Karin Fuchs: Ein Kunstwerk im Dienst der Republik. Die Fresken der Sala del Concistoro des Domenico Beccafumi (1529-1535) im sienesischen Stadtpalast (= Freiburger Studien zur Frühen Neuzeit; Bd. 8), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 608 S., 44 Abb., ISBN 978-3-03910-671-4, EUR 66,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Giancarla Periti (ed.): Drawing Relationships in Northern Italian Renaissance Art. Patronage and Theories of Invention, Aldershot: Ashgate 2004
Patricia Fortini Brown: Private lives in Renaissance Venice. Art, Architecture, and the Family, New Haven / London: Yale University Press 2004
Marianne Koos: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts - Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten / Berlin: edition imorde 2006
Die Allegorien der Guten und der Schlechten Regierung, die Ambrogio Lorenzetti im frühen 14. Jahrhundert im Palazzo Pubblico von Siena malte, markierten einen fulminanten Beginn von Visualisierungen gesellschaftstheoretischer Konzepte in den Städten des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. [1] Karin Fuchs untersucht in ihrer Dissertationsschrift, die 2004 von der Universität Freiburg in der Schweiz angenommen wurde, ein Bildprogramm, das am gleichen Ort beinahe zwei Jahrhunderte später entstand. 1529 erhielt Domenico Beccafumi den Auftrag, die gewölbte Decke mit Mittelspiegel im Versammlungsraum des wichtigsten Gremiums der Stadtregierung zu freskieren. 1535 vollendete der Maler in der Sala del Concistoro diesen letzten Bildzyklus der unabhängigen Republik Siena.
Im Unterschied zu Lorenzettis Allegorien, die in ein christliches Wertesystem eingebettet waren, wurde nun in mehr als zwanzig Bildfeldern eine auf der römischen Antike fußende republikanische Tugendlehre des homo politicus entworfen, die auf jegliche religiöse Legitimation verzichtete. Die Trias von Justitia, Vaterlandsliebe (Amor patriae) und dem gegenseitigen Wohlwollen der Bürger (Mutua Benevolentia), auf der Cicero zufolge das Wohl eines Staatswesen fußt, steht im Zentrum des Programms, das sich kompromisslos dem Diktum des römischen Staatsmanns von der Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens verschrieben hat. [2] Die Geschichte als praktische Beispielphilosophie nutzend, werden sie in Beccafumis Fresken dem Betrachter durch Exempel tugendhaften Verhaltens aus den Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus erläutert und im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt. [3] Es ist ein unbarmherziges Programm, das dem Herrscher wie dem Bürger zugunsten des Gemeinwesens auch das Opfer des eigenen Lebens abverlangt und den Begriff der Gnade nicht kennt.
Karin Fuchs konnte hinsichtlich der ikonologischen Deutung des Bildprogramms auf frühere Analysen aufbauen. [4] Ihr eigener Verdienst besteht in einer genauen Untersuchung der Amtsfolgen der Regierungen und der Identifizierung der Auftraggeber. Ein umfangreicher Anhang zeugt von der Kärrnerarbeit, die hierfür in den sienesischen Archiven geleistet wurde. In ihm werden die Zusammensetzungen des Concistoro und des neu gebildeten Notstandsgremiums der Balia zwischen 1525 und 1536 erschlossen und ausgewertet. Außerdem werden die wichtigsten Entscheidungsträger in einer Prosopografie vorgestellt.
Ihre Rekonstruktion der Auftragsvergabe (131-144) von der Einsetzung einer ersten Kommission bis zur Fertigstellung erlaubt es, das Programm mit der Herrschaft der Libertini zu verknüpfen (77-96). Diese von den Popolaren getragene politische Gruppierung hatte nach dem Sturz der Familie Petrucci und der Verdrängung der Noveschi ihre Vormachtstellung bis zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe systematisch ausbauen können. Der Kommission, die die Ausstattung der Sala del Concistoro betreuen sollte, gehörten einige der wichtigsten Entscheidungsträger der Zeit an (144-167). Der Bildzyklus darf somit als programmatische Selbstdarstellung und -legitimation der neuen Machthaber gewertet werden. Die legendäre Gründung Sienas durch Senus, einen Sohn des Remus, verknüpfte die historische Identität ihrer Bürger eng mit der antiken römischen Republik. Nicht nur ihre unbedingte Vorbildfunktion und das gesellschaftsimmanente Wertesystem von Gerechtigkeit, gegenseitigem Wohlwollen und Vaterlandsliebe, sondern auch die Auswahl der Exempla lassen Parallelen zu den Schriften Niccolò Machiavellis erkennen (265-282).
Die dem Konzept zugrunde liegenden Schriften Ciceros und des Valerius Maximus gehören zu den beliebtesten antiken Werken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, die auch im Schulunterricht Verwendung fanden. [5] Eine Suche nach dem Urheber des Programms unter den Sienesen gehobener Schulbildung müsste somit aussichtslos erscheinen, würde die Autorin sie nicht auf die an dem Projekt beteiligten Personen beschränken und zudem von dem mutmaßlichen Konzipienten auch die Mitgliedschaft in einer der sienesischen Akademien erwarten. Sie kann in diesem Kreis mehrere Personen nachweisen, die als mögliche Autoren des Konzepts infrage kommen (263-292). Der interessanteste unter ihnen ist Bartolomeo di Pietro Carli Piccolomini, der zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe Kanzler der Republik Siena war. Der Politiker und Diplomat verfasste selbst einige politische Schriften und wünschte sich für Siena einen politischen Autor, wie Florenz ihn in Niccolò Macchiavelli gefunden hatte.
Der oft postulierte Zusammenhang zwischen dem Freskenprogramm und dem geplanten Einzug Karls V. in Siena auf seinem Romzug 1529 kann von der Autorin überzeugend widerlegt werden. Eine bereits von Vasari gerühmte monumentale Reiterstatue aus Pappmaschee, die den Kaiser als Friedensbringer (pacificatore) zeigte (232-241), war wesentlich besser geeignet, die Zweifel Karls V. an der Kaisertreue der neuen Herrschaft zu zerstreuen, die von verbannten Sienesen stetig geschürt wurden (96-110). Ebenfalls von Beccafumi geschaffen, wurde sie 1536, als der Kaiser die Stadt endlich besuchte, tatsächlich verwendet.
Domenico Beccafumi hatte enge persönliche Beziehungen zu den Libertini. Ein Sohn seines Gönners, der ihn in seinen Haushalt aufnahm und seinen Familiennamen auf ihn übertrug, spielte eine wichtige Rolle in der Durchführung des Deckenprojektes. Der mit dem Maler etwa gleichaltrige Antonio di Lorenzo Beccafumi, dessen eifriges Engagement in der Stadtpolitik die Autorin nachzeichnet, war Mitglied der Kommission, die 1529 zur Vorbereitung und Betreuung des Auftrags eingesetzt wurde. Er könnte diesen besonders prestigeträchtigen Auftrag vermittelt haben und fungierte später auf Wunsch Domenico Beccafumis als Bürge für die Fertigstellung des Werkes (149-151).
Die Untersuchung von Karin Fuchs vermittelt eine detaillierte Nahsicht auf die politischen Verhältnisse der Zeit. Es sind vor allem diese neuen Erkenntnisse der Arbeit zu würdigen, auch wenn die Übertragung der Tagespolitik auf das Bildprogramm im Einzelnen oftmals zu direkt erscheint und eine Reflexion der gattungsspezifischen Anforderungen vermissen lässt. Die von ihr immer wieder betonte Rigorosität und Grausamkeit des Bildprogramms wird in der künstlerischen Umsetzung nicht eingelöst. Beccafumis Fresken wurden zu Recht seit ihrer Entstehung wegen des spielerischen Wechsels zwischen illusionistischen Bildfeldern und quadri riportati, wegen der gekonnten Verkürzungen der Figuren, vor allem aber wegen der heiteren Luminosität ihres Kolorits gerühmt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Hans Belting / Dieter Blume (Hgg.): Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit, München 1989.
[2] Hierzu nach wie vor grundlegend Reinhart Kosellek: Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979, 38-66.
[3] Zur Theorie und Geschichte des Exempels vgl. Peter von Moos: Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im "Policratus" Johanns von Salisbury, Hildesheim u.a. 1996.
[4] Zuerst Marianna Jenkins: The Iconography of the Hall of the Concistory in the Palazzo Pubblico of Siena, in: The Art Bulletin 54 (1972), 430-451.
[5] Paul Grendler: Schooling in Renaissance Italy. Literacy and Learning, 1300-1600, Baltimore/London 1989.
Gabriele Köster