Rezension über:

Michael S. Falser: Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden: Thelem 2008, 360 S., ISBN 978-3-939888-41-3, EUR 44,80
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Rezension von:
Peter Conradi
Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Peter Conradi: Rezension von: Michael S. Falser: Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden: Thelem 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 11 [15.11.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/11/14115.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Die Politik der Denkmalpflege" in Ausgabe 8 (2008), Nr. 11
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Michael S. Falser: Zwischen Identität und Authentizität

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Die Denkmalpflege in Deutschland wollte stets objektiv sein, unpolitisch und über den Parteien stehend. Dennoch oder deshalb hat sie in den letzten Jahren an Einfluss und Ansehen verloren: ihre Rechte und Aufgaben wurden eingeschränkt, ihre Personaletats gekürzt, ihre institutionelle Eigenständigkeit beschnitten oder abgeschafft. Daran ist leider auch die Denkmalpflege selbst schuld. Zu oft verstand sie ihre Aufgabe als hoheitliche Behörde, zu lange hielt sie an ihrem Alleinvertretungsanspruch für das bauliche Erbe fest, zu lange mied sie die öffentliche Diskussion über die populäre "Erinnerungsarchitektur" durch Rekonstruktionen. Eine Neupositionierung fand auch angesichts der durch die Politik erzwungenen Einschränkungen nicht statt.

In dieser Situation ist die Dissertation von Michael S. Falser zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland hilfreich, denn sie zeigt, dass die Denkmalpflege durchaus politisch war und wirkte und dass sie politisch benutzt wurde - bis in die heutige Zeit, in der das politische Leitmotiv "Wirtschaft, Wirtschaft über alles" alle anderen Gesichtspunkte, auch die der Denkmalpflege, überlagert und das politische Handeln bestimmt.

Falser beschreibt den Beginn der Institution Denkmalpflege anfangs des 19. Jahrhunderts, einer Zeit der politischen Niedergeschlagenheit angesichts der französischen Besetzung unter Napoleon. Auf der Suche nach einer nationalen Identität gewann vor allem das bauliche Erbe Bedeutung. Karl Friedrich Schinkel als patriotischer Maler und Architekt forderte 1815 in seinem "Memorandum zur Denkmalpflege" eine eigene Behörde, "der das Wohl dieser Gegenstände" des gebauten Erbes "anvertraut wird". Schinkel wollte eine staatsloyale Erziehungsarchitektur und beschränkte sich nicht auf die begutachtende und administrative Funktion der Oberbaudeputation, sondern griff mit eigenen Gegenentwürfen in zahlreiche Projekte ein. Falser schildert die Bemühungen um die Sanierung und Rekonstruktion - Vollendung - der Marienburg als vaterländisches Denkmal und ihre Instrumentalisierung für die Aktivierung eines rückwärtsgerichteten romantischen Patriotismus.

Beim Streit um das Heidelberger Schloss 1890 bis 1910, dem zweiten Fallbeispiel Falsers, war die Denkmalpflege bereits institutionalisiert. Die Befürworter der Rekonstruktion des Schlosses verstanden das Schloss als vaterländisches Denkmal, als "Wall gegen die Feinde des Vaterlands" mit dem Feindbild Frankreich nach Westen (so wie früher die Marienburg nach Osten). Die Fachleute, vor allem Georg Dehio, plädierten dagegen für die Erhaltung der Reste des Schlosses als Ruine und bezeichneten die Forderung nach einer Rekonstruktion des Schlosses als "Selbsttäuschung und Fälschung". In der heftigen Diskussion setzten sich schließlich die fachlich kompetenten Denkmalpfleger gegen die nationalpathetischen Befürworter einer Rekonstruktion durch.

Die von Falser geschilderten Auseinandersetzungen um den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Paulskirche, der Frankfurter Altstadt und des Goethehauses in den Jahren 1945 bis 1949 muten uns Heutigen eher fremd an. Die Verbindung der Diskussion über Schuld und Sühne nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau der Paulskirche, die Beschwörung der Kontinuität einer deutschen Kulturnation unter Berufung auf Goethe zeigen den Zusammenhang zwischen dem Ringen um eine deutsche Identität nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und den baulichen Fragen des Wiederaufbaus nach dem verlorenen Krieg. Auch hier standen sich zwei Identitäts- und Kulturkonzepte gegenüber, auf der einen Seite die Vertreter einer romantisch-verklärenden Tradition, die Verbrechen der NS-Zeit mit der Berufung auf eine Kontinuität des deutschen Geistes zu relativieren, auf der anderen die Forderung, die geschichtliche Realität anzuerkennen und sich das bauliche Erbe der Vergangenheit neu anzueignen. Die Denkmalpflege, so Falser, "stand dabei von Anfang an in einer unglücklichen Polarität zwischen Tradition und Moderne".

Näher liegen uns die Jahre 1968 bis 1975, über die Falser mit den Begriffen "Sozialpolitische Subversion und kulturpolitisch-denkmalpflegerische Affirmation" berichtet. In der Folge der 68er Bewegung und Willy Brandts Forderung "Mehr Demokratie wagen" entstanden an vielen Orten Bürgerinitiativen, zum Beispiel im Frankfurter Westend und im Münchener Lehel. Angesichts der tiefgreifenden Umgestaltung und Ökonomisierung der Städte wurde Protest laut und Partizipation gefordert. Vom "Unbehagen in der Modernität" spricht Falser. Während das Europäische Denkmalschutzjahr in Deutschland eher affirmativen rückwärtsgewandten Charakter hatte - "Eine Zukunft für unsere Vergangenheit" - forderte der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer einen erweiterten Denkmalbegriff des "sozialbewussten Bewahrens". Die sozialgeschichtliche Öffnung der Denkmalpflege ging einher mit Initiativen zur Erhaltung sozialgeschichtlich bedeutender Ensembles wie die Kampagne für die Hütten- und Bergarbeitersiedlung Eisenheim.

Falser schildert anschaulich die Simulation und den Nachbau des Hildesheimer Marktplatzes als Beispiel für die Postmoderne, die mit einer "wertkonservativen Geschichts- und Heimatpflege" einherging, die Jürgen Habermas eine "Mobilisierung zustimmungsfähiger Vergangenheiten" nannte. Fiktion und Wirklichkeit wurden austauschbar. Diese Entwicklung entsprach der Forderung der neuen Geschichtspolitik der 80er Jahre: Identität, überschaubare heimatliche Einheiten, alte Tugenden und Mut zur Geschichte. Die institutionalisierte Denkmalpflege spielte das postmoderne Spiel oftmals mit.

In seinem letzten Fallbeispiel - "Steinbruch, Mythenraum, Geschichtswerkstatt - die Berliner Spreeinsel und ihr Umfeld nach der deutschen Wiedervereinigung" - belegt Falser seine zentrale These, "dass seit 1989 und der Ausbildung Berlins als deutsche Hauptstadt in deren Zentrum durch gezielte Stimulierung eines nie bestandenen [...] Vorzustandes eine Überschreibung der Erinnerungsspuren der Nachkriegszeit stattfindet, die in gefährlichen Widerstreit mit der gesellschaftlich-sozialen Realität in der lange geteilten Stadt steht". In zwei Zitaten stellt er die Konfliktlinie dar: "Die Vergangenheit ist nicht tot; sie ist nicht einmal vergangen. Wir trennen uns von ihr ab und stellen uns fremd", Christa Wolf (1976) und "Wir dürfen uns von der Vergangenheit nicht die Zukunft verstellen lassen", Eberhard Diepgen (1996). Der Streit um den Abriss des Palasts der Republik und um den Schloss-Nachbau, der internationale städtebauliche Wettbewerb Spreeinsel, der Abriss des DDR-Außenministeriums und des "Ahornblatts", die nachgebaute Kommandantur, die Mythisierung der Bauakademie, das umstrittene Planwerk Innenstadt ... das alles wird im Detail geschildert und bewertet.

Der Bundestag und die Bundesregierung kommen in diesem Abschnitt nicht vor, obwohl der Bund durch seine Bautätigkeit - Bauten für den Bundestag, für das Bundeskanzleramt und für die Bundesministerien - eigene bauliche Akzente für die Hauptstadt Berlin gesetzt hat, die nicht der von Falser kritisierten Berliner Tendenz zur "Vergangenheitsverweigerung" und "Geschichtsentsorgung" entsprachen.

Die Rolle des Denkmalschutzes in den von Falser geschilderten Auseinandersetzungen in Berlin ist zwiespältig. Kritische Denkmalpfleger wurden vom Senat zum Schweigen verurteilt, einige Denkmalpfleger schwenkten jedoch auf die populäre Rekonstruktionslinie ein. Am Ende setzte sich die Tendenz durch, aus der baulichen Berliner Gesamtgeschichte die Jahre 1945 bis 1989 auszublenden. Schon 1990 prophezeite Jean Baudrillard: "Wir stehen in einem gewaltigen Prozess des Revisionismus. Nicht eines ideologischen Revisionismus, sondern eines Revisionismus der Geschichte selbst."

Michael Falser endet mit der Forderung nach einer "selbstkritischen, dialogischen Öffentlichkeitsarbeit" der Denkmalpflege, um ihr "demokratisch zuerkanntes, institutionalisiertes Mandat für die Erhaltung des materiell-kulturellen Erbes [...] zu behaupten".

Der Rezensent gesteht, dass er Falsers Auffassung teilt, die kulturpolitische Entwicklung bestimme auch die Geschichte der Denkmalpflege. Gewiss wird es Denkmalpfleger und Architekten geben, die Falsers Bewertungen und Argumente bestreiten, aber das ist die erwünschte Reaktion auf eine wissenschaftliche Arbeit. Für die Architekten ist Falsers Buch wertvoll, weil es ihnen deutlich macht, dass die Architektur ebenso wie die Denkmalpflege in die geistigen, sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklungen der Gesellschaft eingebettet ist, dass ihre Entwicklung nicht naturwüchsig verläuft, dass Architekturformen nicht beliebig sind. Denkmalpflege und Architektur sind nicht autonom, sondern zeigen den Zustand einer Gesellschaft, zeigen ihre Probleme, ihre Werte, zeigen, wer in einer Gesellschaft was zu sagen hat und wie eine Gesellschaft leben will.

Peter Conradi