Rezension über:

Vincenzo Fiocchi Nicolai / Jean Guyon (a cura di): Origine delle catacombe romane. Atti della giornata tematica dei Seminari di Archeologia Cristiana (Roma - 21 marzo 2005) (= Sussidi allo Studio delle Antichità Cristiane; XVIII), Città del Vaticano: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana 2006, 268 S., ISBN 978-88-85991-43-9, USD 55,00
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Rezension von:
Anke Reiß
Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Anke Reiß: Rezension von: Vincenzo Fiocchi Nicolai / Jean Guyon (a cura di): Origine delle catacombe romane. Atti della giornata tematica dei Seminari di Archeologia Cristiana (Roma - 21 marzo 2005), Città del Vaticano: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 1 [15.01.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/01/13270.html


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Vincenzo Fiocchi Nicolai / Jean Guyon (a cura di): Origine delle catacombe romane

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Der vorliegende Aufsatzband einer Tagung des christlich-archäologischen Seminars des Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana vom 21. März 2005 in Rom beschäftigt sich mit den Ursprüngen der römischen Katakomben. Die Tagung fand unter der Leitung von Vincenzo Fiocchi Nicolai und Jean Guyon statt, führenden Wissenschaftlern der Christlichen Archäologie. Die Fragestellung wird von beiden auf Kollektivphänomene der unterirdischen Begräbnisstätten im 3. Jahrhundert nach Christus fokussiert, wobei sie aber nicht die Beschäftigung mit einigen individuell durch Malerei oder großzügige Architektur herausgehobenen Katakombensektoren ausschließen (14).

Die Beiträge gliedern sich in zwei Sektionen. Ein erster Teil (15-119) beleuchtet soziale, kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe, der zweite Teil (121-256) befasst sich konkret mit der Entstehung von Teilbereichen einiger weniger römischer Katakomben.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die soziale und wirtschaftliche Struktur der christlichen Gemeinde des 2. und 3. Jahrhunderts in Rom, die Mario Mazza im Aufsatz "Struttura sociale e organizzazione economica della communità cristiana di Roma tra II e III secolo" (15-28) auf Basis der Quellen beleuchtet. Daraus folgt, dass in Rom im Jahre 251 aufgrund eines Briefes von Papst Cornelius, überliefert von Euseb, eine Christengemeinde aus kirchlichen Würdenträgern, 1500 Witwen und Armen sowie geschätzt 10.000 bis 30.000 Gläubigen existierte (25). Manlio Simonetti weist in seinem Beitrag "Roma cristiana tra vescovi e presbiteri" darauf hin, dass Rom nicht das einzige Zentrum der Christenheit war, sondern sich für Antiochia schon um 120 - 50 Jahre vor Rom - ein monarchisches Episkopat nachweisen lässt (32). Der Wandel von einer losen Gemeinde zu einer hierarchischen, festen Gemeindestruktur unter Callist am Beginn des 3. Jahrhunderts in Rom ist für ihn die Voraussetzung für die Entstehung großflächiger Coemeterien.

Diese Begräbnisse sieht Eric Rebillard in "Chrétiens et formes de sépulture collective à Rome" (41-47) ausschließlich unter Christen verbreitet und nimmt für die großen Katakomben christliche, abgeschlossene Sektoren an, die nicht kirchlich, sondern meist über Begräbnisvereine verwaltet wurden. Trotz dieser gemeinschaftlichen Organisation der Begräbnisse zeigt Henner von Hesberg in "Modi di autorappresentazione nell'ambito di ipogei e catacombe" eine Entwicklung von herausragenden oberirdischen Familiengräbern hin zu kleinen, aber deutlich repräsentativen, unterirdischen Begräbnisplätzen auf, die auf diese Weise weniger vom Aufstieg und Fall einer Sippe abhängig sind und eine längere Kultkontinuität versprechen.

Fabrizio Biscontis "Prime decorazioni nelle catacombe romane" (65-89) legt die Unterschiedlichkeit in Art und Stil der Dekorationen mit Bildbeispielen aus verschiedenen Katakomben Roms dar, die in den Anfängen nicht ausschließlich, wie allgemein angenommen, dem rot-grünen Linienstil angehören. Dies ist eine Erkenntnis, die in der Forschung - unter anderem von Norbert Zimmermann - seit geraumer Zeit die bisher geläufige, rein stilistische Datierungsmethode in Frage stellt.

Im Beitrag "Preistoria dell'epigrafia dei cristiani. Un mito storiografico ex maiorum auctoritate?" (91-119) illustriert Carlo Carletti die Bedeutung der epigraphischen Untersuchung von Zeugnissen aus den römischen Katakomben als grundlegendes Instrument der Quellenanalyse des 2. und 3. Jahrhunderts. Diese Inschriften bezeugen ebenfalls einen Übergang von einer losen christlichen Gemeinschaft unterschiedlicher Ausprägungen zu einer normativen, ideologisch gefestigten Gemeinde in vorkonstantinischer Zeit.

Der zweite Teil des Buches wird eingeleitet von Fiocchi Nicolai und Guyon (121-161). Mit einer genauen Analyse einer Abhandlung von Paul Styger aus dem Jahre 1926 zur Entwicklung und Datierung der Area I der Callistkatakombe in Rom können sie Rückschlüsse für die Frage der Entstehung der römischen Katakomben ziehen. Für die Callistkatakombe, einen Prototyp der christlichen Katakomben Roms, erklären sie die zahlreichen Bestattungen der Gläubigen mit der Grablege ad sanctos in der Nähe eines heiligen Ortes oder einer verehrten Person. Dabei greifen sie nicht nur auf Styger und andere Katakombenforscher zurück, sondern beziehen Quellenangaben aus dem Liber Pontificalis, Malstil und architektonische Entwicklung der Katakombe ein, die mit übersichtlichen und präzisen Schnitten und Plänen dokumentiert ist. Die Ergebnisse entsprechen dem heutigen Forschungsstand, der für die Zeit um 230 eine freie Wahl des Begräbnisplatzes der über 1000 Gläubigen propagiert. Die spezifische Entstehungsgeschichte einzelner Katakomben stellen auch Raffaella Giuliani (163-175) für die Priscillakatakombe, Philippe Pergola (177-184) für die Domitillakatakombe, Lucrezia Spera (185-214) für die Praetextatkatakombe, Anita Rocco (215-236) für die Novaziankatakombe und Antongiulio Granellie (237-256) für die Calepodiuskatakombe dar. Diese Untersuchungen zeichnen den Ausbau der Katakomben wissenschaftlich nach und bestätigen ebenfalls den enormen Zuwachs an Begräbnissen vor sowie um 300.

Die Vortragsreihe der Tagung bietet ein abgerundetes Bild der christlichen Begräbnisstätten Roms um das Jahr 300 vor der Folie der Formierung einer hierarchischen Gemeindestruktur. Die vorangestellten allgemeinen, kulturellen und epigraphischen Forschungen bilden den Rahmen für spezielle, detaillierte Ergebnisse aus einzelnen Katakomben. Mit Plänen visuell aufbereitet können diese Ergebnisse auch isoliert für weitere Forschungen dienen.

Der Band belegt anschaulich, dass die häufige Behauptung, die Forschung zu den Katakomben in Rom sei bereits abgeschlossen, noch anhand vieler neuer Untersuchungen und aufgeworfener Problematiken zu entkräften ist, beispielsweise mit genauen Analysen des Mauerwerks und präzisen Stratigraphien, wie sie dieser Aufsatzband für einzelne Katakomben exemplarisch präsentiert. Dabei bildet die Analyse der Katakombenmalerei nur ein Detail der Forschung. Mit der Zusammenführung von partiellen Ergebnissen, auch von Autoren aus der Frühzeit der Forschung, kulturellen und historischen Aspekten kann der gegenwärtige Forschungsstand präzisiert und neu bewertet werden. Der Band widmet sich zentralen Forschungsfragen und beleuchtet soziale Strukturen der frühen Christen, kirchliche Hierarchien, Begräbniskult, sowie Aufbau, Dekoration, und Alter einiger römischer Katakomben des 2. und 3. Jahrhunderts. Die Fokussierung der Katakombenforschung auf rein christliche Aspekte, wie sie hier geboten wird, kann jedoch zu Einschränkungen führen, die eine Einbettung des Phänomens Katakombe in einen geweiteten spätantiken Kontext verhindern, worauf auch Philippe Pergola in der abschließenden Diskussion hinweist (257ff.). Endgültig kann die Frage nach der Entstehung der Katakomben also nicht als gelöst angesehen werden. Der Aufsatzband ist jedoch hilfreich als Standortbestimmung für den momentanen Forschungsstand der Christlichen Archäologie im Bereich der römischen Katakomben, indem er auf Kernfragen des Fachs verweist: die Formierung der Gemeinde in Rom im 3. Jahrhundert nach Christus, die Verwendung von christlicher Kunst und die Wichtigkeit des Begräbnisses in Kontext des Glaubens.

Anke Reiß