Hubert Houben (a cura di): Otranto nel Medioevo tra Bisanzio e l'Occidente, Galatina: Congedo Editore 2007, 396 S., ISBN 978-88-8086-737-1, EUR 45,00
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Die Geschichte einer Stadt zu schreiben, deren archivarische Daten zum größten Teil verloren sind, gilt in der Forschung als eine besondere Herausforderung. Dieser Herausforderung stellen sich die acht Beiträge des vorliegenden Bandes, wenn sie die Geschichte der süditalienischen Stadt Otranto im Mittelalter darstellen. Der Band wird auf ein vielfältiges Forschungsinteresse stoßen. Er behandelt nicht nur einen traditionellen Gegenstand der Mediävistik, das heißt, die Stadtgeschichte, sondern öffnet sich auch in hohem Maße modernen Forschungsperspektiven, die auf Fragen nach Integration oder Desintegration der Kulturen im mittelalterlichen Europa fokussieren. Die Bevölkerung Otrantos bildete wie in vielen anderen süditalienischen Städten eine Mischzone von drei Kulturen: Der byzantinischen, der lateinischen und der jüdischen. Zudem erlebte die Stadt eine Folge verschiedener Herren (Byzantiner, Langobarden, Normannen-Staufer, Anjou, Aragonesen), die mehr oder weniger Spuren ihrer eigenen politischen Kultur zurückgelassen haben.
Der Aufbau des Bandes folgt einer chronologischen Reihe, die einen Bogen vom 6. bis zum 15. Jahrhundert spannt und die Geschichte der Stadt im politischen, kirchlichen, wirtschaftlichen, topografischen, demografischen und künstlerischen Kontext behandelt. Die methodischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Mangel an archivarischen Quellen ergeben, beschäftigen den Herausgeber Hubert Houben im Vorwort des Bandes (5-12), wo er zugleich eine kurze Zusammenfassung der Beiträge vorstellt. Beim Lesen der Beiträge werden diese Probleme offenbar, zumal die Autoren fast ausschließlich erzählende Quellen als Quellenbasis heranziehen und sich auf eine umfangreiche Forschungsliteratur stützen.
Vera von Falkenhausen (Tra Occidente e Oriente: Otranto in epoca bizantina, 13-60) geht von der wichtigen Funktion des Hafens Otranto für die Verbindung zwischen Italien und Byzanz aus und stellt die byzantinische Geschichte der Stadt im Gebrauch ihres Hafens vor. Aus der gleichen Perspektive untersucht die Autorin den Kampf um den Besitz der Stadt zwischen Byzantinern und Langobarden und kann eine genauere und überzeugende Datierung des Herrschaftswechsels vorschlagen. Anschließend gibt sie einen Überblick über die byzantinische Bevölkerung unter normannisch-staufischer Herrschaft und betrachtet die wichtige kulturelle Rolle, die die Byzantiner spielten.
Hubert Houben (Comunità cittadina e vescovi in età normanno-sveva, 61-97) befasst sich zunächst mit der militärischen und wirtschaftlichen Funktion, die der Hafen für die Normannen und die Staufer hatte, um die Kontinuität zu zeigen und die Änderungen politisch zu interpretieren. Anschließend behandelt er die Geschichte des Erzbistums Otranto, zumal die Erzbischöfe nach Houben die wirklichen Herrscher der Stadt waren. In eingehender Analyse der spärlichen Quellen, die ihm zur Verfügung stehen, versucht der Autor, das Problem der erzbischöflichen Amtsfolge zu klären und das Handeln der Erzbischöfe darzustellen. Dabei spielen auch das kirchliche Verwaltungssystem und die Beziehungen zwischen dem lateinischen und dem byzantinischen Klerus eine wichtige Rolle.
Cosimo Damiano Poso (Immagine e forma urbana di Otranto dai Normanni agli Angioini, 99-173) versucht eine topografiegeschichtliche Annäherung an die Stadt von der normannisch-staufischen bis zur angevinischen Zeit. Durch die Betrachtung der wichtigsten Bestandteile der Stadt, das heißt, des Hafens, der Mauer, der Burg und des Doms, untersucht der Autor die städtische Entwicklung, was freilich aus Mangel an Quellen, vor allem im 12. und 13. Jahrhundert, nur annäherungsweise gelingen kann. Allen Schwierigkeiten zum Trotz vermag der Autor am Ende doch ein vielfältiges Bild der Stadt anzubieten und darüber hinaus die kommunalen Entwicklungsprozesse im Rahmen der Politik der Herrscher zu interpretieren.
Carmella Massaro (Otranto e il mare nel tardo Medioevo, 175-241) widmet sich der wichtigen Frage der Stadtdemografie vor allem im 14. und 15. Jahrhundert. Auch in ihrem Beitrag ergibt sich das Problem, dass die Autorin demografische Daten finden muss, ohne sich auf archivarisches Material stützen zu können. Methodisch kombiniert sie alle Daten, die sich aus der städtischen Entwicklung und der kommerziellen Tätigkeit des Hafens Otranto ergeben, und stellt sie den großen Linien der mittelalterlichen demografischen Entwicklung gegenüber. Auf diese Weise gelangt Massaro zu der ansprechenden Vermutung, dass Otranto vor der türkischen Eroberung 1480 eine mittelgroße bis kleine Stadt von 4000 bis 5000 Bewohnern gewesen sein muss. Hervorzuheben ist ihr Versuch, ein Bild von den wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen, die kommerziell und notariell engagiert waren, zu entwerfen.
Giancarlo Andenna (Un tragico punto di svolta: l'occupazione turca di Otranto 1480-81, 243-279) legt einen archivarisch gründlich dokumentierten Beitrag vor. Basierend auf Schreiben der Botschafter aus verschiedenen italienischen Städten bietet er eine ausführliche Beschreibung der türkischen Eroberung und der Wiedereroberung Otrantos. Die größte Bedeutung des Beitrags liegt in der objektiven Interpretation der Quellen, die für die Frage nach Integration oder Desintegration der Kulturen wichtige methodische Aufschlüsse bietet. Der Autor erklärt, wie und aus welchen ideologischen Gründen die Forscher des 19. und 20. Jahrhunderts die Ereignisse im Kontext der Konflikte zwischen zwei Zivilisationen interpretiert haben, und macht auf die politischen Faktoren aufmerksam, die die Türken zur Eroberung der Stadt geführt hatten.
Marina Falla Castelfranchi (Sul Bosforo d'Occidente: la cultura artistica ad Otranto in epoca tardoantica e medievale, 281-324) skizziert das künstlerische Bild Otrantos, das von der byzantinischen Kultur geprägt ist. Sie stützt sich auf ausführliche archäologische Daten und erwähnt alle neuen Entdeckungen.
Im Schlusskapitel "Epilogo: Tra realtà e invenzione letteraria: Otranto nei viaggiatori dei secoli XIV/XVI" (325-337) sammelt Hubert Houben alle erreichbaren Hinweise auf die Topografie und das alltägliche Leben, die den Beschreibungen der Reisenden des 14. und 15. Jahrhunderts zu entnehmen sind.
Es folgt ein Autorenregister, worin die Namen der zitierten Autoren der Quellen und der Literatur nachgewiesen werden, sowie ein Orts- und ein Namensregister. Sehr ansprechend ist die Ausstattung des Bandes mit sowohl mittelalterlichen als auch modernen Bildern und Karten der Stadt, die einen organischen Teil des Textes darstellen.
Aus der Gesamtheit der Beiträge erwächst das Gesamtbild der mittelalterlichen Stadt Otranto in ihren politischen, topografischen, demografischen, politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Aspekten. Der Mangel an archivarischen Quellen wird durch tiefgehende und überzeugende Argumentationen ausgeglichen, so dass ein lebendiges Bild der Stadt mit ihrer byzantinischen, lateinischen und hebräischen Bevölkerung entwickelt werden kann. Die Stärke des Bandes liegt in der durchwegs ausführlichen Analyse des schriftlichen Materials, der Gegenüberstellung byzantinischer, lateinischer, arabischer und hebräischer Quellen, der Verifizierung der erzählenden Quellen durch archäologische Daten, der sorgfältigen Berücksichtigung des Forschungstandes und im Vergleich mit der Entwicklung anderer apulischer Städte. Dies ergibt in der Summe einen wichtigen Beitrag, der auf methodische Fragestellungen hinweist und der Forschung vielfältiges Material für weitere Arbeiten anbietet.
Eleni Tounta