Rezension über:

Wilhelm von Wolzogen: Der größte Cursus, der je in der Politik geboten worden ist. Pariser Tagebücher und Briefe 1790-1793. Bearb. von Christoph von Wolzogen (= Lebendige Vergangenheit. Zeugnisse und Erinnerungen; Bd. 22), Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, 207 S., ISBN 978-3-17-019502-8, EUR 19,90
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Rezension von:
Marko Kreutzmann
Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Marko Kreutzmann: Rezension von: Wilhelm von Wolzogen: Der größte Cursus, der je in der Politik geboten worden ist. Pariser Tagebücher und Briefe 1790-1793. Bearb. von Christoph von Wolzogen, Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/13139.html


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Wilhelm von Wolzogen: Der größte Cursus, der je in der Politik geboten worden ist

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Die Französische Revolution bewirkte seit 1789 nicht nur eine Veränderung politischer und sozialer Strukturen, sondern auch einen Umbruch der Mentalitäten und der politischen Kultur. In der intellektuellen Öffentlichkeit des Alten Reiches wurden die revolutionären Ereignisse zunächst mit einer gewissen Euphorie, dann aber mit zunehmender Distanz und Kritik verfolgt. Nicht zuletzt prägten die Berichte prominenter 'Freiheitspilger' wie Joachim Heinrich Campe oder Konrad Engelbert Oelsner das Bild, das man sich in Deutschland von der Revolution machte. Die vorliegende Edition der Briefe und Tagebücher des zwischen 1788 und 1793 im Auftrag des Herzogs Carl Eugen von Württemberg in Paris anwesenden Wilhelm von Wolzogen präsentiert die Beobachtungen eines bisher wenig beachteten, aber wichtigen Augenzeugen dieser Ereignisse.

Denn Wolzogen stand in enger Verbindung mit dem 'Ereignisraum' Weimar-Jena [1] als einem damaligen intellektuellen Zentrum des Alten Reiches: Er war der Freund und Schwager Friedrich Schillers, der nach seiner Flucht aus Württemberg Ende 1782 auf dem Wolzogenschen Gut Bauerbach Zuflucht fand und sich später am Weimarer Hof niederließ. Drei Jahre nach seiner Rückkehr aus Paris wechselte Wolzogen selbst in den Dienst des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach und wurde hier bald der Ministerkollege Johann Wolfgang Goethes. Die Beobachtungen, die Wolzogen in Paris anstellte, sind zur unmittelbaren Kenntnis Schillers gelangt, der sogar eine Veröffentlichung eines Teils der Pariser Tagebücher Wolzogens plante. Immerhin lieferte Wolzogen die Übersetzung eines Berichts über die Erstürmung der Bastille, die 1791 in Schillers "Thalia" erschien, sowie Beiträge zu dem vom Weimarer Verleger Friedrich Justin Bertuch herausgegebenen "Journal des Luxus und der Moden". Wolzogens Aufzeichnungen stellen daher ein wichtiges Dokument für die Wahrnehmung und Deutung der Revolution in der Öffentlichkeit des Alten Reiches dar.

Der vorliegende Band schließt an die bereits 1989 erfolgte Edition von Wolzogens Pariser Tagebuch aus den Jahren 1788 und 1789 an und setzt dies für die Jahre 1790 bis 1793 fort. [2] Schon 1998 erschien eine gekürzte Edition der gesamten Tagebücher und der diplomatischen Korrespondenz Wolzogens in französischer Übersetzung. [3] Der Bearbeiter der vorliegenden Edition, der Frankfurter Philosophieprofessor Christoph von Wolzogen, hat die einst in Privatbesitz befindlichen Originaldokumente zur Verfügung gestellt und 2004 dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar anvertraut. In der Einführung (9-14) stellt Christoph von Wolzogen den Verfasser der Tagebücher und Briefe, dessen Verbindung zu Schiller sowie die Umstände seiner Mission nach Paris vor. Zudem gibt er einen Einblick in den Inhalt der präsentierten Quellen. Allerdings fällt diese Einführung etwas knapp aus. Das soziale und biographische Profil Wolzogens, das dessen Wahrnehmungen determinieren musste, tritt nur unscharf hervor. Hier bleibt der Leser auf einen älteren Aufsatz des Bearbeiters verwiesen. [4]

Das Gesamtkorpus der edierten Quellen, das aus drei Textsorten besteht und erhebliche chronologische Lücken und Überschneidungen aufweist, ist in drei Kapitel untergliedert: Da wäre zuerst ein privates Tagebuch Wolzogens (15-84), das, mit drei längeren Unterbrechungen, vom Januar 1790 bis zum Juli 1791 reicht. Darauf folgt ein "Politisches Tagebuch" (85-132), das die Zeit von Dezember 1792 bis März 1793 umfasst. Den Schluss bildet die diplomatische Korrespondenz (133-178) mit dem Herzog Carl Eugen von Württemberg und anderen Personen zwischen Dezember 1792 und Juni 1793. Während beide Tagebücher vollständig ediert sind, wurde bei dem diplomatischen Briefwechsel eine "repräsentative" Auswahl (13) vorgenommen, ohne dass jedoch die Kriterien dieser Auswahl offen gelegt werden.

Die adäquate Einordnung erfordert eine intensive quellenkritische Auseinandersetzung mit den präsentierten Texten, die sich in ihrem Aussagewert grundlegend voneinander unterscheiden. Zu seinem ersten Aufenthalt in Paris war Wolzogen noch zum Zweck des Architekturstudiums gesandt und hier unerwartet Zeuge der politischen Ereignisse geworden. Das hierbei geführte private Tagebuch enthält vor allem Notizen zum Lebensalltag Wolzogens in Paris und seinem dortigen Bekanntenkreis, zu dem unter anderem der Maler und spätere aktive Jakobiner Jacques Louis David gehörte. Schon früh flossen auch politische Aussagen ein, die Wolzogens Ablehnung der Revolution und deren demokratischer Prinzipien sowie sein Entsetzen über die mit der Revolution einhergehende Gewalt ausdrücken. (34)

Das 1792/93 verfasste "politische Tagebuch" entstand im Kontext einer diplomatischen Sendung Wolzogens nach Paris. Es wurde für eine Veröffentlichung konzipiert und daher nachträglich bearbeitet. Im Vorwort klagt Wolzogen über das "unglücksvolle[...] Trauerspiel, welches eine völlig gesunkene und bis zur Barbarey entartete Nation auslieferte" (85) und bekennt sich zur monarchischen Verfassung. Politische Stellungnahmen werden immer wieder durch kulturnationale Abgrenzungsversuche gegen die Franzosen überlagert. Unter dem Eindruck einer Aufführung von Schillers "Räubern" in Paris berichtet Wolzogen, dass "diese Nation" nicht nur "den deutschen Armeen", sondern auch "unserer Litteratur" den Krieg erklärt habe, indem sie deren Produkte "in den Geist ihrer Revolution" übersetze (111-112).

Der diplomatische Briefwechsel wiederholt zum Teil die Ereignisse, die bereits im politischen Tagebuch beschrieben werden und schildert das diplomatische Taktieren Württembergs gegenüber Frankreich angesichts des sich abzeichnenden Reichskrieges. Darüber hinaus zeigt er, wie sich der in den höfischen Konventionen sozialisierte Wolzogen mit den ungewohnten Kommunikationsformen des republikanischen Staates auseinandersetzte. Gerade im diplomatischen Verkehr seien "alle Formen, alle Ceremonien verbannt" und man rede selbst die Minister nur noch mit dem Titel "Citoyen" an (139).

Die Briefe und Tagebücher Wilhelm von Wolzogens stellen eine wichtige Quelle zur Rezeption der Französischen Revolution im Alten Reich sowie zur Symbol- und Kulturgeschichte der Revolution dar. Zugleich sind sie das Ego-Dokument eines Adeligen, der mit einem radikalen Umbruch politischer Kultur konfrontiert wird. Ein sachkundiger Anmerkungsapparat unterstützt das Verständnis des Textes, während ein Sach- und/ oder Personenregister - wie schon im ersten Band von 1989 - leider fehlt. Die genannten Mängel können jedoch insgesamt den Wert der vorgelegten Edition für die weitere Forschung kaum mindern.


Anmerkungen:

[1] Vgl. das Programm des Sonderforschungsbereichs 482: "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

[2] Wilhelm von Wolzogen: "Dieses ist der Mittelpunkt der Welt." Pariser Tagebuch 1788/1789, hg. von Eva Berié und Christoph von Wolzogen, Frankfurt am Main 1989.

[3] Wilhelm von Wolzogen: Journal de Voyage à Paris (1788-1791). Suivi du Journal politique (1793) et de la Correspondance diplomatique (1793), traduit de l'allemand par Michel Trémousa, Paris 1998.

[4] Christoph von Wolzogen: "Fürstenknecht" und "deutscher Jakobiner". Wilhelm von Wolzogens Aufenthalt in Paris 1788-1793 im Auftrage Carl Eugens von Württemberg, in: "O Fürstin der Heimath! Glükliches Stutgard." Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800, hg. von Christoph Jamme / Otto Pöggeler, Stuttgart 1988, 101-125.

Marko Kreutzmann