Caroline Flick: Werner Hegemann (1881-1936). Stadtplanung, Architektur, Arbeitsleben in Europa und den USA (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; Bd. 84), München: K. G. Saur 2005, 2 Bde., XXII + 1262 S., 205 s/w-Abb., ISBN 978-3-598-23228-2, EUR 198,00
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Werner Hegemann kennt man als Herausgeber von "Wasmuths Monatsheften zur Baukunst" in der Zeit der Weimarer Republik und eventuell noch durch sein Buch zum Städtebau "Das steinerne Berlin" von 1930; viel mehr konnte man mit seinem Namen bis jetzt nicht assoziieren. 2005 erschienen nun gleich zwei umfangreiche Arbeiten, eine amerikanische und eine deutsche, die sich intensiv mit Hegemanns Biografie und Werdegang auseinandersetzen. [1]
Die vorliegende deutsche Studie von Caroline Flick ist eine äußerst umfangreiche, über 1200 Seiten füllende Untersuchung und Dokumentation zu Hegemanns Leben und Wirken als Stadtplaner, Schriftsteller und Publizist in Europa und den USA. Die in der Einleitung geschilderte Methode des biografischen Ansatzes, bei der die "oberflächlichen Bilder von Hegemann als typisch bürgerlichem Stadtplaner, linkem Publizisten und konservativem Architekturkritiker" (8) überprüft werden sollen, generiert jedoch leider, es sei vorab gesagt, zu einer "totschlagenden" Materialansammlung, bei der jeder - auch der fachkundige - Leser den Überblick verliert.
Die ersten 70 Seiten widmen sich intensiv der Kindheit und Jugend von Hegemann und führen unzählige archivalische Details an, die für eine weitere wissenschaftliche Interpretation eher uninteressant sind. Die Schilderung seiner Studienjahre in Berlin, Paris, Philadelphia, Straßburg und München, die Hegemanns Interesse an Kunst und Architektur förderten, bieten dann schon eher weiterführende Hintergrundinformationen; so z.B. die Verwandtschaft Hegemanns mit seinem Onkel Otto March, der ihm als Berliner Architekt Kontakte zu prominenten Kollegen wie Hermann Muthesius verschaffte (72). Seinen akademischen Abschluss absolvierte Hegemann dann jedoch als Nationalökonom mit einer Dissertation über die Goldwährung in Mexiko.
Hegemanns erstes erfolgreiches Auftreten als Sozialpolitiker und Städtebauspezialist in der Funktion des Generalsekretärs der Internationalen Städtebauausstellung in Berlin zwischen 1910-13 wird von der Autorin auf über 200 Seiten (135-359) ausführlich geschildert und akribisch seziert. Eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung muss der Leser jedoch selbst leisten: Hegemann verfasste in dieser Zeit das zweibändige Werk "Der Städtebau", das als eine wichtige Grundlage für die frühmoderne Stadtplanung gilt. Daran schließt auch sein späteres bekanntestes Werk von 1930 "Das steinerne Berlin" über die Geschichte der Mietskasernenstadt Berlin an. Hegemann polemisiert hier gegen die Verwilderung der existierenden Stadt, den preußischen Bürokratismus, den Hobrechtplan aus den 1860er Jahren und plädiert für Gartenstädte und die bürgerliche Kleinhaussiedlung.
Als Wanderer zwischen alter und neuer Welt profitierte Hegemann von seinen wechselweisen langjährigen Aufenthalten in Deutschland und in den USA. In Amerika waren seine wissenschaftlichen Kenntnisse des Städtebaus gefragt, in Deutschland konnte er seine Erfahrungen aus reformerischen Siedlungsprojekten des "Progressivism" wie dem Wyomissing Park anbringen. Hegemann wurde dadurch zu einem wichtigen Kommunikator und Mittler zwischen den Kontinenten, mit einem umfangreichen Netzwerk und unzähligen Kontakten nicht nur zu damaligen Architekturgrößen wie Frank Lloyd Wright, sondern auch zu Berlins literarischen Kreisen und Schriftstellern wie Heinrich Mann oder Gottfried Benn.
Seine scharfe Polemik und satirische Faschismuskritik, besonders in seinem Buch "Entlarvte Geschichte" (940), das 1933 dann auch bei den Autodafés brannte, zwangen Hegemann bereits drei Wochen nach Machtantritt der Nationalsozialisten zum Verlassen Deutschlands und einem Exilleben zunächst in Genf und dann bis zu seinem Tod 1936 in den USA.
Das abschließende Resümee von Caroline Flick wertet Hegemann in erster Linie als einen "Bildungsbürger" par excellence, der seine Architekturkritik als ästhetische Erziehung verstanden wissen wollte. Sein städtebauliches Ideal war die humane Stadt mit Eigentum und Einfamilienhäusern für die Masse der Großstadtbevölkerung, Grünflächen und öffentlichem Verkehr. Statt diese Ansätze als diskussionswürdig auch für die postmoderne Stadtplanungsdebatte stärker herauszuarbeiten, scheitern die vorliegenden zwei Bände an der überbordenden Auflistung unendlich vieler unwichtiger historischer Details, die selbst ein kurzes Nachschlagen von Fakten oder Zusammenhängen fast unmöglich machen.
Anmerkung:
[1] Die amerikanische Publikation zu Hegemann lautet: Christiane Crasemann Collins: Werner Hegemann and the Search für Universal Urbanism, New York, London 2005.
Stefanie Lieb