Michael Fleck (Hg.): Lampert von Hersfeld. Das Leben des heiligen Lullus (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; Bd. 67,1), Marburg: N.G.Elwert 2007, IX + 153 S., ISBN 978-3-7708-1308-7, EUR 24,00
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Zum Umfeld des angelsächsischen Missionars und Kirchenorganisators Bonifatius, der im Jahre 754 in Friesland das Martyrium erlitt, gehörten mehrere Männer, die sein Werk begleiteten beziehungsweise fortsetzten. [1] Zu nennen sind Wigbert, der in den vierziger Jahren des 8. Jahrhunderts als Vorsteher des Klosters Fritzlar starb, Sturmi, der von 744 bis zum seinem Tod im Jahre 779 erster Abt des auf Bonifatius' Betreiben gegründeten Klosters Fulda war, und schließlich der 786 gestorbene Lul, der dem Bonifatius als Mainzer Oberhirte nachfolgte. Zu Luls Verdiensten gehört im Rahmen der Heidenbekehrung und der kirchlichen Erschließung des rechtsrheinischen Gebietes vor allem die zwischen 769 und 775 erfolgte Gründung des Klosters Hersfeld, das in der Ottonen-, Salier- und Stauferzeit eine der wichtigsten Reichsabteien war. Das Monasterium wurde den Aposteln Simon und Judas Thaddaeus geweiht, doch wurde deren Patrozinium schon bald durch den heiligen Wigbert überlagert, dessen Reliquien spätestens 780 auf Geheiß Luls von Fritzlar beziehungsweise Büraburg nach Hersfeld überführt wurden. Die Einrichtung Hersfelds, wo Sturmi vor seiner Erhebung zum Abt von Fulda für kurze Zeit als Einsiedler gelebt hatte, war letztlich eine Reaktion Luls auf das Zerwürfnis mit dem Fuldaer Vorsteher, der sich den Mainzer Besitzansprüchen nicht beugen wollte.
Wigbert, Bonifatius und Sturmi erhielten bereits in der Karolingerzeit Lebensbeschreibungen: Die Vita Wigberti aus der Feder des Lupus von Ferrières wurde 836 vielleicht im Rahmen eines Aufenthaltes in Fulda für Hersfeld verfasst, die erste Bonifatiusvita, deren Autor Willibald von Mainz ist, entstand schon bald nach dem Tod des Missionars, und Sturmis Leben wurde von Eigil zu Pergament gebracht, der 822 als Abt von Fulda seine Tage beschloss. Der in Hersfeld gestorbene und dort beigesetzte Klostergründer Lul wurde hingegen erst im 11. Jahrhundert mit einer Vita geehrt. Als Autor des anonym auf uns gekommenen Werkes konnte Oswald Holder-Egger Lampert von Hersfeld ausmachen, der als Autor der bis in den März 1077 geführten Annalen zu den wichtigsten hochmittelalterlichen Geschichtsschreibern zählt.
Lamperts Vita Lulli entstand in zwei Stufen, deren erste als Autograph überliefert ist. Eine zweite Stufe wurde um die Wunder und Nachrichten zum Sarazenenkampf Karl Martells, zur Königserhebung Pippins sowie zum Konflikt Karls des Großen mit seinem Bruder Karlmann erweitert und ist vollständig nur in einem Codex des 13. Jahrhunderts auf uns gekommen. Abgesehen davon, dass 1040 die Gebeine Luls in die neu geweihte Krypta der Hersfelder Klosterkirche überführt worden waren, ließ Lampert sich zu seinem Erstlingswerk wohl vor allem von der in Fulda zwischen 1062 und 1066 verfassten Bonifatiusvita des Otloh von St. Emmeram anregen. Dahinter standen sowohl eine gewisse Konkurrenz zu Fulda als auch der Wunsch, ebenfalls über eine Vita des Klostergründers zu verfügen. Darüber hinaus besteht zwischen der Entstehung der Lul-Vita und dem Streit der Hersfelder mit dem 1060 ins Amt gelangten Erzbischof Siegfried von Mainz um Zehntrechte in Thüringen ein enger Zusammenhang. Dieser unter Beteiligung König Heinrichs IV. 1073 zum Nachteil des Klosters entschiedene Konflikt, von dem Lampert in seinen Annalen berichtet, sollte durch die Vita nämlich literarisch begleitet werden, denn Lampert hebt nicht nur das gute Verhältnis Luls zu König Pippin hervor, sondern erwähnt ausführlich die Förderung Hersfelds durch Karl den Großen - gerade das ließ sich von Heinrich IV. nicht sagen.
Über seine Quellen, unter denen sich die Bonifatius-Viten Willibalds und Otlohs, das Wigbert-Leben des Lupus sowie Eigils Vita Sturmi befinden, legt Lampert gewissenhaft Rechenschaft ab. Allerdings gelingt es ihm geschickt, insbesondere die Lebensbeschreibung Sturmis, in der von Lul und dessen Einflussnahme auf Fulda kein positives Bild gezeichnet wird, derart umzudeuten, dass genau der entgegengesetzte Eindruck entsteht. Ebenso wie in den Annalen erweist sich Lampert in seinem ersten Werk als Meister tendenziöser Geschichtsschreibung, die sich, angereichert um zahllose Lesefrüchte, zudem auf einem stilistisch ausgesprochen hohen Niveau bewegt. Das täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass die Vita für die Erschließung von Luls Wirken letztlich wertlos ist. [2]
Die erste vollständige und weiterhin maßgebliche textkritische Ausgabe der Vita Lulli stammt von dem bereits erwähnten Oswald Holder-Egger und erschien 1894 im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica. Nachdem Michael Fleck bereits 1986 anlässlich der Feier von Luls 1200. Todestag eine deutsche Übersetzung der Lebensbeschreibung veröffentlicht hat, legt er nunmehr eine durchgesehene und erweiterte zweisprachige Neuausgabe vor. In einer kundigen Einleitung informiert er zunächst allgemein über Heiligenverehrung und Hagiographie, geht dann auf Lamperts Leben und Schaffen ein, stellt die Vita Lulli und ihren Schreibanlass vor und umreißt abschließend kurz die handschriftliche Überlieferung. Es folgen der lateinisch-deutsche Text, Anmerkungen, eine Zeittafel, Erläuterungen zu den Abbildungen sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Der lateinische Wortlaut ist unter Verzicht auf den textkritischen Apparat der Ausgabe Holder-Eggers entnommen. Die deutsche Übersetzung hätte sich näher am lateinischen Text ausrichten können, ist aber zuverlässig. Hinter den Anmerkungen verbirgt sich - abgesehen von der Einleitung - ein gut durchdachter Kommentar, der hauptsächlich inhaltlich sowie historisch angelegt ist und auf die verarbeiteten biblischen und literarischen Vorbilder eher zufällig eingeht. Obgleich Bibelstellen in der deutschen Übersetzung nachgewiesen sind, muss man, um sich diesbezüglich ein vollständiges Bild machen zu können, auch weiterhin zur Ausgabe von Holder-Egger greifen. Aus dem Kreis der Abbildungen sind fünf Handschriftenfotos hervorzuheben, darunter zwei aus Lamperts Autograph.
Michael Fleck möchte mit seinem soliden und gut aufgemachten Buch zweifelsohne ein breiteres, an der Geschichte Hersfelds interessiertes Publikum erreichen. Dem Fachwissenschaftler wird hingegen nicht allzuviel Neues gesagt, doch wird immerhin der Blick auf ein wenig beachtetes Werk Lamperts von Hersfeld gelenkt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zur aktuellen Orientierung Rudolf Schieffer: Neue Bonifatius-Literatur, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 63 (2007), 111-123.
[2] Vgl. Walter Berschin: Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 4. Ottonische Biographie. Das hohe Mittelalter 920-1220 n. Chr. 2: 1070-1220 n. Chr. (= Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters; 12/2), Stuttgart 2001, 421-424, dessen Werk von Michael Fleck grundsätzlich hätte herangezogen werden müssen.
Bernd Schütte