Rezension über:

Elisabeth Hackspiel-Mikosch / Stefan Haas (Hgg.): Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation. Kleidung zwischen Repräsentation, Imagination und Konsumption in Europa vom 18. bis 21. Jahrhundert (= Studien zur Geschichte des Alltags; Bd. 24), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 288 S., ISBN 978-3-515-08858-9, EUR 56,00
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Rezension von:
Peter Becker
Johannes Kepler Universität, Linz
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Peter Becker: Rezension von: Elisabeth Hackspiel-Mikosch / Stefan Haas (Hgg.): Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation. Kleidung zwischen Repräsentation, Imagination und Konsumption in Europa vom 18. bis 21. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/12165.html


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Elisabeth Hackspiel-Mikosch / Stefan Haas (Hgg.): Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation

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"Wer Gendarme wird, muß mit dem vorigen Rocke, den er als Nichtgendarme trug, alle Leidenschaften ausziehen [...] er muß mit dem neuen Rocke als Gendarme [...] den neuen Menschen anziehen [...] er für sich selbst, als Mensch, als Individuum, ist wenigstens nicht mehr als der ärmste und niedrigste Landesbewohner; er ist alles in seiner Stelle [...] er gehört sich gar nicht, und weniger als jeder andere Staatsbeamte an. Sein ganzes Ich gehört dem Staate [...]" (Friedrich Christian von Perrin-Parnajon 1810, 199f). [1]

Die Uniform ist für den preußischen Offizier und Kameralisten Perrin-Parnajon entscheidend für die Transformation des Bürgers in einen Angehörigen des Staatsapparates. Der Gendarm als Vertreter der staatlichen Exekutive trat mit seinem Dienst nicht nur in eine neue Rolle ein, sondern gab seine frühere soziale, familiäre und private Existenz auf - sein gesamtes Ich gehörte fortan dem Staat. Für Perrin-Parnajon gestaltete die Uniform die Persönlichkeit ihres Trägers neu. Mit dieser Betonung des gestaltenden Potenzials von Uniformen drückte er einen Gedanken aus, der in der neueren Forschung zur Geschichte der Ziviluniformen in vielfacher Weise weiter verfolgt wird. Der Sammelband von Elisabeth Hackspiel-Mickosch und Stefan Haas ist ein gutes Beispiel dafür.

Die beiden Herausgeber nähern sich dem Thema der Ziviluniform aus einer interdisziplinären und vergleichenden Perspektive. In ihrer lesenswerten Einleitung (Ziviluniformen als Medium symbolischer Kommunikation, 13-46) präsentieren sie zuerst einen gut reflektierten Überblick über die soziologischen und kulturhistorischen Studien zu diesem Thema. Daran anschließend stellen sie ein Modell zur Diskussion, das Ziviluniformen als Bedeutungsträger innerhalb von symbolischen Kommunikationsakten begreift. Aus dieser Sicht lässt sich die Uniform als "visuelles und performatives Element gesellschaftlicher Öffentlichkeit" (45) nicht auf eine einzige privilegierte Bedeutung reduzieren.

Perrin-Parnajon schrieb der Uniform eine Bedeutung zu, die den normativen Erwartungen des Fürsten entsprach, der meistens persönlich an der Gestaltung der Amtstrachten beteiligt war. Beim Aufbau eines bürokratischen Apparates, der zahlreiche Lebensbereiche unmittelbar unter staatliche Verwaltung stellte, kam den Beamten eine Schlüsselfunktion zu. Sie durften weder als eigenständige Subjekte operieren, noch sich auf eine rein mechanische Umsetzung von Normen beschränken. Sie mussten ihr gesamtes Potenzial in den Staatszweck investieren, der vom Fürsten und seiner Regierung vorgegeben war. Hackspiel-Mikosch und Haas gehen in ihrer Analyse der Uniformen aus kommunikationstheoretischer Perspektive von diesen Zuschreibungen aus. Sie bleiben aber nicht an dem Punkt stehen und betonen, dass die Ziviluniformen "ihren Sinn nicht von jenen Kommunikationsteilnehmern allein erhalten, die sie einführen bzw. stiften." (41)

Für die Herausgeber ist mit den Uniformen ein zeitlich, regional und sozial spezifisches Feld von Bedeutungen assoziiert, das sich als Ergebnis kommunikativer Prozesse konstituiert. (43) Relevant dafür sind der zeitgenössische Diskurs über Mode und Bekleidung, die Materialität von Körper und Stoff, sowie die Deutung der Uniform von gesellschaftlichen Akteuren und den Trägern der Uniform. (41-45) Diese Erweiterung des analytischen Modells macht die Geschichte der Ziviluniform zu einem wichtigen Bestandteil einer Kulturgeschichte von Staat und Verwaltung, in der die Verwaltung als Sozial- und Kommunikationsraum und auch die Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung in einer neuen Form gelesen werden können.

Das anspruchsvolle analytische Modell der beiden Herausgeber wird in den Beiträgen unterschiedlich aufgegriffen. Die Ausführungen zu den Hof- und Ziviluniformen in Sachsen, Österreich, Russland, dem Deutschen Kaiserreich und Serbien bestechen durch ihren detaillierten Blick auf Materialität und Symbolgehalt der Uniform - wie etwa in der Wahl des altbrandenburgischen Waffenrocks als Vorbild für die Galakleidung der Reichsbeamten im Deutschen Reich. Thomas Lüttenberg sieht darin "einen nicht zu leugnenden, überdies einer deutlich historischen Kontinuität verpflichteten Zug zum Militärischen." (139)

Zusätzlich zu den Sinnstiftungen der Regierungen bzw. Fürsten, die Uniformen einführten, und deren Kontextualisierung innerhalb eines kulturellen und historischen Bezugssystems, greifen die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes selektiv auf die einzelnen Dimensionen des kommunikationstheoretischen Ansatzes zurück. Das eingangs skizzierte Modell ist daher keine Vorgabe für die Autorinnen und Autoren des Bandes, sondern eher als Entwurf für die zukünftige Auseinandersetzung mit diesem Thema zu werten.

Das ist keine Kritik an den einzelnen Fallstudien; sie sind in sich kohärent und fügen sich gut in den konzeptuellen Rahmen des Bandes. Sie setzen ihre eigenen Akzente, die meist an das in der Einleitung präsentierte Rahmenkonzept rückgebunden werden. Das Thema der Nutzung von Uniformen als Distinktionsmittel wird etwa im Kapitel über die Anfänge und Entwicklung der Ziviluniformen in Österreich aufgegriffen. Dort beschreibt Monica Kurzel-Runtscheiner die Bestürzung des höfischen Adels über die Abschaffung des so genannten Mantelkleides als privilegierte Kleidung der Würdenträger. Das Entsetzen über diese Maßnahme gipfelte in der Anfrage eines reichsständischen Gesandten, ob er denn nun "wie ein Schneider" vor dem Kaiser erscheinen sollte. (85)

Der Beitrag von Ralph Winkle über Volksorden und Uniformierung verfolgt die Sehnsucht nach sichtbaren Distinktionen auf einer anderen Ebene - der Vielzahl an Orden und Ehrenzeichen, die im 19. Jahrhundert gestiftet wurden. Als Auszeichnung bildeten sie ein wichtiges soziales und berufliches Kapital, das von gesellschaftlichen Akteuren mit hoher affektiver Bedeutung aufgeladen war. Ihren Wert verloren die Auszeichnungen erst durch die inflationäre Vergabe während des Ersten Weltkriegs. Als Gegenmaßnahme wurde ein neues Ehrenzeichen gestiftet, wie Ralph Winkle ausführt: das Verdienstkreuz für Kriegshilfe, das auch an Frauen verliehen werden konnte. Es wurde von den Bürgerinnen und Bürgern jedoch nicht als Auszeichnung angenommen: "Oft lehnten die zivilen Empfänger die Auszeichnung mit der Begründung ab, dass sie aufgrund ihrer Leistung, die sie für das 'Vaterland' erbrachten, Anrecht auf eine militärische Dekoration hatten." (190)

Die kommunikationstheoretische Annäherung an die Uniformen wird in dem spannenden Beitrag von Insa Großkraumbach systematisch umgesetzt. Sie beschäftigt sich mit der Uniform als einer 'zweiten Haut' des ländlichen Polizeidieners im frühen 19. Jahrhundert. Damit führt sie analytisch die Thematik weiter, die in dem Zitat von Perrin-Parnajon angesprochen wurde: die Schaffung von neuen Formen staatlicher Herrschaft auf dem Land und die Rekrutierung von Autoritätspersonen. Ihr Verständnis von Uniform als 'zweiter Haut' eröffnet einen interessanten Blick auf den Polizeidiener und sein institutionelles und soziales Umfeld: "Der Träger wird von der Außenwelt beschrieben, gedeutet und konstruiert - so, wie er sich selbst durch seine Performanz im Rahmen dieses Mediums konstruiert." (150)

Auf der Grundlage von Archivrecherchen rekonstruiert die Autorin die oft konfligierenden Zuschreibungen der Obrigkeit und der Dorfgemeinden. Ihr Blick auf die Selbstbilder von Polizeidienern unterstreicht die Schwierigkeiten, in der ländlichen Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts mit Hilfe von Gesetzen und Uniformen lokale Akteure ohne soziales Prestige als Vertreter staatlicher Autorität zu etablieren.

Uniformen werden in diesem Band auch auf ihre literarischen und subkulturellen Bedeutungen hin untersucht - etwa im Beitrag von Elke Gaugele über Erotik und Uniform-Fetischismus. Mit dieser breiten Palette an Themen präsentiert dieser Sammelband einen informativen Einblick in die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ziviluniformen. Die konzeptuellen Reflexionen am Beginn des Buches sind für mich eine wesentliche Attraktion und eine Motivation, sich mit diesem Sammelband auseinanderzusetzen. Die einzelnen Fallstudien stehen für sich und bieten dem Leser, der sich für die entsprechenden Themen interessiert, wichtige Anregungen. Leider lassen sich die thematischen Schwerpunkte der einzelnen Kapitel nur über das Inhaltsverzeichnis erschließen, ein Index am Ende des Buches fehlt. Das Buch ist gut illustriert, die Abbildungen sind nicht rein illustrativ, sondern in die Argumentation eingebunden.

Ein gutes Leseerlebnis für Alle, die an einer interdisziplinären Reflexion über Staat, Kleidung, Rollenbilder und soziale Distinktionen interessiert sind.


Anmerkung:

[1] Friedrich Christian von Perrin-Parnajon: Handbuch für deutsche Gendarmen und Lesebuch für Landesbewohner um Erstere die schweren Pflichten ihres Amtes, und Letztere die Würde und Autorität dieser polizeilichen Staatsbeamten kennen zu lehren. Leipzig 1810.

Peter Becker