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Myrle Dziak-Mahler: Geschichtsdidaktik. Einführung, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
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Geschichtsdidaktik

Einführung

Von Myrle Dziak-Mahler

Die Geschichtsdidaktik ist ihrem Wesen nach eine Disziplin, die theoretische Fragestellungen mit praktischer Umsetzung verbindet, geht es doch in der Didaktik der Geschichte immer um Vermittlungsprozesse. Im Zeichen von Bologna und PISA geraten eben diese Vermittlungsprozesse ins Zentrum der Betrachtung: Die Ziele der Geschichtsvermittlung werden zurzeit ebenso diskutiert wie die Wege derselben. Am deutlichsten ausgeprägt ist die Entwicklung an den Schulen, im Geschichtsunterricht. Die Festschreibung von "Standards und Kompetenzen" in den Lehrplänen stellt den Geschichtsunterricht vor neue Herausforderungen. Bei der Frage, wie einerseits "abprüfbares Wissen" und andererseits "Methodenkompetenz" aufgebaut werden soll, sind nicht nur die Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer oder Schulbuchautorinnen und Schulbuchautoren gefragt, sondern ebenso die Geschichtsdidaktik an den Universitäten und Hochschulen, an denen die Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer der Zukunft ausgebildet werden.

Durch die - ohne Frage begrüßenswerte - Erhöhung des Anteils der Fachdidaktik in der ersten Phase der Lehrer(aus)bildung (insbesondere für den Gymnasialbereich bzw. die Gymnasiale Oberstufe) an den Universitäten und Hochschulen bedarf die Didaktik der Geschichte einer Neuausrichtung, die die Kluft zwischen praxisorientierter Berufsausbildung und forschungsgeleiteter Theoriebildung zu überbrücken vermag. Einen Sprung nach vorn machen gegenwärtig die Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktiker, die sich der empirischen Forschung widmen. Hilke Günther-Arndt und Michael Sauer legen mit ihrem Tagungsband Geschichtsdidaktik empirisch eine Publikation vor, die richtungsweisend sein kann, reklamieren doch die Herausgeber für sich, dass sie sich ihrer "Bringschuld" durchaus bewusst sind. Ein Anfang ist gemacht mit diesem Band, der zeigt, wie weit das Feld der empirischen Forschung, und wie notwendig die Weiterentwicklung dieses Bereiches ist, der lange brach lag bzw. ausschließlich von den Untersuchungen eines Bodo von Borries lebte.

Ein weiter Horizont eröffnet sich, wenn man es wagt, den Blick auf ungewöhnliche Formen der Geschichtsvermittlung zu werfen. Betritt man z.B. das "Hamburg Dungeon" [1], erlebt man eine ganz andere Form der Geschichtsvermittlung: "Tauche ein in jene Erzählungen der Geschichte, die Dir das Blut erstarren lassen und welche Dich Deine Lehrer nie lehrten" [2], heißt es in der Einführung auf der Homepage dieser Location, die den Anspruch erhebt, "dunkle Geschichte" erlebbar zu machen. Und in der Tat "erlebt" man Geschichte, wenn man beispielsweise im "Pestkrankenhaus" dabei ist, wie ein Medicus eine Leiche seziert und dabei erläutert, wie, warum und mit welchen Folgen sich die Pest 1348 in Europa ausbreitete. Schulklassen besuchen diese Art der Geschichtsvermittlung reihenweise und sind sichtlich von der Art und Weise der Präsentation von Geschichte und Geschichten begeistert.

Weniger ungewöhnlich, aber möglicherweise "näher dran" an den Schülerinnen und Schülern als das Schulbuch sind zwei andere, die Fiktion nutzende Zugänge zur Geschichte: Christine Gundermann legt mit ihrem Buch Jenseits von Asterix - Comics im Geschichtsunterricht eine Handreichung vor, die einerseits den Comic als "Träger von Geschichte" beleuchtet und andererseits Praxisbeispiele bietet, mittels derer das Medium Comic im Geschichtsunterricht zu nutzen ist. Josef Memminger hat sich mit seiner Publikation Schüler schreiben Geschichte dem produktionsorientierten Geschichtsunterricht zugewendet; er führt theoretisch aus, warum das eigene Schreiben von Geschichte(n) seinen Platz im Geschichtsunterricht haben sollte, und legt praktisch vor, wie dies geschehen kann. Beide Bücher zeigen, wie viele Möglichkeiten es jenseits der - den Geschichtsunterricht de facto immer noch dominierenden - Quellenarbeit gibt; der "Hamburg Dungeon" ist Vorbote einer Form der Geschichtsvermittlung, die aus dem anglo-amerikanischen Raum in Zukunft sicher noch stärker auf uns kommen wird.

"Andere Länder, andere Sitten?" - dieser Frage geht auch der Sammelband Geschichte international, herausgegeben von E. Erdmann, R. Maier und S. Popp, nach und stellt den Geschichtsunterricht in zwölf Ländern anhand von Beispielen vor. Neben der Vielfältigkeit, die präsentiert wird, fällt die Feststellung auf, dass in allen Ländern die Bedeutung der Methodenkompetenz zunähme. Ein interessanter Befund, der deutlich macht, dass nicht nur Deutschland, der "gefühlte" PISA-Verlierer, sondern auch Länder wie Finnland (welches gerne beispielhaft genannt wird, wenn es um die "gute Schule" und die "gute Lehrerausbildung" geht) im Bereich der Geschichtsdidaktik eine Aufgabe zu meistern haben, bei der Austausch förderlich sein kann.

Ein in der Geschichtsdidaktik umstrittener Bereich ist der bilinguale Geschichtsunterricht, der in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt: Immer mehr Schulen streben ein "Profil" an, für viele Schulen geht der Weg der Profilbildung (auch) über ein bilinguales Angebot. Dazu kommen Initiativen aus der Kultusbürokratie, die das fremdsprachliche Lernen fördern will und die Internationalisierungsprozesse, die es Schülerinnen und Schülern attraktiv erscheinen lassen, über nachgewiesene fremdsprachliche Kompetenz zu verfügen. Geschichte gehört traditionell in den Fächerkanon der bilingual unterrichteten Fächer, die unisono beklagen, dass es keine "bilinguale Fachdidaktik" gäbe - ein Desiderat, das seit Beginn des bilingualen Unterrichts besteht. Zwei Publikationen der jüngsten Zeit versuchen hier Hilfestellung zu geben: Die Dissertation von Elke Müller-Schneck Bilingualer Geschichtsunterricht - Theorie, Praxis und Perspektiven basiert auf empirischen Daten, die in einer der Hochburgen des bilingualen Unterrichts, in Nordrhein-Westfalen, erhoben wurden, und legt einen Schwerpunkt auf die Rolle der Lehrkräfte. Der Sammelband Der bilinguale Unterricht Englisch aus der Sicht der Fachdidaktiken, herausgegeben von den Anglisten P.Bosenius, A.Rohde und J.Donnerstag, thematisiert neben allgemeinen Fragen zum zweisprachigen Sachfachunterricht in zwei Aufsätzen spezielle Fragen des bilingualen Geschichtsunterrichts.

Insgesamt zeigt sich an der steigenden Zahl der Publikationen im Bereich der Geschichtsdidaktik wie auch an der thematischen Vielfältigkeit der Veröffentlichungen, dass die Geschichtsdidaktik im Aufbruch ist. Interessant ist, dass die Publikationen nicht nur aus den Federn der Hochschuldidaktiker stammen, sondern auch von Praktikern verfasst wurden. Ein viel versprechender Weg.

Anmerkungen:

[1] http://www.thedungeons.com/de/hamburg-dungeon/index.html (zuletzt besucht am 6.9.2008).

[2] http://www.thedungeons.com/de/introduction.html#content (zuletzt besucht am 6.9.2008).

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