Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreichs. Aus dem Englischen von Klaus Kochmann, Stuttgart: Klett-Cotta 2007, 640 S., ISBN 978-3-608-94082-4, EUR 34,50
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Über den Untergang des Römischen Reiches haben schon ganze Generationen von Gelehrten gestritten und geschrieben. Wohl kaum aber ein Werk hat sich als derart fruchtbar für die neuere Forschung erwiesen wie die 2005 von dem englischen Historiker Peter Heather unter dem Titel "The Fall of the Roman Empire: A New History" publizierte Monographie. 2007 erschien das englische Standardwerk im Klett-Cotta Verlag nun erstmalig in deutscher Übersetzung.
Während sich die Forschung im angelsächsischen Raum lange Zeit um die Ergebnisse Edward Gibbons (1737-1794) herum positionierte, der die Gründe für den Untergang des Römischen Reiches vor allem in internen Faktoren, nämlich in seiner immensen Größe und im Aufstieg des Christentums sah, [1] bietet Heather abseits der von Gibbon geprägten Pfade eine neue Interpretation: Nicht die Ausbreitung des christlichen Glaubens im Inneren des Reiches, sondern vor allem die Außenbeziehungen zur germanischen Welt und die Einfälle der Hunnen mit ihren weitreichenden "Zentrifugalkräften" (496) seien maßgeblich für den Zerfall des Imperium Romanum verantwortlich zu machen. Dementsprechend, so Heather, müsse ein "logische[r] Zusammenhang zwischen dem endgültigen Zusammenbruch", der mit der Entthronung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus im Jahr 476 nach Christus seinen Endpunkt finden sollte, und früheren Gebietsverlusten gesehen werden (496).
Im Stil der großen Erzählung nimmt der Historiker den Leser auf knapp 600 Seiten mit, den Untergang des Römischen Reiches zu rekonstruieren. Während im ersten Teil des Werkes (19-126) die Pax Romana, Römer und "Barbaren" in den Blick genommen und damit die Grundlagen für die folgende Analyse bereitet werden, taucht der Autor in den beiden folgenden Teilen ("Krise" (Teil II, 177-402); "Untergang der Imperien" (Teil III, 405-526)) immer tiefer in die Ereignisgeschichte ein. Auf einer breit recherchierten Quellenbasis wird gezeigt, wie das Auftauchen der Goten an der Donau die römische Welt nachhaltig erschütterte. Immer wieder wird hierbei die Frage aufgeworfen, was die enormen Wanderungsbewegungen von Hunnen und Goten ausgelöst haben könnte, wobei Heather vor allem wirtschaftliche Interessen sieht, die die Eindringlinge immer weiter nach Westen trieben (183;378; 380; 420). Es ist eine dunkle Geschichte, die der Historiker im Folgenden erzählt: Gewalt und Brutalität, ausgefeilte Kriegstechniken, politische Intrigen und Konkurrenz um den Thron im Westen sollten das Reich nicht mehr zur Ruhe kommen lassen (188f.; 296f.; 306f.; 499).
Neben der ereignisgeschichtlichen Darstellung werden stets auch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragen berücksichtigt. Verschiedene Strategien der Bewältigung nach der verheerenden Plünderung Roms im Jahr 410 nach Christus werden ebenso diskutiert (273f.) wie die Frage, warum sich viele possesores in Gallien und um Rom scheinbar ohne größeren Widerstand mit den "Barbaren" einließen. Einmal mehr bietet Heather hier eine andere Interpretation: Nicht in mangelnder Loyalität der besitzenden Eliten gegenüber dem Staat, wie es in der Literatur nur all zu oft zu lesen ist, sondern im "Wesen des Systems" (292) selbst habe das Verhalten der Grundbesitzer gegründet. Aufgrund der Immobilität ihrer Besitztümer, so der Autor, hatten die Landeigentümer "eigentlich keine andere Möglichkeit als zu versuchen, mit den wechselnden Verhältnissen zurechtzukommen, und eben dies zeichnete sich in der Umgebung von Rom 408/10 und in Gallien 414/15 ab" (Zitat 292f.; 484).
Diese Aspekte interessieren den Historiker auch mit Blick auf die Eindringlinge. So wird Attila der Hunnenkönig betrachtet (348-402); aber es wird auch gefragt, auf welche Weise die einzelnen Verbände in ihrem Inneren organisiert waren und wie die logistische Versorgung derart großer Truppen überhaupt bewältigt werden konnte (394f.). Dezentrale Machtstrukturen und gewalttätige Zusammenschlüsse unterschiedlichster Verbände hätten, so Heather, das Hunnenreich letztlich "ohne Zweifel [zu einem] in seinem Kern instabile[n] politische[n] Gebilde [gemacht], das unter den Spannungen zwischen Herrschern und Beherrschten litt." (417) So unverhofft die Hunnen am Horizont aufgetaucht waren, so plötzlich sollten sie schließlich wieder verschwinden. Den Verfall des Weströmischen Reiches beendete dies jedoch nicht.
Der "Untergang der Imperien" (405-526) und schließlich "Roms Untergang" (494-526) sind der Gegenstand des dritten und letzten Teils dieses Buches. Nicht nur das Ende der Hunnen war in den 460er Jahre besiegelt, sondern auch Westrom, aufgerieben durch permanenten Kriegszustand, chronischen Geldmangel und schmerzliche Einfälle ins Reich, ging seinem Ende entgegen (491; 499f.). Auch im letzten Teil besticht das Buch einmal mehr durch seine großartige Erzählweise und seinen Thesenreichtum. Dabei ist die Geschichte, die Peter Heather erzählt, in erster Linie eine Geschichte des Niedergans Roms: Zahlreiche Invasionen der Hunnen in die reichsten Provinzen Westroms (497), eine zu große Anzahl unterschiedlichster Gruppen, die sich auf römischem Staatsgebiet niederließen, der Entzug einer Jahrhunderte währenden Besteuerungsgrundlage (500), die durch die Invasionen wegbrach, zudem begrenzte Möglichkeiten "militärischer, wirtschaftlicher und politischer Art" trafen das Reich in seinem Innersten (515). Entgegen der verbreiteten Annahme, das römische Imperium habe am Ende des 5. Jahrhunderts lediglich einen Transformationsprozess durchlaufen, schreibt der Historiker letztlich auch in dieser Hinsicht eine Geschichte des Untergangs. Neben allen Kontinuitäten seien es vor allem Brüche und tiefgreifende Veränderungen gewesen, die die Zeit zwischen dem Ende des weströmischen Reiches und seinen Nachfolgestaaten gekennzeichnet hätten (503f.).
Die deutsche Übersetzung steht dem englischen Original in keinster Weise nach: Ausgezeichnet übersetzt, zeichnet das Buch ein ebenso beeindruckendes wie facettenreiches Bild vom Niedergang des Imperium Romanum und bietet gleichzeitig wichtige Forschungsergebnisse und innovative Thesen auf einer sorgfältig recherchierten Quellenbasis. Wie im englischen Original rundet auch in der deutschen Übersetzung ein umfangreicher Anhang das gelungene Gesamtbild ab. So bleibt am Ende zu wünschen, dass die deutsche Fassung eine ebenso zahlreiche Leserschaft finden wird wie die englische Ausgabe.
Anmerkung:
[1] Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums, 6 Bde., Bd. 5, München 2004, 319f.
Katharina Sundermann