Rezension über:

Jörg Diefenbacher: Anton Mirou (1578 - vor 1627): Ein Antwerpener Maler in Frankenthal, Landau: Pfälzische Verlagsanstalt 2007, 170 S., über 170 Abb., ISBN 978-3-87629-951-8, EUR 148,00
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Rezension von:
Stefan Bartilla
Nationalgalerie Prag
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Bartilla: Rezension von: Jörg Diefenbacher: Anton Mirou (1578 - vor 1627): Ein Antwerpener Maler in Frankenthal, Landau: Pfälzische Verlagsanstalt 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 4 [15.04.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/04/14357.html


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Jörg Diefenbacher: Anton Mirou (1578 - vor 1627): Ein Antwerpener Maler in Frankenthal

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Nachdem Jörg Diefenbacher mit der Studie "Die Schwalbacher Reise, gezeichnet von Anton Mirou, in Kupfer gestochen von Matthäus Merian d.Ä, 1620, Mannheim, 2002" das zeichnerische Werk dieses Künstlers vorgestellt hatte, legt er nun die erste Monografie zum malerischen Werk dieses in Frankenthal wirkenden flämischen Meisters vor. Anton, beziehungsweise Antoni Mirou (1578 - vor 1627) zählt zwar nicht zu den Großen der Kunstgeschichte, ist aber ein charakteristischer Vertreter der niederländischen Landschaftsmalerei um 1600, die sich, bedingt durch Emigration und Künstlerwanderungen, damals in zahlreichen Zentren Europas verbreitete. Der erste Teil der Arbeit behandelt Leben und Werk unter thematischen Gesichtspunkten, den zweiten Teil bildet der Katalog der Werke.

Diefenbach schildert mit lokalgeschichtlichen und landeskundlichen Kenntnissen lebendig und detailliert Mirous Leben und seine künstlerische Entwicklung im sozialen Kontext der niederländischen Kolonie in Frankenthal, das durch die calvinistischen Einwanderer aus den Niederlanden zu einem blühenden Wirtschaftszentrum wurde. Zur Sprache kommt seine Zusammenarbeit bei der Druckgrafik mit Hendrick van der Borcht d.Ä., Theodor de Bry und Matthäus Merian d.Ä. Der Kundenkreis von Mirou lebte wahrscheinlich vor allem in Frankfurt am Main, wo seine Werke im 18. Jahrhundert auf Auktionen häufig nachweisbar sind. Einige Gemälde lassen sich auch schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts in fürstlichem Besitz finden. Möglicherweise erwarb schon 1599 Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz ein Gemälde von Mirou (20).

Unerklärlich waren bisher die angeblichen Spätdatierungen dreier Gemälde (Kat. Nr. 2 in Berlin "1653", Kat. Nr. 22 in Parma "1661", Kat. Nr. 24 in Saarbrücken "1641"). Mit Hilfe von Museumsrestauratoren konnte Diefenbacher dieses Problem lösen. Es ergab sich, dass das Datum des Gemäldes in Berlin aufgrund von Veränderungen unleserlich ist, und die Bilder in Parma und in Saarbrücken tatsächlich 1601 datiert sind.

Mirou wird treffend als "zögerlich im Umgang mit Veränderungen, manchmal fast ein wenig altmodisch" (44) gekennzeichnet. Seine stilistische Entwicklung bindet sich immer wieder an seine kompositorischen Ausgangspunkte der Zeit um 1600 zurück. Doch bei der Einordnung Mirous in das künstlerische Umfeld belässt es Diefenbacher bei der Nennung von Namen. Ein Schlaglicht auf die Situation um 1600 unterbleibt. Konkrete Vergleiche mit Werken anderer Künstler hätten sicher präzisere Ergebnisse gebracht. Das Verhältnis zu Gillis van Coninxloo, dem mutmaßlichen Lehrer Mirous, der sich von 1587 bis 1595 in Frankenthal aufhielt, wird zurückhaltend beurteilt. Stilistisch sei aus den Werken beider Künstler kein Lehrverhältnis abzuleiten. Als Vorbild bezeichnet Diefenbacher vor allem Pieter Schoubroeck, der in Rom ca. 1595 bis 1598 (19) mit dem Werk Paul Brils und Jan Brueghel d.Ä. bekannt geworden war. Diese beiden letzteren Künstler scheinen meines Erachtens auch die wichtigsten Vorbilder für Mirou gewesen zu sein, ungeachtet wer nun tatsächlich der Lehrer von Mirou gewesen war. Denn es ist gerade deren manieristische Stilphase um 1595 bis 1598, die auch Mirous frühe Kompositionen prägen. Geradezu vorbildhaft erscheinen die frühen Reiterfigürchen Jan Brueghels d.Ä. Diefenbachers Feststellung einer engen Kongruenz zum Lehrgedicht von "Lehrmeister" (44) Karel van Mander leidet etwas unter der ungenauen Darstellung, wie man sich das Verhältnis von Kunsttheorie und Praxis vorzustellen habe. Schließlich hatte Anton Mirou seinen Stil schon gefunden, als 1604 van Manders Schilder-Boeck erschien.

Mit dem Katalog stellt Diefenbacher ein Kernœuvre des Künstlers zusammen, das als Referenz für künftige Zuschreibungen dienen soll und kann. Der Katalog mit 46 Nummern - fast alle in Farbe abgebildet - beschränkt sich auf durch "unzweifelhafte Signaturen" gesicherte Werke sowie einige in "Stil und Komposition, in Motivübernahmen und in der Qualität der Malerei" übereinstimmende Zuschreibungen (11). Ein bebilderter Anhang führt zum Vergleich die von ihm abgeschriebenen Werke in öffentlichen Sammlungen auf. Eine umfangreiche Liste verzeichnet alle ihm bekannt gewordenen Gemälde, die im Kunsthandel mit dem Namen Mirou verbunden wurden. Weil angeblich "fehlende oder unsichere Datierungen eine chronologische Ordnung nicht zuließen" (52, Anm. 1), wurden die Katalognummern "neutral" nach Sammlungen geordnet. Bei 26 mehr oder weniger deutlich datierten Gemälden von insgesamt 46 ist dies leider eine verschenkte Chance. Man hätte zumindest diese Gemälde chronologisch ordnen können, zumal Diefenbach immer wieder bei undatierten Werken stilistisch begründete Datierungsvorschläge machen kann. Die Gemälde werden einzeln ausführlich beschrieben und Beziehungen zu anderen Werken Mirous aufgezeigt. Wiederum unterbleiben aber fast völlig Vergleiche mit Werken anderer Künstler, auch wenn sich dieses geradezu anbietet. So zeigt z.B. die "Waldlandschaft mit Jägern" in Mannheim (Kat. Nr. 20) offensichtlich das gleiche Kompositionsmodell wie "Latona und die lykischen Bauern" von Jan Brueghel d.Ä. im Städel in Frankfurt am Main von 1601. Die manieristische Amazonenschlacht von Rubens und Jan Brueghel d.Ä. in der Bildergalerie von Sanssouci wurde als Analogie zu Schoubroecks und Mirous Versionen übersehen (22, Anm. 64, Kat. Nr. 18).

Die Interpretationen einzelner Werke folgen zumeist einer moralisierenden Lesung der Staffage im Kontext der Komposition, wobei einige interessante Emblemgedichte angeführt werden. Als Ausdruck einer christlich-ethischen Lebenseinstellung wertet Diefenbacher die ungewöhnlich häufigen Staffageszenen von Mildtätigkeit gegenüber Armen in Mirous Werken. Bisweilen neigt Diefenbacher aber zur Überinterpretation. So deutet er - einem Emblem Alciats folgend - Lastesel, die geschmückte Kästen tragen, als Darstellung der Geschichte vom einfältigen Esel, der ein Bildnis der Göttin Isis trug und glaubte, der Kniefall der Menschen gelte ihm und nicht der Göttin auf seinem Rücken (Kat. Nr. 22, Nr. 44). Bei Mirou fehlt aber das Schlüsselmotiv, nämlich der vor dem Esel kniende Gläubige. Auf einem Gemälde im Kurpfälzischen Museum Heidelberg (Kat. Nr. 13) sieht Diefenbacher Elisabeth, die ihrem Mann Zacharias mitteilt, dass sie ein Kind bekomme. Meines Erachtens handelt es sich um eine Zigeunerin, die einem Hirten aus der Hand liest. Die typische scheibenförmige Kopfbedeckung und der Mantel sind durch zeitgenössische Trachtenbücher als ikonografischer Bestandteil von Zigeunerkleidung belegt. [1]

Jörg Diefenbacher hat ein insgesamt überzeugendes Korpus von Gemälden Mirous zusammengestellt und sein Leben im historischen Kontext informativ und anschaulich dargestellt, aber vor einer tiefergehenden Analyse der kunsthistorischen Zusammenhänge über den lokalen Rahmen hinaus hat er leider haltgemacht. Bisweilen fehlt der Nachweis von Literatur: so die Kommentare Hessel Miedemas zu den Schriften Karel van Manders und bei immerhin drei Katalognummern (23, A 15 und A 16) aus der Nationalgalerie Prag der Bestandskatalog zur flämischen Malerei von Lubomír Slavíček von 2000. Aber trotz der Kritik gilt: Mit dieser Monografie ist eine Lücke geschlossen und das Werk von Anton Mirou der weiteren Forschung erschlossen worden.


Anmerkung:

[1] Siehe François Vaux de Foletier: Iconographie des "Égyptiens". Précisions sur le costume ancien des Tsiganes, in: Gazette des Beaux-Arts, Bd. LXVIII, 108 (1966), 165-172.

Stefan Bartilla