Laurence Cole / Daniel L. Unowsky (eds.): The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy (= Austrian and Habsburg Studies; Vol. 9), New York / Oxford: Berghahn Books 2007, 246 S., ISBN 978-1-84545-202-5, USD 90,00
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Dieser kurze aber gehaltvolle Sammelband untersucht die Anhänglichkeit und Loyalität einzelner Volksgruppen gegenüber der Habsburgermonarchie für die zweite Hälfe des 19. Jahrhunderts. Wie die Herausgeber in der Einleitung formulieren, sollen nicht die nationalen Identitäten und Bewegungen in ihrer Bedeutung für den Zerfall der Monarchie diskutiert werden. Statt der zentrifugalen Kräfte, die zum Zerfall der Habsburgermonarchie beigetragen haben, geht es den Autoren in erster Linie um die loyalen Kräfte und imperialen Vorstellungen innerhalb des Machtbereiches Kaiser Franz Josephs, die ein Überleben der Monarchie bis 1918 möglich machten.
Methodisch orientieren sich die Autoren an der neueren Nationalismusforschung, die eine Gleichzeitigkeit verschiedener Identitäten postuliert. Konkret schreiben Cole und Unowsky von "parallele[n] Realitäten"(2), in denen sowohl Sprache und Ethnie auf der einen als auch Loyalität und positive Akzeptanz gegenüber einem supranationalen Habsburg-Patriotismus auf der anderen Seite Identitäten hergestellt und ausgebildet hätten. Gleichzeitig werden neue Tendenzen in der Monarchieforschung aufgegriffen. Statt politischer Partizipation und Entscheidungsfindung geht es in den Beiträgen fast ausschließlich um repräsentative, kulturgeschichtlich zu fassende Aspekte der Herrschaft Franz Josephs.
Der Band gliedert sich in eine Einleitung, neun Beiträge sowie ein Nachwort des Oxforder Regius Professors und Habsburg-Spezialisten R.H.W. Evans. Die von den Herausgebern im Vorwort vorgeschlagene Einteilung der Essays in drei thematische Bereiche, "Institutionelle Mechanismen", "Die Dynastie" und "Invention of Tradition", erscheint als eine Hilfslösung und nur bedingt überzeugend. Vielmehr weist bereits die politische Karte der Habsburgermonarchie, die am Anfang des Bandes abgedruckt ist, auf ein wichtiges Gliederungsmerkmal hin. Die Mehrzahl der Autoren untersucht jeweils eine Volksgruppe im Vielvölkerstaat. So finden sich Beiträge mit Schwerpunkten auf dem Trentino, Tschechien, Galizien, Ungarn und Kroatien. Auch wenn keine Vollständigkeit angestrebt, nicht alle nationalen Gruppen diskutiert werden, entsteht ein anschauliches Bild der Komplexität der Gesellschaft innerhalb der Monarchie. Noch wesentlicher sind die Bezüge, die so zwischen den einzelnen Kapiteln hergestellt werden können. Denn bei der Lektüre wird deutlich, dass von der Institution Monarchie gesteuerte Maßnahmen in den verschiednen Regionen zu unterschiedlichen Reaktionen führten. Die Vorliebe Kaiserin Elisabeths für Ungarn und die dadurch forcierten politischen Maßnahmen verhinderten beispielsweise eine positivere Identifikation der Tschechen mit der Habsburgerdynastie (89). Dieser geographische Aspekt stellt eine Klammer dar, der die Mehrzahl der Essays verbindet und so den bei Sammelbänden oft kritisierten Eindruck von Beliebigkeit in der Zusammenstellung verhindert.
Inhaltlich befassen sich die Autoren mit grundsätzlich verschiedenen Themen. Ernst Brückmüller untersucht Schulbücher aus Grundschulen und Gymnasien und weist nach, dass nationale Narrative zwar nicht gänzlich verschwiegen, aber in eine imperiale Tradition eingefasst und vereinfacht wurden. In einem der besten Kapitel untersucht Laurence Cole die Veteranenvereine im Habsburgerreich anhand einer Fallstudie mehrerer Südtiroler Städte. Der deutliche Anstieg in der Zahl der Vereine führte um 1900 zu einer Polarisierung der lokalen Gesellschaften, in denen liberal-nationale Eliten vor Ort nicht grundsätzlich die Oberhand behielten. Nancy M. Wingfield diskutiert die Geschichtspolitik, die im Rahmen der Gedenktage für Joseph II. betrieben wurde. Anhand des Jubiläums zur einhundertsten Wiederkehr der Alleinherrschaft Josephs im November 1880 wird besonders deutlich, dass das Bild des vornationalen, absolutistischen und reformkatholischen Herrschers effektiv von deutschen, liberalen und antiklerikalen Strömungen in der Habsburgermonarchie eingesetzt wurde (81).
Hugh LeCaine Agnew konzentriert sich in seinem Beitrag auf die Besuche Franz Josephs in Prag. Die Auftritte des österreichischen Kaisers verloren besonders durch die nicht vorgenommene Krönung als König von Böhmen an Wirksamkeit. Gleichzeitig entwickelte sich die böhmische Krone von einem Zeichen habsburgischer Herrschaft zu einer einem Symbol tschechischer Identität. Daniel L. Unowskis Beitrag besticht durch seinen methodischen Umgang mit Festveranstaltungen. Geschickt wählt er drei in ihrem Inhalt und Bezug zur Monarchie sehr unterschiedliche Veranstaltungen aus dem Jahr 1880 aus, um die Reaktionen der Presse angemessen zu beurteilen. Dabei weist er nach, wie die konkurrierenden polnischen und ruthenischen Volksgruppen auf unterschiedliche Weise die imperialen und nationalen Narrative in Beziehung setzten. Der Beitrag von Alice Freifeld zur Kaiserin Elisabeth ist biographisch angelegt, beleuchtet die Bedeutung Ungarns für die Ehefrau Franz-Josephs, untersucht aber gleichzeitig die Rolle Elisabeths in der symbolischen, bzw. repräsentativen Politik der Habsburgermonarchie. Sarah A. Kent diskutiert studentische Protestbewegungen in Zagreb im Zusammenhang mit dem Besuch Franz Josephs 1895. Dabei schließt sie die sich verändernde soziale Zusammensetzung sowie die ökonomische Situation der Studenten mit ein. Ähnlich wie Freifelds Beitrag arbeitet auch Alon Rachamimov stark biographisch in seinem Kapitel zum jüdischen Verhältnis zur Habsburgermonarchie. Anhand der Schriften und Aufzeichnungen des jüdischen Literaten Avigdor Hameiri diskutiert er das Verhältnis von ungarischer und jüdischer Identität in der Person Hameiris, um die These jüdischer Loyalität gegenüber der österreichischen Monarchie zu problematisieren. Christiane Wolf vergleicht in ihrem Beitrag das Herrschaftsverständnis Franz Josephs mit den politischen und gesellschaftlichen Positionen der britischen Königin Victoria und dem deutschen Kaiser Wilhelm II. Sie orientiert sich dabei an der These David Cannadines von der Entpolitisierung der Monarchie und der Transformation monarchischer Herrschaft in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhundert. R.J.W. Evans schließlich weist in seinem kurzen Nachwort auf einen gewissermaßen selbstzerstörerischen Aspekt der Habsburgermonarchie hin, die bereits im Jahr 1806 auf die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und damit eine Führungsrolle in imperialer Tradition verzichtet hatte.
Die Autoren greifen von der Forschung für andere Staaten bereits durchexerzierte Untersuchungen auf und wenden diese auf die Habsburgermonarchie an. In diesem Sinne methodisch zwar nicht innovativ beruhen alle Beiträge auf einer soliden empirischen Basis. Die im Titel angeführten Grenzen der Loyalität weisen darauf hin, dass auch bei den Autoren selbst gewisse Vorbehalte gegenüber der historischen Bedeutung der Anhänglichkeit an die Habsburgermonarchie nicht ganz ausgeräumt zu sein scheinen. Eine Quantifizierung oder Diskussion der Relevanz loyaler Strömungen und Identitäten wird sich stets mit dem letztendlichen auf wenig Protest stoßenden Zerfall der Habsburgmonarchie am Ende des Ersten Weltkrieges auseinandersetzen müssen. Das Paradigma der steigenden nationalen Begeisterung als Ablehnung imperialer Ideen problematisiert und hinterfragt zu haben, ist dennoch ein wichtiges Ergebnis dieses Sammelbandes, der in Konzeption und empirischer Grundlage ein schönes Beispiel für die neue Kulturgeschichte des Politischen darstellt.
Torsten Riotte