Uwe Fleckner (Hg.): Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus (= Schriften der Forschungsstelle 'Entartete Kunst'; Bd. 1), Berlin: Akademie Verlag 2007, VII + 390 S., 85 Abb., ISBN 978-3-05-004062-2, EUR 39,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Uwe Fleckner / Uwe M. Schneede (Hgg.): Bürgerliche Avantgarde - 200 Jahre Kunst in Hamburg, Ostfildern: Hatje Cantz 2017
Uwe Fleckner (Hg.): Das verfemte Meisterwerk. Schicksalswege Moderner Kunst im "Dritten Reich", Berlin: Akademie Verlag 2009
Uwe Fleckner / Thomas W. Gaehtgens: De Grünewald à Menzel. L'image de l'art allemand en France au XIXe siècle, Paris: Éditions de la Maison des sciences de l'homme 2003
Die Ausstellung "Entartete Kunst" und die gleichnamige Aktion, als Versuch aus der konfiszierten modernen Kunst Profit zu schlagen, sind von Mythen umwoben, die nicht zuletzt von den Nationalsozialisten selbst in die Welt gesetzt wurden. Erst allmählich wird zum Beispiel deutlich, dass die Münchner Femeausstellung 1937 nicht von vorneherein als spektakuläre Komplementärausstellung zur so genannten "Großen Deutschen Kunstausstellung" im neu errichteten "Haus der Deutschen Kunst" konzipiert worden war, sondern sich im Wesentlichen dem taktisch wendigen Machtinstinkt von Propagandaminister Joseph Goebbels verdankte, der damit Alfred Rosenberg als maßgeblichen Konkurrenten, aber auch Kultusminister Rust in Sachen Kunstpolitik schwächen und selbst die Fäden in der Hand behalten wollte. Erst knapp vier Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung war klar, dass diese in München und nicht in Berlin stattfinden würde. Das nachträglich evozierte Propagandabild widersprach der hektischen Improvisation der Schau und vermittelte stattdessen die planvolle Realisierung einer lange bevorstehenden Abrechnung.
70 Jahre nach der Eröffnung der Ausstellung und des Beginns einer beispiellosen Beschlagnahmungswelle, die in der Rückschau als kultureller Selbstenthauptungsversuch erscheinen muss, an dessen Folgen man heute noch immer laboriert, legt die Forschungsstelle zur "Entarteten Kunst" mit Sitzen in Hamburg und Berlin den ersten Band einer Schriftenreihe vor, der gelungener kaum hätte ausfallen können. Initiiert wurde das ganze Projekt von der Ferdinand Möller Stiftung - Möller war einer von vier auserkorenen Händlern, die "entartete Kunst" zu verwerten - unter Leitung des gleichermaßen renommierten wie sensiblen Kunsthändlers Wolfgang Wittrock; wissenschaftlich geleitet wird es von Uwe Fleckner, der als Herausgeber des Bandes fungiert, sowie Andreas Hüneke und Christoph Zuschlag, die zu den weltweit führenden Experten in diesem brisanten Forschungsbereich zählen. Aber nicht sie füllen mit ihren Studien die Seiten des Sammelbandes, sondern vier junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, deren wissenschaftliche Qualifizierungsarbeiten (Magisterarbeiten) in das Buch eingeflossen sind.
Laura Lauzemis widmet sich in ihrem Beitrag einem erhellenden Briefwechsel zwischen dem ehemaligen Bauhausmeister Oskar Schlemmer und Klaus Graf von Baudissin, der mit der Machtübernahme zum Leiter des Museum Folkwang in Essen avancierte. Auch wenn diese Korrespondenz des Jahres 1934 nur aus sechs Briefen besteht, geht es in ihr nicht etwa ausschließlich um die naheliegende Frage nach dem Schicksal von Schlemmers Wandbildern für den Rundsaal mit George Minnes berühmten Jünglingsbrunnen, sondern um generelle Aspekte einer fraglichen NS-Kunstauffassung. Lauzemis kann in ihrer abwägenden Darstellung Schlemmers Bereitschaft zur Mitwirkung an der Neugestaltung Deutschlands ebenso deutlich machen, wie Baudissins ambivalente Position einer Befürwortung expressionistischer Kunst in vermeintlich unverfänglichen Bildgattungen einerseits und einer Pauschalkritik der Moderne anderseits, deren Opfer auch schließlich Schlemmer wurde. Schlemmers harmonisierende, humanistische und stark vergeistigte Kunst konnte von den Machthabern nicht in Dienst genommen werden, und Baudissin erkannte das deutlich früher und schärfer als sein Briefpartner. Gerade die Darstellung von Baudissins Karriere liefert weitere Einblicke in die Schwierigkeiten einer sich konstituierenden NS-Kunstpolitik und dabei beobachtbarer Radikalisierungstendenzen von unten. Leider interpretiert die Autorin den Sachverhalt nicht, dass der an den Rand gedrängte Kultusminister Rust sich Baudissins und der ideologischen Scharfmacher Hansen und Willrich zu bedienen versuchte (66).
Mit Mario-Andreas von Lüttichaus Rekonstruktion und Christoph Zuschlags Standardwerk zur "Entarteten Kunst" schien über dieses Thema erst einmal so gut wie alles gesagt. [1] Katrin Engelhardt gelingt es aber, die Berliner Station im Jahre 1938 ausführlich in ihrer Genese und Differenz zur Münchner Ausstellung von 1937 herzuleiten und zu rekonstruieren. Dies ist umso wichtiger, als diese neue, nun als Wanderausstellung konzipierte Schau, die Engelhardt vielleicht etwas unglücklich mit Katrin Hoffmann-Curtius' Begriff der "Lehrausstellung" belegt, als Auftakt für weitere zehn bisher bekannte Stationen bis 1941 fungierte. Dabei setzte die Ausstellung Maßstäbe als Propagandaveranstaltung, die Früchte trug, wie die von Engelhardt beigebrachten Quellen verdeutlichen. Zu wenig interpretierend geht sie allerdings auf den Sachverhalt ein, dass nach München nicht mehr die Reichskulturkammer und damit das Propagandaministerium, sondern die ebenfalls unter der Führung von Goebbels stehende Reichspropagandaleitung der NSDAP bzw. der Gau Berlin als Veranstalter agierte. Die Verantwortung lag damit gerade nicht mehr in den Händen des deutschen Staates, sondern in denen der NSDAP als Partei und es ist nachdenkenswert, warum das der Fall war.
Gesa Jeuthe widmet sich der Verwertung der "Entarteten Kunst" und konzentriert sich dabei auf die berühmt-berüchtigte Fischer-Auktion in Luzern 1939 und ihre Nachwirkungen. Detailliert rekonstruiert sie die Genese und den Verlauf der Auktion sowie die Mentalität und Erwartungshaltungen der Beteiligten vor dem Hintergrund der internationalen, vor allem aber Schweizer Kunsthandelsentwicklungen im frühen 20. Jahrhundert. Die traditionell relativ schwache, der Geschmacksbildung an Frankreich geschuldete Position deutscher Kunst auf dem internationalen Kunstmarkt manifestiert sich auch in diesem Fall. Signifikant ist erneut die Darstellung der "Verschleuderung" der Moderne im Tausch gegen zum Teil zweit- und drittrangige Werke des 19. Jahrhunderts, die von Jeuthe vor allem auf den Versuch der Rettung der Moderne von Seiten der beteiligten Kunsthändler als auch des verantwortlichen Mitarbeiters im Propagandaministerium, Dr. Hetsch, zurückgeführt wird (240). Zugleich relativiert die Autorin die Rolle der Auktion, deren zahlenmäßiger Umfang im Rahmen der gesamten Verwertungsaktion nicht einmal 1% betrug, dennoch aber ca. 44% der hier erzielten Gesamteinnahmen für das Deutsche Reich erbrachte und als bekannteste Verwertungsmaßnahme erheblichen Anteil an der so genannten "doppelten Rettung der Moderne" (i.S. der reinen physischen Bewahrung und der in Gang gesetzten positiven Rezeption) besaß.
1940 gab das Propagandaministerium aus den Beständen der beschlagnahmten "entarteten Kunst" Franz Marcs Gemälde Hund, Katze und Fuchs aus dem Jahre 1912 an die Mannheimer Kunsthalle zurück, wo es zuvor konfisziert worden war. Der von Gesa Jeuthe mitgeteilte "unzeitgemäße" Fall einer vorzeitigen Restituierung (234) leitet zur letzten Studie des Bandes über, denn die Rezeption Franz Marcs seit seinem frühen Tode im Ersten Weltkrieg bis ins 'Dritte Reich' wird exemplarisch von Isgard Krachts vorgestellt. Sie kann das prinzipielle Dilemma, ja Unvermögen der Nationalsozialisten, eine konsistente Kunstpolitik zu generieren, an diesem Fallbeispiel eindrucksvoll herausarbeiten, denn selbst nach der Ausstellung "Entartete Kunst" konnten Postkarten mit Marcs Motiven und Ausstellungen mit seinen Werken publiziert oder eröffnet werden. Seine Briefe aus dem Feld wurden schließlich 1944 ein letztes Mal verboten, waren zuvor umstritten, aber trotz allem zugänglich. Der "entartete" Künstler "Franz Marc bleibt von 1933 bis 1945 in Deutschland eine feste Größe." (359) Vielleicht zeigt nichts die Widersprüche und das Scheitern der nationalsozialistischen Kunstpolitik prägnanter als die ambivalente Marc-Rezeption, gemessen an den eigenen propagandistischen Zielsetzungen und trotz der folgenschweren destruktiven Dynamik des Regimes, das sich mit der "Entarteten Kunst" zwar kein originäres, so doch aber schreckliches Schlagwort auf die Fahnen schrieb, das heute zum Synonym für staatliche Kulturbarbarei geworden ist.
Die neue Schriftenreihe muss mit dem nun vorliegenden ersten Band aufgrund des von NachwuchswissenschaftlerInnen neu recherchierten Materials zur wissenschaftlichen Standardliteratur zu Kunst und Kulturpolitik im Nationalsozialismus gezählt werden. Hier wird einerseits historische Aufklärungsarbeit und andererseits Grundlagenforschung geleistet, und das in einem Bereich, über den man doch schon so viel zu wissen meinte. Die mitunter fehlende Interpretation und Situierung des Materials in einem größeren Zusammenhang wird an anderer Stelle vorzunehmen sein, findet hier aber ein gesichertes empirisches Fundament.
Anmerkung:
[1] Vgl. die Studien von Mario-Andreas von Lüttichau, in: Nationalsozialismus und "Entartete Kunst". Die "Kunststadt" München 1937, hrsg. von Peter-Klaus Schuster, 5. Aufl., München 1998 (EA 1987) und im Kat. "Entartete Kunst". Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, hrsg. von Stephanie Barron, Los Angeles County Museum of Art und Deutsches Historisches Museum, Berlin, 1991/92, München 1992 sowie Christoph Zuschlag: "Entartete Kunst". Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland, Worms 1995.
Olaf Peters