Thomas Stamm-Kuhlmann (Hg.): Pommern im 19. Jahrhundert. Staatliche und gesellschaftliche Entwicklung in vergleichender Perspektive (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte; Bd. 43), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, 332 S., ISBN 978-3-412-22806-4, EUR 37,90
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Der Herausgeber des Bandes hat als Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit an der Universität Greifswald vor rund dreieinhalb Jahren auf einer Tagung der Historischen Kommission für Pommern ein längerfristiges Forschungsprojekt mit dem Titel "Pommern in Preußen" vorgestellt. Der vorliegende Band ist sozusagen die erste Frucht, denn in ihm werden die Vorträge eines Symposiums publiziert, das im Oktober 2005 in Greifswald stattfand und als Auftaktveranstaltung dieses Forschungsprojektes anzusehen ist.
Die Referenten des Symposiums waren neben einigen 'alten Hasen' v. a. Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen, die bei dieser Gelegenheit ihre im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten, zumeist Dissertationen, gewonnenen Forschungsergebnisse vorstellen konnten. Dementsprechend bietet der Band sowohl methodisch als auch empirisch sehr viel Neues und der Rezensent hat ihn mit großem Gewinn gelesen.
Eine weitere thematische Gliederung des Buches ist von vornherein unterblieben und dürfte bei der Themenvielfalt auch etwas schwer fallen, was aber keineswegs als Nachteil gelten soll. Die bereits im Untertitel genannten Leitfragen werden von Stamm-Kuhlmann in seiner Einleitung noch einmal präzisiert. Dabei gibt er selbst zu, dass sich der Terminus "Modernisierung" trotz z. T. anfänglicher gegenläufiger Absichten in fast alle Referate eingeschlichen habe. Aber er versteht Modernisierung keinesfalls als geradlinigen Fortschritt und fragt deshalb provokativ, ob etwa Eisenbahnen und regelmäßiger Schulbesuch modern waren. Diese kritische Distanz tut gut und macht deutlich wie schwer solche wertenden Begriffe operationalisierbar sind.
Die ersten sieben Beiträge befassen sich mit den Trägern von politischer Verantwortung in der Provinz. Dabei stehen biografische Untersuchungen etwa zu den Ober- und Regierungspräsidenten neben solchen zu sozialen oder politischen Gruppen, wie im Fall der Provinzialstände und des Verhältnisses der lokalen Herrschaftsträger zur staatlichen Verwaltung. Beispielhaft soll hier nur der Beitrag von Bärbel Holtz über die Berliner Personalpolitik bei der Besetzung der Posten der Ober- und Regierungspräsidenten in den ersten Jahrzehnten der Provinz bis 1858 genannt werden, der mit 46 Seiten zugleich der umfangreichste des Bandes ist. Aber dieser Umfang ist in jeder Hinsicht gerechtfertigt, denn hier wird v. a. auf der Grundlage der Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz eine überaus quellengesättigte Studie geliefert, die den bisherigen Kenntnisstand erheblich erweitert. Bedauerlich ist eigentlich nur, dass dieser Beitrag kurz zuvor bereits im Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands abgedruckt wurde, denn der Sinn solcher fast parallelen Doppelveröffentlichungen erschließen sich dem Rezensenten nicht. Andererseits passt sich dieser Beitrag hervorragend in das Spektrum des vorliegenden Bandes ein.
Im zweiten Teil des Bandes kommen mehrere Themen zur Sprache. Zwei Beiträge befassen sich mit der Schulpolitik in Pommern und Preußen (Renate Hinz, Dirk Mellies), zwei weitere mit dem Eisenbahnbau (James M. Brophy, Andreas Geißler), einer mit der Frage nach dem Ja oder Nein und Warum der Industrialisierung in Preußen (Hubert Kiesewetter) und schließlich der letzte Beitrag von Nils Freytag mit den Chancen und Möglichkeiten kulturgeschichtlicher Zugänge für die Erforschung der "Modernisierung". Alle Beiträge bewegen sich auf einem hohen Niveau.
Hervorzuheben ist auch, dass, anders als sonst häufig bei landesgeschichtlich orientierten Tagungen bzw. daraus hervor gegangenen Publikationen zu beobachten, die Entwicklung in der Provinz in die gesamtstaatlichen, sprich preußischen Zusammenhänge eingebunden wird. Einige Beiträge, wie die von Hermann Beck zur konservativen Politik und Modernisierung in Preußen, von Patrick Wagner zu lokaler Herrschaft und Partizipation in Ostelbien, von Renate Hinz zum preußischen Elementarschulwesen sowie von Hubert Kiesewetter zur Industrialisierung und James M. Brophy zum Eisenbahnbau haben von vornherein einen größeren Rahmen, zumeist den preußischen Gesamtstaat, im Blick. Andere Beiträge, wie die von Kurt Düwell zu den Provinzialständen in der Rheinprovinz oder von Edward Włodarczyck zur kommunalen Selbstverwaltung in Danzig und Stettin bringen zudem Beispiele aus anderen Regionen Preußens.
Seinem Charakter als Auftaktveranstaltung zu dem eingangs genannten Forschungsprojekt ist das dem Band zugrunde liegende Symposium auf jeden Fall gerecht geworden. Auf die in mehreren Beiträgen als Referenz genannten Qualifizierungsarbeiten der Autoren, die zur Zeit der Drucklegung entweder gerade im Erscheinen begriffen waren oder kurz davor standen, darf man gespannt sein. Und dem Fortgang des Forschungsprojektes kann man nur Erfolg wünschen, damit in absehbarer Zeit weitere solche gehaltvollen Bände zu diesem zumindest in der pommerschen Landesgeschichtsforschung bislang arg vernachlässigten Zeitabschnitt vorgelegt werden können.
Dirk Schleinert