhebt. [3]

Kitty Zijlmans vermeidet in ihrem sehr differenzierten Beitrag den Begriff "Weltgegenwartskunst" und spricht statt dessen von einer Kunstgeschichte in globaler Perspektive und globaler Orientierung der Kunstproduktion, wobei sie diese Begriffe zugleich auch problematisiert. Sie umreißt das Forschungsfeld und weist darauf hin, dass Kunstgeschichte immer noch primär als Kunstgeschichte der westlichen Welt verstanden wird. Als utopistische Perspektive entwirft sie ein Kunstgeschichtsbild ohne entsprechende Dichotomisierungen. Sie versteht Kultur als "dynamisches Gewebe" (245), als Prozesshaftes, und sieht die Aufgabe der Kunstgeschichte im Anschluss an Olu Oguibe darin, eine Vielzahl von Geschichten und Modernismen zu erzählen. Eine solche Vielfalt erfordert allerdings nach Zijlmans auch ein interdisziplinäres Vorgehen, d. h. die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie Soziologie, Sprachwissenschaft und Kulturanthropologie. Anhand der Fotografie "My Mother likes Pop art because Pop Art is colourful" (1999) von Halil Altindere, die auch als Titelbild des Bandes fungiert, verdeutlicht sie ihre Argumentation: In dieser kondensieren sich Grenzüberschreitungen von Ost/West, die verdeutlichen, das Kultur kein isoliertes, hermetisches Phänomen ist.

Im Gegensatz dazu steht Markus Brüderlin mit seinem Beitrag. Ihm zufolge liegen die Qualitäten einer kommenden "Weltgegenwartskunst" gerade in der Gegenüberstellung westlicher und nicht-westlicher Kunst und der Dialektik von Globalismus und Lokalismus. Damit läuft sein Ansatz jedoch Gefahr, auf eine Neubegründung von Dichotomien hinauszulaufen, die, wie Kitty Zijlmans zeigt, in den Postcolonial Studies gerade problematisiert werden. Bei seinen Einzelanalysen verfolgt Brüderlin einen biografistischen Ansatz, der die Künstlerinnen und Künstler auf ihre Herkunft festschreibt, etwa wenn Kara Walker als "Nachfahrin von afrikanischen Stammeskünstlern" bezeichnet wird (126).

Während Brüderlin die documenta als "nivellierte[s] Einheitsprogramm einer One-World" (124) scharf kritisiert, befürwortet Oliver Machart, der als wissenschaftlicher Berater der documenta und als Leiter des Education Project fungierte, in seinem Aufsatz das Konzept. In diesem Zusammenhang schreibt er der documenta 11 einen besonderen Stellenwert als internationale Großausstellung zu, die erstmalig sowohl politische und nicht-westliche Kunst sowie theoretische Ansätze als auch besondere Vermittlungsstrategien in ihrem Konzept vereinigt. Machart zufolge übernimmt die documenta 11 daher eine Vorbildfunktion für folgende Ausstellungen. Mit Strategien der Vermittlung befasst sich auch Martina Siegwolf, wobei sie den Fokus auf Ausstellungen legt, die westliche Formen der Präsentation als Umgangsnorm in Frage stellen.

Alternative kunsthistorische Ansätze versuchen Christian Kaufmann, Helen Westgeest und Philip Ursprung zu entwickeln. So geht es Kaufmann um eine vergleichende Kunstgeschichte, die er um eine interkulturelle Kunstkritik zu erweitern empfiehlt. Dagegen ist für Helen Westgeest die vergleichende Kunstgeschichte produktiv nutzbar, wenn sie eine Fotoserie des Künstlers Ryuji Miyamoto untersucht und dabei neben europäischer auch japanische Fotografiegeschichte einbezieht. Philip Ursprungs Beitrag nimmt sich als Plädoyer für eine Historiografie der Gegenwartskunst aus. Exemplarisch analysiert werden Vanessa Beecrofts Performances, die mit Michael Hardts und Antonio Negris Untersuchung Empire in Verbindung gebracht werden.

Mit Siebenmeilenstiefeln geht Nana Badenberg durch die Geschichte europäischer Forschungsreisen: Von den Reisemalern in Alexander von Humboldts Umkreis, über Nolde und die Expressionisten bis hin zu den Fotografien Eleonore Maus und Hubert Fichtes Reisebeschreibungen, die "das ethnologische Paradigma der teilnehmenden Beobachtung ad absurdum führen" (51), reicht das Spektrum.

Einen Perspektivwechsel von europäischer zu afrikanischer Kunstgeschichte der Moderne nimmt der Beitrag von Till Förster vor. Er versucht im Anschluss an Klotz' und Becks architekturtheoretisches Konzept einer ersten und zweiten Moderne, drei Muster der afrikanischen Kunst auszumachen: eine erste afrikanische Moderne, lokale Künste/Urban Art und die zweite afrikanische Moderne.

Elmar Holenstein versucht auf die "Frage nach dem Beitrag des afrikanischen Kontinents zur Philosophie" (231) ein universelles philosophisch-linguistisches Erklärungsmuster zu finden, wie es dem Menschen unabhängig von seiner Herkunft in komplex strukturierten Gruppen möglich ist, sich zu verständigen. Gegen Universalisierungen setzt Bernhard Waldenfels, ebenfalls aus einer philosophischen Perspektive, eine Vielstimmigkeit Europas, dessen Eigenart er aus einem Widerspiel von Eigenem und Fremdem hervorgehen lässt.

Positiv hervorzuheben ist, dass der Sammelband heterogene Positionen und Ansätze im Sinne der Interdisziplinarität unter einem Dach vereint, um sich der zeitgenössischen Kunst zu widmen. Die Beschäftigung mit globalen Phänomenen in der Gegenwartskunst lässt eine Auseinandersetzung mit postkolonialen Ansätzen erwarten, die stellenweise hätte ausführlicher sein können.


Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Eckermanns Gespräch mit Goethe vom 31. Januar 1827.

[2] Vgl. etwa Johann Wolfgang von Goethe: West-östlicher Divan (1819).

[3] Niklas Luhmann: "Weltkunst", in: ders. / Frederick D. Bunsen / Dirk Baecker (Hgg.): Unbeobachtbare Welt: über Kunst und Architektur, Bielefeld 1990, 7- 45.

Sarah Hilterscheid / Alexandra Karentzos