H. A. Shapiro (ed.): The Cambridge Companion to Archaic Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xiii + 303 S., 3 maps, 42 fig., ISBN 978-0-521-52929-7, GBP 16,99
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Die archaische Zeit Griechenlands hat seit mehreren Jahren zunehmend großes Interesse in der altertumswissenschaftlichen Forschung gefunden. Hierzu haben der "neue Streit um Troia" und die Bemühungen um eine historische Einordnung der in den homerischen Epen vorliegenden Aussagen der Dichter über die von ihnen geschilderte Lebenswelt erheblich beigetragen. Bemerkenswert sind in diesem Kontext auch die jetzt von Raoul Schrott geäußerten Vermutungen über eine Lokalisierung "der Stadt des Priamos" im Südosten Kleinasiens und über eine gleichsam neue Identität Homers, den Schrott als assyrischen Hofschreiber klassifizieren möchte. [1]
Die angedeutete Thematik betrifft im weiteren Sinne das Problem der Kontaktzonen zwischen den sich formierenden griechischen Gemeinwesen im späten 8. und frühen 7. Jahrhundert und dem Vorderen Orient, so dass sich die Frage stellt, ob und inwieweit altorientalische Hochkulturen Einfluss auf die Entstehung von politischen Institutionen im archaischen Hellas genommen haben. Es handelte sich zweifellos um einen langen Transformationsprozess, der bereits nach dem Ende der mykenischen Palastsysteme allmählich begann und zu einer grundlegenden Veränderung der Lebensverhältnisse führte, indem in vorstaatlichen Gesellschaften der Griechen mehr und mehr eine institutionell geregelte Gemeinschaftsordnung entstand.
Diese Entwicklung wird im vorliegenden Sammelband nach einer allgemeinen Einführung des Herausgebers zunächst in vier Kapiteln von Victor Parker ("Tyrants and Lawgivers"), Jonathan Hall ("Polis, Community, and Ethnic Identity"), Peter Krentz ("Warfare and Hoplites") und Deborah Kamen ("The Life Cycle in Archaic Greece") skizziert. Befremdlich ist, dass Parker den Tyrannen neben den Gesetzgebern einen beachtlichen Stellenwert im Verlauf der Polisbildung beimessen möchte. Während der Rechtspflege "Schrittmacherdienste" für die spätere Konzeption der Teilhabe der Polisbürger an der politischen Meinungsfindung zugeordnet werden können, ist es schwerlich zutreffend, beispielsweise die Tyrannis des Peisistratos als notwendige Vorstufe der athenischen Demokratie zu werten. Seine Herrschaft blieb ein monarchisches Element, das in die Politeia der Athener nicht integriert werden konnte, während Gesetze in archaischen Poleis Institutionen voraussetzen, die sich ansatzweise bereits herausgebildet hatten, bevor Einflüsse aus dem Bereich phoinikischer Gemeinwesen vermutlich die Konsolidierung früher Organe des öffentlichen Lebens begünstigten.
Dass im Kontext dieser Entwicklung neben den Poleis auch Vereinigungen in einem größeren landschaftlichen Rahmen eine wichtige Rolle spielten, betont mit Recht Jonathan Hall.
Vor einer Überschätzung der politischen Auswirkungen der Entwicklung der Phalanxtaktik warnt Peter Krentz, der annimmt, dass die Hopliten nicht in ihrer Rolle als Kombattanten einen Wandel herbeigeführt haben. Bereits in der Ilias seien Kämpfe großer Kriegerscharen beschrieben. Die Dichter stellen indes nicht Phalangen als Angriffsformationen dar. Sie deuten vielmehr an, dass Kombattanten in kritischen Situationen eine effektive Verteidigungsstellung bilden konnten.
In der Beschreibung des Alltagslebens lässt Deborah Kamen die erforderliche Kritik an einer aus heutiger Sicht schwer verständlichen Nachricht vermissen. Sie übernimmt Angaben Plutarchs (Lykourgos 16,1-2) über die Aussetzung von vermeintlich schwächlichen neugeborenen Spartiatensöhnen. Wahrscheinlich sollte aber eine "offizielle" Prüfung der Neugeborenen verhindern, dass Väter gegebenenfalls kräftige Säuglinge aussetzten. [2]
Im zweiten Teil des Buches erörtern Jonathan L. Ready ("Homer, Hesiod, and Epic Tradition"), Leslie V. Kurke ("Archaic Greek Poetry") und Andrea Wilson Nightingale ("The Philosophers in Archaic Greek Culture") das Menschenbild der Hellenen in seinen mannigfachen Aspekten in der archaischen Dichtung, Kunst, Religion und Philosophie. Von besonderem Interesse sind hier die frühen Philosophen, die neue Möglichkeiten der Deutung der Natur erschlossen, indem sie die Frage stellten, wodurch Seiendes überhaupt existiert sowie Bestand haben und insofern in seiner Art (physis) erkannt werden kann.
Nach einem informativen Überblick über griechische Koloniegründungen zwischen 900 und 480 v. Chr. von Carla M. Antonaccio und nach einer Würdigung der Bedeutung der panhellenischen Heiligtümer in Delphi und Olympia von Richard T. Neer bietet Jeffrey M. Hurwit einen zusätzlichen abschließenden Beitrag zur griechischen Kunst in archaischer Zeit, in der neben der Rezeption von Elementen künstlerischer Gestaltung aus dem Vorderen Orient ein eindrucksvolles Streben nach neuen normativen Leitbildern erkennbar wird, so dass ähnlich wie in der Dichtung der Hellenen eine Vielfalt menschlicher Schöpferkraft zum Ausdruck kommt.
Selbstverständlich konnten in diesem relativ schmalen Band nicht alle Aspekte und Probleme, die für das Gemeinschaftsleben im archaischen Griechenland von Bedeutung waren, berücksichtigt werden. Man vermisst zum Beispiel eine Thematisierung der Anfänge der Münzprägung. Gleichwohl kann das Kompendium als gelungene Einführung in eine wichtige Formierungsphase des antiken Griechentums gelten.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Robert Rollinger: Wie orientalisch ist Homer?, in: "Die Welt" vom 29.1.2008, 27.
[2] Stefan Link: Zur Aussetzung neugeborener Kinder in Sparta, in: Tyche 13 (1998), 153-164.
Karl-Wilhelm Welwei