Roland Kanz: Giovanni Battista Casanova (1730-1795). Eine Künstlerkarriere in Rom und Dresden (= Phantasos. Schriftenreihe für Kunst und Philosophie der Hochschule für Bildende Künste Dresden; Bd. 7), München: Wilhelm Fink 2008, 227 S., ISBN 978-3-7705-4504-9, EUR 19,90
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Bisweilen erscheint nichts auf Erden so vergänglich wie der Ruhm. Als der Dresdner Maler und zeitweilige Direktor der dortigen Akademie Giovanni Battista Casanova 1795 starb, war den Dresdner Kollegen nicht einmal mehr sein korrektes Geburtsdatum bekannt. Dabei war Casanova nicht nur Träger eines - insbesondere durch seinen Bruder Giacomo - in ganz Europa bekannten Familiennamens. In seinen römischen Jahren 1752 bis 1764 wurde er von Johann Joachim Winckelmann als der "Beste Zeichner in Rom" gerühmt, und Casanovas Dresdner Vorlesungen zur "Theorie der Malerei" nahmen die Studenten in den 1780er Jahren mit Begeisterung auf. Da jedoch die geplante Edition dieser Vorlesungen nicht zustande kam, und da Casanova nur wenige Gemälde schuf und die meisten seiner zahlreichen Zeichnungen nach Antiken und archäologischen Funden bis heute als verschollen gelten oder unerkannt blieben, gerieten das Werk und das Wirken des zu Lebzeiten berühmten Malers nach seinem Tod rasch aus dem Blick der Kunstwelt. Casanovas bewegte Karriere zwischen Dresden, Venedig und Rom verspricht jedoch exemplarische Einblicke in die Lebenswelt eines Künstlers im 18. Jahrhundert - und eben diese Einblicke werden durch die jüngst erschienene Biografie von Roland Kanz in schöner Weise eröffnet.
Die Biografie entstand im Rahmen der nun kurz vor dem Druck stehenden Edition der "Theorie der Malerei", wozu Roland Kanz gedruckte Quellen des 18. Jahrhunderts, insbesondere jedoch bislang unbeachtete Dresdner Archivalien zu Casanovas Leben auswertete. Der ursprünglich als Nachwort gedachte, doch rasch erweiterte und vertiefte Text ist dabei mehr als ein "Nebenprodukt" geworden. Die Schilderung zum Leben und Werk umfasst gut 130 Seiten (plus 18 Seiten Anmerkungen), wobei der Autor den Lebensweg Casanovas nachzeichnet und gleichermaßen seine Beziehung zum römischen Kreis um Winckelmann und Mengs sowie zu Kollegen und der Akademie in Dresden ausführlich charakterisiert, aber auch Nebenthemen wie Casanovas eigenen Kunstbesitz berücksichtigt. Dabei können der auf Hauptsächliches konzentrierte Blick, der flüssige Gang der Darstellung und eine nuancenreiche Sprache einen mit Vergnügen und Gewinn lesbaren Text entwerfen. Eine wunderbare Leichtigkeit der Darstellung erreicht der Autor nicht zuletzt dadurch, dass er alle Nachweise und ergänzende Bemerkungen in rund 300 Anmerkungen konzentriert. Das zudem ein rund 50 Seiten umfassender Anhang die Transkription von 24 ausgewählten Dokumenten enthält, gibt dem handlichen Band nicht nur ein solides Fundament, sondern auch den Wert eines kunst- und kulturhistorischen Quellenwerkes. Die Kombination aus konziser Biografie, sehr genauen Anmerkungen und Nachweisen sowie einem Quellenanhang überzeugt, ja sie kann als annähernd ideales Beispiel einer klug austarierten Lebensdarstellung gelten, die genau zwischen der um ein breites Publikum buhlenden Biografik einerseits und der klassisch wissenschaftlichen, aber schwer lesbaren Untersuchung andererseits steht.
Wenn Kanz das Familienumfeld des Malers beleuchtet oder dessen Position an der Dresdner Akademie bestimmt, so wartet er mit einigen neuen Details auf, ohne hierbei die größere Perspektive aus den Augen zu verlieren. Ein Schwerpunkt seiner Betrachtungen ist die Beziehung zu Anton Raphael Mengs, dessen Kunstlehre Kanz als "leuchtende[n] Fixstern" für Casanovas Kunstverständnis sieht (132f. et passim). Die Schilderung des Künstlerlebens als sächsischer Stipendiat in Rom ist ebenso auf die Beziehung zu Mengs fokussiert (32-35); und einen angemessen breiten Raum nimmt die Darstellung zu dem berüchtigten, von Mengs und Casanova gemeinsam gemalten, doch angeblich antiken Fresko mit Jupiter und Ganymed ein, das als Finte - oder ursprünglich doch nur böser Scherz? - schließlich zu Casanovas Bruch mit Winckelmann führte. Da die genaue Entstehungsgeschichte dieser Fälschung wohl nie endgültig zu klären ist, vollzieht Kanz eine einfühlsame Spurensuche aller möglichen Motive und der zahlreichen denkbaren oder belegbaren Konsequenzen, bis hin zu Winkelmanns ambivalentem Verhältnis gegenüber der Dresdner Öffentlichkeit in Hinblick auf seine 1768 geplante Deutschlandreise (46-60). Die vielschichtigen Verbindungen zu Mengs belegt auch der Abschnitt zu dessen Hochaltarblatt "Himmelfahrt Christi" in der Katholischen Hofkirche, für dessen Transport nach Dresden Casanova noch vor seiner Rückkehr aus Rom zu sorgen hatte und das er 1766 in Weisses "Neue[r] Bibliothek der schönen Wissenschaften" mit klassischer Kennerschaft besprach (66-71).
Im Professorenkreis der Dresdner Akademie sieht Kanz Casanova mit gesundem Kritikvermögen als "schwierige[n] Kollege[n]" (78), dessen "Geltungssucht" und "Standesdünkel" (140) bald reichliche Animositäten, insbesondere gegenüber dem "Generaldirektor der Künste" Christian Ludwig von Hagedorn und dem späteren Professor Schenau provozierte. Und gerade hierfür kann der Autor erstmals mit einem überzeugenden Bildbeleg aufwarten: Kanz legt dar, dass Schenaus bekanntes Gemälde "Das Kunstgespräch" von 1772 den Konferenzminister Thomas Freiherr von Fritsch und Hagedorn sowie im Hintergrund Schenau selbst mit Anton Graff und Adrian Zingg in einer Weise vereint, die wie eine offizielle Audienzsituation anmutet. Casanova - dessen Stellung als Historienmaler und Antikenkenner mindestens als gleichwertig anzusetzen gewesen wäre - fand hingegen keine Aufnahme in das Gruppenbild (80-83). Der Abschnitt über Casanovas Kunstlehre in der, aus seinen Vorlesungen hervorgegangenen, "Theorie der Malerei" fällt im Gegensatz dazu recht knapp aus (130-139), was jedoch in Hinblick auf die kommentierte Edition dieses Textes nur konsequent erscheint. Kanz fasst Casanovas vielfältiges Künstlerwissen, seine Belesenheit und seine Begeisterung für die Antike und das "eklektizistische" Kunstideal eines Mengs in der Charakterisierung als später Vertreter des Ideals eines "gelehrten Künstlers" (142) zusammen.
Bereits ein Jahrzehnt nach dem Tod Casanovas war dieses Ideal einer nachwachsenden Künstlergeneration nicht mehr verständlich. Dies belegt beispielhaft ein 1801 datierender Brief von Philipp Otto Runge 1801 an seinen Bruder Daniel, in dem er Mengs und Casanova zu jenen älteren Künstlern zählt, die "die Kunst zu reinigen gesucht haben und die sie durch verkehrte Mittel nur mehr verunreinigt haben" (221). Casanovas akademische Kunstlehre hielt Runge für grundverkehrt, und seine Schüler seien deshalb "jedesmal gescheitert und haben darauf resigniert, sind Kopisten geworden usw. " - Mit der Biografie des Malers Casanova (und sicher auch mit der Edition seiner Schriften) ist nunmehr die Grundlage gegeben, einen bislang eher dem Namen nach bekannten Maler von vergleichsweise bescheidenem Talent, doch mit stupender Kunstkennerschaft und richtungweisendem pädagogischem Ansatz besser kennen zu lernen.
Gerhard Kölsch