John Marincola (ed.): A Companion to Greek and Roman Historiography (= Blackwell Companions to the Ancient World), Oxford: Blackwell 2006, 2 volumes, xli + 705 S., ISBN 978-1-4051-0216-2, GBP 175,00
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In der Reihe Blackwell Companions to the Ancient World ist als einer der bislang letzten Bände das von John Marincola herausgegebene zweibändige Companion to Greek and Roman Historiography erschienen. Aufgrund dieses umfassenden thematischen Zuschnitts unterscheidet es sich grundsätzlich von anderen, in den letzten Jahren erschienenen Companions auf dem Gebiet der antiken Historiographie, die einzelnen Autoren wie Herodot oder Thukydides [1], Epochen wie der Spätantike [2] oder auch einer bestimmten Ausprägung der griechischen Historiographie wie der 'westgriechischen' [3] gewidmet sind; ebenso ist das Companion to Greek and Roman Historiography von den zahlreichen in jüngerer Zeit publizierten monographischen Einführungen in die antike Historiographie abgesetzt, die entweder die griechische oder aber die römische Historiographie zum Gegenstand haben. [4]
Eine auch nur annähernd angemessene Besprechung eines Companion, das aus 57 Beiträgen von in der Regel etwa zehn Seiten Umfang besteht, ist (nicht nur) in den 'sehepunkten' gänzlich unmöglich, weswegen der Rezensent im Wissen um die Beschränktheit auf nur einige der ihm wesentlich erscheinenden Punkte dieses grundsätzlich als überaus gelungen zu bezeichnenden Werkes einzugehen vermag.
Das Companion to Greek and Roman Historiography ist in fünf Teile untergliedert, die jeweils aus einer sehr unterschiedlichen Anzahl von Artikeln zusammengesetzt sind: "Contexts" (11-144), "Surveys" (145-311), "Readings" (313-480), "Neighbors" (481-564) und "Transition" (565-581). [5] Vorangestellt ist diesen fünf Hauptteilen eine recht kurze, jedoch sehr gelungene "Introduction" von John Marincola (1-9), in der der Herausgeber zentrale Aussagen zum Wesen antiker Historiographie und zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser trifft, die um die Quellengrundlage, disparate Forschungsansätze sowie Entwicklungsmodelle kreisen. Beschlossen werden die beiden Bände von einer umfangreichen "Bibliography" (582-641) [6] sowie einem "Index Locorum" (642-676) und einem "General Index" (677-705).
Als besonders gelungen innerhalb des Companion sind die beiden Teile "Contexts" und "Surveys" anzusehen. Bei den unter dem Titel "Contexts" vereinten Beiträgen handelt es sich um stets instruktive Ausführungen etwa zum (sozialen) Ort von Geschichte in der antiken Welt (R. Nicolai, 13-26), zu den Ursprüngen griechischer und lateinischer Historiographie (C. Darbo-Peschanski, 27-38; T.P. Wiseman, 67-75), zu den Forschungspraktiken griechischer Historiker (G. Schepens, 39-55) sowie zur Verwendung von Dokumenten bei griechischen Historikern (P.J. Rhodes, 56-66) oder zum Verhältnis von Mythos und Geschichte (S. Saïd, 76-88). Die "Surveys" führen im wahrsten Sinne des Wortes durch fast das gesamte Gebiet der antiken Historiographie und behandeln sowohl die Universalgeschichte zwischen Ephoros und Diodor einerseits (J. Marincola, 171-179) und die Lokalgeschichte sowie die Atthidographie im Speziellen andererseits (P. Harding, 180-188), die westgriechische Historiographie (R. Vattuone, 189-199) wie auch die über Persien schreibenden griechischen Historiker (D. Lenfant, 200-209); behandelt werden in diesem Oberkapitel neben den Alexanderhistorikern (A. Zambrini, 210-220) auch die römische Geschichtsschreibung in der späten Republik (D.S. Levene, 275-289), die historiographische Verarbeitung des griechischen Zusammentreffens mit Rom (C. Pelling, 244-258) oder der Kaiser als Objekt der Historiker (J. Matthews, 290-304). Besonders hervorzuheben sind die beiden Kapitel zu den griechischen Historikern des Nahen Ostens und zur Aneignung der griechischen Historiographie durch jüdische Autoren (J. Dillery, 221-230; G.E. Sterling, 231-243).
Das mit "Readings" überschriebene dritte Hauptkapitel ist voller überaus interessanter wie auch qualitätsvoller Beiträge, zugleich aber ein gewissermaßen sperriges Format: Die insgesamt 24 Artikel sind einzelnen Aspekten in den Werken antiker Historiker von Herodot bis Ammianus Marcellinus gewidmet. Eine gewisse Beliebigkeit bei der Auswahl bzw. Zusammenstellung der Themen tritt bei einem derartigen Querschnitt geradezu zwangsläufig zu Tage - so wäre eine Berücksichtigung Herodians beispielsweise wünschenswert gewesen. Dennoch ist zu betonen, dass die "Readings", die ein so breites Spektrum wie Herodots und Simonides' Verarbeitung der Schlacht bei den Thermopylen (P. Vannicelli, 315-321), Diodors Darstellung des Dritten Heiligen Krieges (P. Green, 363-370), Caesars Beschreibung der Schlacht von Massilia (C.S. Kraus, 371-378), Tacitus' Darstellung der Schlacht am Mons Graupius (R. Ash, 434-440), Herodots Geschichte von Rhampsinitos und dem schlauen Dieb (S. West, 322-327), Polybios und Aitolien (C.B. Champion, 356-362) und das 'Publikum' von Ammians Res Gestae (D. Rohrbacher, 468-473) abdecken und einen reichen exemplarischen Überblick über die gegenwärtigen Forschungen und praktizierten methodischen Forschungsansätze zur antiken Historiographie geben. Hervorgehoben sei an dieser Stelle der Beitrag "Fortune (tychē) in Polybius" (349-355) von Frank William Walbank, dem zweifelsohne bedeutendsten Polybios-Forscher des 20. Jahrhunderts, der im letzten Jahr im Alter von fast 99 Jahren verstarb.
Den "Neighbors" der antiken Historiographie ist das vierte Hauptkapitel des Companion gewidmet, in dem es um literarische Gattungen geht, die in einer engen (Wechsel-)Beziehung zur griechischen respektive römischen Geschichtsschreibung stehen wie etwa die Tragödie (R. Rutherford, 504-514), die Ethnographie (E. Dench, 493-503), die Biographie (P. Stadter, 528-540) die Geographie (J. Engels, 541-552) und die römische Epik (M. Leigh, 483-492).
Der kürzeste Hauptteil - "Transition" - besteht allein aus einem Beitrag, der von B. Croke verfasst und "Late Antique Historiography, 250-650 CE" (567-581) überschrieben ist. Zwar finden sich auch in den anderen Großkapiteln Beiträge zur spätantiken Historiographie - etwa T. Banchichs "The Epitomising Tradition in Late Antiquity" (305-311) -, jedoch wäre es zweifelsohne wünschenswert gewesen, der 'transition' und ihren Akteuren in größerem Umfang Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, was auch für die vorangehenden Hauptteile des Companion gilt.
John Marincola hat mit dem von ihm herausgegebenen Companion to Greek and Roman Historiography ein Werk veröffentlicht, das auf Grund seiner Anlage sowie der Gestaltung der vier Hauptteile einen ebenso breiten wie heterogenen Adressatenkreis ins Auge fasst. Viele Leser und Nutzer sind diesem Companion zu wünschen, das die Breite der aktuellen Forschungen zur antiken Geschichtsschreibung ebenso in einführender wie auch weiterführender und intellektuell anregender Weise widerspiegelt. [7]
Anmerkungen:
[1] E.J. Bakker / I.J.F. de Jong / H. van Wees (eds.): Brill's Companion to Herodotus, Leiden/Boston/Köln 2002; C. Dewald / J. Marincola (eds.): The Cambridge Companion to Herodotus, Cambridge 2006 und A. Rengakos / A. Tsakmakis (eds.): Brill's Companion to Thucydides, Leiden/Boston 2006.
[2] G. Marasco (ed.): Greek and Roman Historiography in Late Antiquity. Fourth to Sixth Century A.D., Leiden / Boston 2003.
[3] R. Vattuone (a. c. di): Storici greci d'Occidente, Bologna 2002. - Zur westgriechischen Geschichtsschreibung s. jetzt auch D. Timpe: Westgriechische Historiographie, in: ders.: Antike Geschichtsschreibung. Studien zur Historiographie, hrsg. v. U. Walter, Darmstadt 2007, 9-63.
[4] Vgl. zur griechischen Geschichtsschreibung z.B.: K. Meister: Griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart 1990; O. Lendle: Einführung in die griechische Geschichtsschreibung. Von Hekataios bis Zosimos, Darmstadt 1992 und L. Canfora: La storiografia greca, Milano 1999; zur römischen Geschichtsschreibung s. etwa J. Rüpke: Römische Geschichtsschreibung. Zur Geschichte des geschichtlichen Bewusstseins und seiner Verschriftlichungsformen in der Antike, Potsdam 1997; D. Flach: Römische Geschichtsschreibung, Darmstadt ³1998 oder A. Mehl: Römische Geschichtsschreibung. Grundlagen und Entwicklungen - eine Einführung, Stuttgart 2001.
[5] Da es unmöglich ist, allein auch nur sämtliche Beiträge an dieser Stelle aufzulisten, sei statt dessen verwiesen auf folgenden link, unter dem ein Inhaltsverzeichnis des Companion to Greek and Roman Historiography zu finden ist: http://www.blackwellpublishing.com/contents.asp?ref=9781405102162&site=1.
[6] Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Bibliographie nicht vollständig sein kann (und ihrer Intention nach auch nicht sein soll) und dass der ein oder andere durchaus auch wichtige Titel für verschiedene der Beiträge fehlt - etwa L. de Blois: Emperor and Empire in the Works of Greek-Speaking Authors of the Third Century AD, ANRW II,34,4, 1998, 3391-3443; H.-J. Gehrke: Thukydides und die Rekonstruktion des Historischen, A&A 39, 1993, 1-19; G. Martin: Dexipp von Athen. Edition, Übersetzung und begleitende Studien, Tübingen 2006; oder H.-U. Wiemer: Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie, Frankfurt am Main 2001.
[7] Nur exemplarisch sei auf einige Sammelbände neuren Datums verwiesen, die die Tendenzen in der Forschung zur antiken Historiographie zumindest ansatzweise aufzuzeigen mögen: S. Hornblower (ed.): Greek Historiography, Oxford 1994; C.S. Kraus (ed.): The Limits of Historiography: Genre and Narrative in Ancient Historical Texts, Leiden/Boston/Köln 1999; N. Luraghi (ed.): The Historian's Craft in the Age of Herodotus, Oxford 2001; U. Eigler / U. Gotter / N. Luraghi / U. Walter (Hgg.): Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen, Autoren, Kontexte, Darmstadt 2003; G. Lachenaud / D. Longrée (éds.): Grecs et Romains aux prises avec l'histoire. Réprésentations, récits et idéologie, 2 vols., Rennes 2003.
Matthias Haake