Rezension über:

Ulrike Gleixner (Hg.): Beate Hahn Paulus. Die Talheimer Wochenbücher 1817-1829 (= Texte zur Geschichte des Pietismus. Abt. VIII: Einzelgestalten und Sondergruppen; Bd. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, XXVII + 322 S., ISBN 978-3-525-55853-9, EUR 69,90
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Rezension von:
Dietrich Blaufuß
Erlangen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Dietrich Blaufuß: Rezension von: Ulrike Gleixner (Hg.): Beate Hahn Paulus. Die Talheimer Wochenbücher 1817-1829, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 7/8 [15.07.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/07/13454.html


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Ulrike Gleixner (Hg.): Beate Hahn Paulus

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In der renommierten Reihe "Texte zur Geschichte des Pietismus" ist ein wichtiges und bemerkenswertes Ego-Dokument aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ediert worden. Die von Ulrike Gleixner, die mehrfach zu dieser Quelle publizistisch hervorgetreten ist (307), vorgelegten "Talheimer Wochenbücher" lassen detaillierte Einblicke in den familiären und religiösen Alltag der Beate Hahn Paulus zu. Ihre 1800 mit dem Pfarrer Karl Friedrich Paulus geschlossene Ehe war der Auftakt für ein fast 30jähriges Leben und Leiden unter ihrem Mann. Die Fülle der Demütigungen und Beleidigungen, der Folgen von Geldmangel und -entzug, des Vorenthaltens elementarer Lebensmittel, der Entwürdigungen bis hin zu Gewaltausbrüchen will noch heute vom Leser ertragen sein. Dennoch urteilte sie noch nach 20 Ehejahren vergleichsweise milde über den alkoholkranken Vater ihrer zwölf Kinder (XI Anm. 6) als "einen seelenkranken Mann, der schon ein Sclaf ist und nicht mehr anderst kan, daß ich ihn bemitleiden soll und nicht mehr von ihm fodern soll, daß er anders sein soll, er köne nicht mehr anders sein" (131, Orig.-Seite [148f.]). Die Sorgen sind ungeheuer: Ob es sich um die (Land-)wirtschaft, um die Erziehung, um die Angestellten, um Kleidung und Brot handelt: Beate Hahn Paulus war nicht nur auf sich allein gestellt, sie hatte gegen einen unübersehbaren Sorgenberg anzukämpfen. Ihr Seufzer, "von einem solchen liederlichen Man verlößet" zu sein, fließt ihr 1818 in die Feder (39, [51]). Nicht ohne Wutausbrüche und Vorwürfe geht es ab. Aber immer wieder half ihr der feste Glaube, sich nur dem Willen Gottes zu unterwerfen, wenn sie angesichts von Christi Leiden ihre Leiden als weit geringere geduldig ertrug und Milde walten ließ. Ihre Urteile über die Gemeinde und die Predigten ihres Mannes fallen dagegen scharf und ablehnend aus: Die Gemeinde sei verrottet (188), die Gottesdienste seien "fade", "fast nicht mehr [zu] ertragen." (256, [11]) Ihr eigenes Bibelstudium und die immer wieder genannte, offenbar systematische katechetische Unterweisung ihrer Kinder jedenfalls (dem wäre einmal eigens nachzugehen) belegen eine große Eigenständigkeit auf religiös-theologischem Gebiet.

Ob gesellschaftliche Konventionen oder religiöse Orientierung den Ausbruch aus dieser Ehe verhindert haben oder eine Wechselwirkung von beidem samt der Pflicht den Kindern gegenüber, ist nach der Lektüre schwer zu entscheiden. Die Schilderung des Sterbens des Ehemanns lässt nichts mehr von dem zuvor wiederholt geäußerten Wunsch nach Befreiung ("verlößet") von dem Ehepartner erkennen. Ohne das Wissen des über zwei Jahrzehnte Erlittenen würde man gar von einer weitgehend normalen, ja sogar einer glücklichen Ehe ausgehen: Dort ist von der "Anhänglichkeit" des Mannes und der empfundenen "herzliche(n) und zärtliche(n) Liebe zu ihm" die Rede (286, [4]), die Ehetragödie nun angesichts ihres Endes verklärend (Sterbeberichte sind gelegentlich vorsichtig zu rezipieren!).

Diese Quelle verdient insgesamt Aufmerksamkeit für Forschungen zur Kultur- und Kirchengeschichte des frühen 19. Jahrhunderts. Der württembergische Pietismus tritt in einer vielfältigen, lebensnahen, aber eben auch leidensbereiten Frömmigkeit vor die Augen des Lesers. Die Kontinuität zum Pietismus des 18. Jahrhunderts ist unübersehbar - nicht nur in der deutlich werdenden Übung praktischer Frömmigkeit, sondern auch im hervortretenden Interesse an pietistischen Fragestellungen (Chiliasmus), an religiöser Kinderunterweisung und natürlich auch am literarischen Erbe ihres berühmten Vaters, dem Pietisten Philipp Matthäus Hahn.

Einige Monita zur Edition seien genannt: Der fortlaufende Text hätte durchaus in Sinnabschnitte unterteilt werden dürfen. Rasches und genaues Zitieren wäre durch einen Zeilenzähler sehr erleichtert worden. Hinsichtlich der Daten wäre ein deutlicherer Hinweis darauf möglich gewesen, dass Einträge wohl öfters erst nach einem genannten Datum erfolgten (z.B. 223; deutlich: 249 [zum] Christtag 1825, geschrieben nach Silvester 1825). Gelegentlich sind Passagen nach Überlieferungsfundort, nicht nach dem Zeitpunkt eingeordnet (vgl. 9-10 mit 25-36). Die Doppelung der Biogramme in den Anmerkungen und im Register wäre nicht nötig gewesen (gelegentlich differieren die Angaben: Seite 177 Anm. 136 bzw. Seite 309 Andler, † 1850 bzw. 1827). Schwer verständlich bleibt die Entscheidung, in diesen nahezu ohne Satzzeichen geschriebenen Text jedes nachgetragene Komma und ebensolchen Punkt in eckige Klammern zu setzen. Das ist höchst gewöhnungsbedürftig und erschwert die Lektüre. Warum ging man nicht den umgekehrten Weg und erklärte in den editorischen Vorbemerkungen alle Satzzeichen für eingetragen - außer den ausdrücklich gekennzeichneten: Das erforderte etwa auf Seite 103 nur zwei Hinweise gegenüber nun 62 eckigen Klammerkennzeichnungen.

Die Stärken allerdings überwiegen bei Weitem: Eine Einleitung unterrichtet über Biografisches, über die zeitgenössische Bedeutung des Tagebuchschreibens und über die Beziehung des Vaters Philipp Matthäus Hahn zu seiner Tochter. Eine ausführliche Beschreibung der Handschrift und ihrer frühen Bearbeitungen sowie Bemerkungen zur Textgestaltung schließen sich an. Die Kommentierung ist konzentriert, knapp, aber für das Verständnis durchaus hinreichend. Und zu guter Letzt gestatten es Register, sich den Text rasch zu erschließen.

Dietrich Blaufuß