Peter Sarris: Economy and Society in the Age of Justinian, Cambridge: Cambridge University Press 2006, viii + 258 S., ISBN 978-0-521-86543-2, GBP 45,00
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Die Forschungen zur spätantiken Wirtschaft haben in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt, beflügelt durch den Fund neuer Quellen und durch einen gewissen Überdruss an kulturalistischen Deutungen. Dieser Tendenz folgend, schließt Sarris sich im Kern der modernisierenden Modellbildung J. Banajis an [1], modifiziert sie aber in vielen Einzelheiten und nicht zuletzt insofern, als er eine Schwächung des Staates durch die großen Landgüter sieht. Dies geht letztlich auf eine zweite Forschungstradition zurück, der Sarris sich verpflichtet fühlt, die sozial- und wirtschaftsgeschichtlich ausgerichtete Interpretation von Spätantike und Frühmittelalter, wie sie insbesondere durch Chris Wickham vertreten wird. Zu ihr bekennt Sarris sich emphatisch in der Einleitung.
Das Buch gliedert sich in elf Kapitel, die mit Detailarbeiten beginnen, aber immer weiter ausgreifen. Im Zentrum der Einzelforschung stehen bei Sarris Papyri und somit natürlich Ägypten. Die ersten fünf Kapitel sind dem Apionen-Archiv gewidmet, einer umfangreichen, aus ganz unterschiedlichen Kontexten stammenden Gruppe von Dokumenten, die die wirtschaftlichen Verhältnisse einer Familie dokumentieren, die während des sechsten Jahrhunderts zu den bedeutendsten der Region gehörte und auch in Konstantinopel Einfluss genoss.
Nach einem Einführungskapitel zu Ägypten und den Apionen erörtert Sarris in drei Kapiteln verschiedene Aspekte der Arbeit auf den Gütern der Apionen, wobei er methodisch zu Recht äußerst vorsichtig vorgeht und stets von den einzelnen Quellengruppen her, die er zunächst je für sich diskutiert, argumentiert.
Als erstes wendet er sich den Abrechnungen der pronoetai zu. Es erweist sich, dass der Besitz der Apionen in Gebiete aufgeteilt war, die sie direkt bewirtschafteten (autourgíai) und in solche, die verpachtet waren (epoíkia), hinzu kamen weit verstreute Besitzungen je eigener Form. Die Pächter der epoíkia scheinen wenig an das Land gebunden gewesen zu sein, sie hätten Lohnarbeitern mehr geähnelt als Leibeigenen. Die so charakterisierten bipartite estates werden zu einem zentralen Interpretament der Überlegungen von Sarris.
Mit der Behandlung von Arbeitsverträgen im nächsten Kapitel erfolgt eine Veränderung der Perspektive. Hier werden eine sehr differenzierte Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse und die Bedeutung von Lohnarbeit sichtbar, was Inhalt und Laufzeit der Verträge angeht, aber auch Formen der Bürgschaft. Unverkennbar ist die starke Kontrolle der Verhältnisse im Sinne des Eigentümers des Landes. Eine weitere Quellengattung bilden Briefe und Petitionen, die einen Einblick in das bittere Alltagsleben der Bauern vermitteln und zeigen, in welch hohem Maße die Apionen auch dann intervenierten, wenn sie sich in Konstantinopel aufhielten.
Nachdem schon auf S. 79 eine Skizze der Organisation bereitgestellt wurde, fasst Sarris die Ergebnisse noch einmal eingehender zusammen (insbes. S. 86-88); es zeigt sich die Stärke der Apionen, die auf Kosten der wirtschaftlich Schwächeren, aber auch auf die des Kaisers ging. Es werden auch Vergleiche mit anderen, weitaus schlechter bezeugten Besitztümern in Ägypten gezogen, die den Eindruck erwecken, dass sie sich insgesamt ähnlich gestalteten.
Das Kapitel 6 widmet sich der Geschichte des Dorfes Aphrodito, das seine autopragía, eine gewisse Unabhängigkeit bei der Steuereintreibung, leidenschaftlich verteidigte. Man sandte Gesandtschaften nach Konstantinopel, was nach dem Tode des Kaisers endete. Es gelang überdies sogar, Großgrundbesitzer gegeneinander auszuspielen, so dass hier die Handlungsspielräume der wirtschaftlich Schwächeren deutlich werden.
Der Blick weitet sich sodann: Das siebte Kapitel blickt auf andere Regionen des Reiches; doch lässt sich aufgrund der völlig unterschiedlichen Quellenlage wenig Genaues über die Verhältnisse dort sagen, so dass Sarris in diesem Kapitel auch weniger schlüssig argumentieren kann als zuvor. Sein Ergebnis, dass in weiten Teilen des Ostreiches ähnliche Strukturen wie in Ägypten geherrscht hätten, lässt sich aufgrund des disparaten Quellenmaterials nicht sichern. Es wäre allerdings von zentraler Bedeutung, weil Sarris aus dem ägyptischen Befund weitreichende Folgerungen zieht.
Überraschend folgt an dieser Stelle eine wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtete Passage, die sich vor allem mit Werken befasst, die auf die Gesetzgebung ausgerichtet sind. Hier bleibt manche Lücke, so fehlen etwa die Arbeiten J.U. Krauses [2] und A. Marcones [3], die für die Fragestellung durchaus einschlägig sind.
Weitaus überzeugender ist wieder das neunte Kapitel. Hier werden die Entwicklungen großer Landgüter und die Rolle ihrer Besitzer analysiert; die Dynamik geht in der Deutung von Sarris von den Privatleuten aus. Diese ziehen immer mehr öffentliche Funktionen an sich, in steuerlicher Hinsicht, aber auch in polizeilich-militärischer; der Staat stellt sich darauf ein, so dass die lokale Macht der Güter wächst; der Staat wurde, in der Terminologie von Sarris, 'semi-private'. Dem Aufstieg der großen Güter ist das zehnte Kapitel gewidmet, das die Ergebnisse der Studie in einen weiteren Rahmen rückt, indem er sie mit dem Elitenwandel der Spätantike in Verbindung bringt, vor allem mit dem Aufstieg der neuen service aristocracy, dessen Folgen für das Reich ambivalent gewesen seien. Diese habe Hof und Peripherie verbunden, die städtischen und die ländlichen Märkte besser integriert, aber politisch eine Schwächung des Zentrums bewirkt, da es den Besitzern großer Güter in einem immer stärkeren Maße gelungen sei, ihren Besitz der Besteuerung zu entziehen und den Bereich ihrer Patronage zu erweitern. Dadurch seien auf der anderen Seite die selbständigen ländlichen Gemeinden geschwächt worden. Indem Sarris diese Güter nicht als Einheiten deutet, die sich von der Gesellschaft abwandten, sondern als solche, die sich in das Wirtschaftssystem mit differenzierten Wirtschaftsformen und einem hohen Grad von Monetarisierung integrierten, setzt er sich markant vom traditionellen Bild ab.
Einen noch weiteren Kreis zieht das elfte Kapitel, das noch einmal den Buchtitel Economy and Society in the Age of Justinian aufnimmt. Es ist der Entwicklung der Aristokratie gewidmet, die Sarris eng mit ihren Möglichkeiten, über ökonomische Ressourcen zu verfügen, verbindet. Unter Anastasius habe die Selbständigkeit der Aristokratie zugenommen, doch sei die Schicht im sechsten Jahrhundert in eine Krise geraten, zumal Justinian sie bekämpft habe. Allerdings sei er mit seinen breit angelegten Versuchen, die grundbesitzende Aristokratie zu brechen, gescheitert. Unter Justin II. habe eine 'seigneurial reaction' eingesetzt.
Das Bild, das Sarris von der Wirtschaft des spätantiken Ägyptens zeichnet, ist nachgerade das Gegenbild zur Zwangsstaatsthese, die einst dominierte. Freie Arbeitskräfte verhandeln mit Großgrundbesitzern, die zunehmend ihre Interessen gegenüber dem Kaiser durchsetzen. Dies wird eindringlich dargestellt. Zudem ist das Buch auch wegen der Einzelinterpretationen zu bestimmten Passagen der Papyri von Bedeutung, die über das Register gut erschlossen werden. Bedauerlich für den Leser ist, dass auch Texte, die der Verfasser intensiv erörtert, nicht vollständig abgedruckt werden. Eine gewisse Zahl von Fehlern im Griechischen stören bei der Lektüre. Der Rezensent ist auch weniger optimistisch als der Autor, was die Verallgemeinerbarkeit des Befundes aus Ägypten angeht. Doch der Gewinn der Lektüre ist groß, weil sich hier der Blick für das Wesentliche mit der Bereitschaft, im Detail nachzubohren, verbindet.
Anmerkungen:
[1] J. Banaji: Agrarian Change in Late Antiquity. Gold, Labour, and Aristocratic Dominance, Oxford u.a. 2001.
[2] J. U. Krause: Spätantike Patronatsformen im Westen des Römischen Reiches (= Vestigia; 38), München 1987, insbes. 88-145.
[3] A. Marcone: Il colonato tardoantico nella storiografia moderna (= Biblioteca di Athenaeum; 7), Como 1988.
Hartmut Leppin