Rezension über:

Olaf Mörke: Wilhelm von Oranien (1533-1584). Fürst und "Vater" der Republik, Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, 316 S., ISBN 978-3-17-017669-0, EUR 20,00
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Rezension von:
Helmut Gabel
Essen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Helmut Gabel: Rezension von: Olaf Mörke: Wilhelm von Oranien (1533-1584). Fürst und "Vater" der Republik, Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/8647.html


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Olaf Mörke: Wilhelm von Oranien (1533-1584)

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Vor allem in der populärhistorischen und fiktionalen Literatur zum niederländischen Aufstand ist bis heute die Tendenz unverkennbar, die Person Wilhelms von Oranien als Lichtgestalt mit Attributen des Heroischen zu präsentieren. Im deutschsprachigen Raum sind die Anfänge dieser Kontinuität nicht zuletzt in Schillers 1788 erschienener "Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande" zu finden, die den Hauptprotagonisten des Aufstandes in einem eindringlichen Charakterporträt zum republikanischen Tugendhelden und edelmütigen Heilsbringer im Kampf zwischen Gut und Böse stilisierte. Diese Rolle Oraniens als kontingenzbeseitigender, geschichtsbildender Akteur mit heroischen Qualitäten erfuhr in Teilen der Literatur noch eine Steigerung durch die vermeintliche Diskrepanz zwischen seiner anscheinend mediokren Herkunft aus einem im politischen und kulturellen Windschatten liegenden Kleinterritorium des Alten Reiches und der zuweilen mit Superlativen bedachten historischen Leistung.

Indes hat sich schon Schiller den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass sein Charakterbild Wilhelms nur schwer mit dessen tatsächlichem Handeln zu vereinen sei. Muss man auch nicht so weit gehen wie in neuerer Zeit Maike Vogt-Lüerssen, die in ihrem Lebensbild der Anna von Sachsen, der unglücklichen zweiten Gemahlin Wilhelms, kaum ein gutes Haar an Oranien lässt [1], so scheint ein differenzierender, sich offensiv auf die Widersprüchlichkeiten einer Person einlassender biografischer Zugriff doch nötiger denn je. Dieser Herausforderung stellt sich Olaf Mörke, der - erheblich über den Darstellungshorizont früherer Biografien Wilhelms hinausgehend - die Macht von Mythen und Bildern nicht nur im Hinblick auf die Historiografie, sondern die historisch-politische Kultur insgesamt reflektiert. In Gestalt der schon zu Lebzeiten einsetzenden Verklärung Oraniens zum Freiheitshelden und "Vater des Vaterlandes" arbeitet er einen bislang vernachlässigten - und wie das oben erwähnte, bei Mörke jedoch unberücksichtigt gebliebene Beispiel Schillers unterstreicht - auch außerhalb der Niederlande virulenten wirkungsgeschichtlichen Aspekt heraus. Diese Stilisierung Wilhelms zu einer Kultfigur des Freiheitsmythos trug zwar einerseits, wie Mörke bereits einleitend betont, zur kollektiven Identitätsbildung in den nördlichen Niederlanden bei, führte jedoch aufgrund ihres reduktiven Effekts zu Blickverengungen, die der Komplexität des historischen Geschehens kaum gerecht wurden.

Inhaltlicher und argumentativer Dreh- und Angelpunkt der Biografie ist, wie schon die instruktive, manche Erkenntnisse antizipierende Einleitung ausweist, ein scheinbarer Grundwiderspruch in Wilhelms Leben. Dieser resultierte aus den - allerdings nur bei vordergründiger Betrachtung - inkompatibel anmutenden politisch-normativen Prägungen, die Wilhelm gleich in mehrfacher Hinsicht erhielt: durch seine Sozialisation in einem aristokratischen Milieu, das die räumliche Kleinheit des Heimatterritoriums mit dem dynastischen Glanz eines hochadeligen Geschlechts glaubhaft aufzuwiegen vermochte, sowie durch seine doppelte Verwurzelung im Wert- und Normengefüge sowohl des Alten Reiches als auch der burgundisch-habsburgischen Niederlande. In acht Kapiteln, die den Bogen von der Kindheit in Dillenburg über die Jahre als Günstling Kaiser Karls V. bis hin zur Konfrontation mit dem spanisch-habsburgischen Königshaus und den von Oranien nicht intendierten Weg in die nordniederländische Eigenstaatlichkeit schlagen, ist denn auch das Bemühen Mörkes unverkennbar, die partiell unterschiedlichen Erfahrungs- und Werthorizonte Wilhelms zu einem erklärungskräftigen Ganzen zu verbinden. Dabei räumt der Verfasser überzeugend mit so manchem Vorurteil auf, so etwa den vermuteten perspektivischen Beschränkungen, die aus der räumlichen Enge Nassau-Dillenburgs resultierten. Zudem gelingt es ihm, in den Regeln der monarchisch-ständischen Mischverfassung, der alteuropäischen "monarchia mixta", ein von Wilhelm internalisiertes Politikmodell herauszuarbeiten, das nicht nur eine konsensuale, akzeptanzorientierte Regierungsweise des Landesherrn, sondern auch eine überraschend anmutende Konzilianz insbesondere des niederländischen Hochadels gegenüber zentralisierenden Bestrebungen implizierte (67 u.ö.).

Es ist nicht zuletzt dieser spezifischen, Loyalität und Kooperationsbereitschaft im ständisch-fürstlichen Verhältnis betonenden Akzentsetzung zuzuschreiben, dass Mörke an der ursprünglichen engen Verbundenheit Oraniens mit dem Haus Habsburg keinen Zweifel lässt. So ist denn auch der sehr zögerliche, offenkundig immer wieder von skrupulösen Bedenken begleitete Weg Wilhelms in den Widerstand ein Grundthema des Buches. Wie auf kaum einen anderen Protagonisten des Aufstandes traf auf Oranien das Wort vom "Revolutionär wider Willen" zu. Gleichwohl gelang es Wilhelm, wie Mörke zu Recht unterstreicht, über seinen eigenen, von der höfischen Welt der alten burgundischen Niederlande und der aristokratischen Politikkultur konfigurierten Schatten zu springen und sich auf ein republikanisches Ständeregiment unter maßgeblicher Beteiligung städtisch-merkantiler Eliten einzulassen (267). Weitgehend singulär vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Konfessionalismus war zudem sein klares Plädoyer zugunsten eines Toleranzkonzeptes, das sich dem Gedanken der konfessionellen Koexistenz öffnete.

Abschließend sei hervorgehoben, dass die Biografie kaum Fragen offen lässt. Gewünscht hätte sich der Rezensent allenfalls eine schonungslosere Darstellung der vom politischen Kalkül überformten ehelichen Beziehung Wilhelms zu Anna von Sachsen sowie eine Ausweitung der wirkungs- und rezeptionsgeschichtlichen Betrachtung über die Niederlande hinaus. Diese Kritik wiegt jedoch gering gegenüber der Tatsache, dass der Verfasser mit dem vorliegenden Band einmal mehr die Fruchtbarkeit von Ansätzen, die den Kategorien des Analysekonzepts Politische Kultur verbunden sind, überzeugend unter Beweis gestellt hat. Wer die aus anderen Publikationen bekannte, diskursiv angelegte und begrifflich enorm verdichtete Sprache Mörkes kennt, wird zudem überrascht sein, wie gut dem Autor die narrativen Ausführungen, die für das biografische Genre unabdingbar sind, von der Hand gehen. Im besten Sinne "garniert" wird dies alles durch interpretatorische Einschübe, die aus dem Wissensfundus zur alteuropäischen politischen Kultur schöpfen. Wer nach einem Beispiel für eine gelungene Verbindung von Narration und Analyse sucht, wird sie in Mörkes Oranien-Biografie gewiss finden.


Anmerkung:

[1] Maike Vogt-Lüerssen: Anna von Sachsen. Gattin von Wilhelm von Oranien. 2. Aufl., Norderstedt 2008.

Helmut Gabel