Rezension über:

Suzanne Dixon: Cornelia. Mother of the Gracchi (= Women of the Ancient World), London / New York: Routledge 2007, xv + 95 S., ISBN 978-0-415-33147-0, GBP 65,00
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Rezension von:
Ann-Cathrin Harders
Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg. / Fachgruppe Geschichte, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Konstanz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Ann-Cathrin Harders: Rezension von: Suzanne Dixon: Cornelia. Mother of the Gracchi, London / New York: Routledge 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/02/10125.html


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Suzanne Dixon: Cornelia

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Nach Olympias, Iulia Domna und Iulia, der Tochter des Augustus, wird nun Cornelia, die Mutter der Gracchen, in einer eigenen Biographie in der Reihe 'Women of the Ancient World' (herausgegeben von R. Ancona und S. B. Pomeroy) behandelt. Die Autorin, Suzanne Dixon, formuliert im Vorwort ungewohnt deutlich ihr Unbehagen, eine Biographie über Cornelia zu verfassen. Sie nennt Cornelia eine 'iconic mummy' (xii) und zweifelt, ob Historiker überhaupt jenseits der vielen, legendären Schichten der Gracchenmutter und Africanus-Tochter zu einem historischen Kern stoßen könnten. Sie entwirft daher eine 'anti-Biographie', bei der es nicht um das "Wie es wirklich war" gehen soll, sondern um eine Analyse der Lebensumstände Cornelias und um die Transformationen, die die Figur Cornelia noch zu Lebzeiten und bis in die Gegenwart erfahren hat - Dixons Ansatz passt damit nur bedingt zum Ansatz der Reihe, in der weniger ein Frauenbild reflektiert als vielmehr ein historisches Frauenleben aufgeblättert werden soll, und ist gerade deshalb umso spannender.

Die greifbaren Fakten zu Cornelia - ungefähre Lebensdaten; Heirat; Kinder; Witwendasein - sind im ersten Kapitel (1-14) auf nur einer Seite schnell erzählt; Dixon unterteilt daher die von den antiken Autoren meist referierten Episoden von Cornelias Leben in die Kapitel einer 'Cornelia Soap Opera' (3); die Anekdoten um ihre Verlobung, die Schlangenerscheinung - die ihren Ehemann Gracchus dazu brachte, sich zu opfern, damit die exemplarische Gattin weiterleben durfte - sowie natürlich ihre Mutterschaft werden als 'ikonisch' präsentiert. Dixon fragt dabei, warum ausgerechnet Cornelia eine erfolgreiche und dauerhafte Projektionsfläche für familiäre Normen darstellen konnte. Sie nimmt eine 'conscious political construction' (8) nach den Vorbildern des Scipio Aemilianus und des Cato Censorius an, die im 2. Jahrhundert erfolgreich ihre politischen personae propagierten und funktionalisierten. Im Fall Cornelias wird Gaius Gracchus als Initiator einer Cornelia-Konstruktion ausgemacht - die Mutter stellt in den politischen Reden des Sohnes einen steten Referenzpunkt dar -, die 'Gracchan legend' sei nach Gaius' Tod von Cornelia selbst und vor allem von ihrer Tochter Sempronia gepflegt worden, die als Trägerin familiärer memoria neben dem Bild der Brüder auch das der Mutter pflegte (12-14).

Im zweiten Kapitel (15-32) beleuchtet Dixon den familiären Hintergrund Cornelias sowie das Verhältnis ihres Adoptivneffen und Schwiegersohnes Aemilianus zu den Gracchen; sie fragt weiterhin nach den politischen Aktivitäten Cornelias und verortet diese in den Möglichkeiten einer römischen Frau, hinter den Kulissen Anhänger zu mobilisieren. Das Bild der gebildeten Mutter, die recht unspezifisch die Charakterformung der Söhne überwacht, entschlüsselt Dixon dahingehend, dass eine extrem ehrgeizige, hocharistokratische Römerin ihre Söhne durch eine ambitionierte und modern-griechische Erziehung auf eine politische Karriere vorbereitet habe. Die Brieffragmente, die Cornelia gemeinhin zugeschrieben werden und mit denen eine anti-gracchische Haltung der Mutter bewiesen werden soll, wertet Dixon dagegen als nachträgliche Invention der politischen Gegenseite, die die politisch ehrgeizige Cornelia in eine Volumnia-Figur umdeutete, die sich gegen die eigenen Söhne gestellt habe.

Cornelias Bildung wie ihren Reichtum sowie die damit verbundenen Möglichkeiten schreibt Dixon einer neuen und kulturell revolutionären Phase der römischen Geschichte nach der Eroberung Griechenlands und der damit einhergehenden 'Hellenomania' in Rom zu. Im dritten Kapitel, 'Cultural Wars' (33-48), entwirft Dixon das Bild einer Gesellschaft im Umbruch, zwischen den Polen demonstrativen Reichtums erworben im griechischen Osten und ostentativer Einfachheit und Romanitas; als Vorreiter der ersten Gruppe zählt sie Cornelias Eltern Scipio und Aemilia. Cornelias selbst sowie ihr problematischer Schwiegersohn Aemilianus schlossen sich diesem Trend an und gewannen über extensive Großzügigkeit und Bildung persönliches Renommee im aristokratischen Konkurrenzkampf. Cornelias Rückzugsort in Misenum ist dabei weniger als beschaulicher Witwensitz zu sehen, sondern als innovatives Beispiel der neuen Villenkultur.

Wie wandelte sich Cornelia nun von der aggressiven kulturellen Trendsetterin in eine römische Ikone altvorderer Weiblichkeit? Dixon sieht die historische Cornelia als weitaus kantiger und kontroverser an als das abgeflachte exemplum: Cornelia wird zur mater piisima, die die Erziehung der Söhne überwacht, der politische Ehrgeiz der Mutter wird dabei aber fast völlig ausgeblendet. Ebenso verschwinde hinter der mater dolorosa die philosophisch gebildete Römerin, die stoischen Prinzipien anhängt und erst so das persönliche Leid erträgt, brillante Söhne verloren zu haben. Ein Höhepunkt der Umdeutung sieht Dixon unter Augustus, der die einst hochpolitische Statue der Cornelia, ein populares Monument für die Gracchen aufgestellt in der Porticus des politischen Gegners Metellus, in der umbenannten Porticus Octaviae aufstellt und als Parallele zu seiner duldenden Schwester Octavia setzt; Cornelia sei nun endgültig domestiziert worden und würde als Symbol für "feminity, motherhood, and - via her father - Roman supremacy" (58) Werte der res publica restituta propagieren.

Cornelias Nachleben bewegt sich in eben diesen Bahnen und wird im letzten Kapitel (60-64) kurz referiert. Dixon schließt zynisch, dass mit Augustus die ehrgeizige Römerin, die schon zu Lebzeiten "a public construct" war, nun vollends in "a user-friendly McCornelia suitable for use in any Roman classroom" (60) kastriert wurde, die in dieser Form Wertschätzung durch die christliche Theologie wie auch vor allem die Künstler seit dem 18. Jahrhundert erfahren habe.

Die Studie schließt mit Endnoten, einer Bibliographie sowie einem Quellenregister und Index. Benutzerfreundlich vorangestellt sind ein Stammbaum mit Erläuterung sowie eine Karte des Kaps von Misenum.

Dixon hat eine äußerst lesenwerte Studie in prägnantem und kurzweiligen Duktus vorgelegt, in der immer wieder auf die Problematik, eine historische Figur - sei sie nun männlich oder weiblich - in ihrem Kern fassen zu können, hingewiesen wird [1]. Dixons 'Anti-Biographie' ist eine gekonnte Annäherung an die unterschiedlichen Corneliae als Tochter des Africanus, Ehefrau des Gracchus, Witwe und natürlich die Mutter der Gracchen, die den sozialen und politischen Aktionsraum einer römischen Aristokratin im 2. Jahrhundert v. Chr. allgemein und die besonderen Möglichkeiten einer Frau in diesem speziellen familiären Netzwerk ausleuchtet, ohne für sich in Anspruch nehmen zu wollen, die eine 'echte' Cornelia greifen zu könne. Wie Dixon selbst in ihrem 2001 erschienenen Buch 'Reading Roman Women' deutlich gemacht hat, ist es nicht möglich, Individuen aus den überlieferten Quellen heraus zu destillieren, sondern in erster Linie die Ideen und die Bilder von ihnen, die in den antiken Texten konstruiert werden. Diesen Ansatz hat sie ihrer Studie zu Cornelia beispielhaft verdeutlicht und damit auch den alten Ansatz der Frauenforschung, Frauen eine individuelle Stimme geben und 'herstory' schreiben zu können, zumindest im Bereich der Alten Geschichte zu Recht in Frage gestellt.


Anmerkung:

[1] Ärgerlich sind die Verwechslung des Adoptivvaters des Aemilianus, der im Stemma (xxiii) mit Publius Scipio und in den Erläuterungen irrig mit Lucius Scipio (xxvii) wiedergegeben wird, sowie der Tippfehler in der Webadresse für das Cornelia-Fenster der Harvard Memorial Hall (77 Anm. 8).

Ann-Cathrin Harders